Eine Rezension von Sabine Graßmann

„Denk ich an Deutschland, suche ich Freunde ...“

Armin Mueller-Stahl: Unterwegs nach Hause. Erinnerungen

Marion von Schröder Verlag, Düsseldorf 1997, 228 S.

Ich hätte ihm ihn gewünscht, den Oscar. Er hat ihn nicht bekommen, aber immerhin war Armin Mueller-Stahl nominiert - und das ist wohl schon eine große Ehre in Hollywood. Wie es überhaupt nur wenige deutsche Schauspieler geschafft haben, dort Fuß zu fassen und Wurzeln zu schlagen. Und dann noch einer aus der DDR ... Hat er Wurzeln geschlagen?

Einen Eichentisch will er kaufen mit sechs Stühlen, sagt er Ehefrau Gabi, „... und wenn wir noch ein paar Freunde in der ehemaligen DDR finden, hat sich der Einkauf gelohnt“. Denn die Freunde sollen an jenem Tisch sitzen. „Ein Tisch, auf den man mit der Faust schlagen kann, ein Tisch, an dem man sich streiten kann und versöhnen möchte, aber von dem man auch unversöhnt aufstehen sollte, wenn einem danach ist.“

Unversöhnt ist Mueller-Stahl mit jenen Freunden aus der DDR, die dann doch keine Freunde waren, wie er später aus seinen Stasi-Akten erfuhr. Unter ihnen ein Rechtsanwalt, „ein Freund, der auf meinen Stühlen immer Platz nehmen konnte, mein vermeintlicher Freund, spricht Recht und tat Unrecht ... Es gibt den Landesverrat, den Hochverrat, ich frage den Rechtsanwalt, wie hoch sind die Strafen für solche Vergehen? ... Was würde auf Freundesverrat stehen? Was?“ Man spürt die Wut, den Haß und die grenzenlose Enttäuschung, dennoch eine Abrechnung, die eher zurückhaltende Betrachtung ist.

Liebevoll erinnert sich der Schauspieler jener Menschen, die wirkliche Freunde waren, viele von ihnen inzwischen tot. Nicht von ungefähr also philosophiert er über Alter, Tod und Zeit. „Nun, mit beinahe fünfundsechzig Jahren, im Rentenalter sozusagen, fängt Tempo an, mich zu interessieren. Die Zukunft wird knapp.“

So ist Unterwegs nach Hause auch kein typisches Memoiren-Buch eines großen Mimen. Fotos aus der Karriere wird man vergeblich suchen wie auch Anekdoten, wie sie von Künstlern gern zum besten gegeben werden. Dafür zahllose Erinnerungen an die Kindheit in Ostpreußen und Prenzlau, an den jung verstorbenen Bruder, den umgekommenen Vater, an Jugendfreunde und adlige Vorfahren und vor allem an die couragierte Mutter, deren Tagebuchnotizen immer wieder einfließen und die schwere Kriegs- und Nachkriegszeit in Deutschland noch einmal aufleben lassen.

Und ständig wiederkehrend die Fragen nach Freunden und Heimat. „Die letzten dreißig Jahre bin ich durchs Leben gehetzt, immer nach West, immer nach West ... Tilsit, Prenzlau, Berlin, Hamburg, Los Angeles ... Australien ...“

Als Armin Mueller-Stahl 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieben hatte, „um der DDR-Führung zu sagen, daß sie sich gefälligst nicht unseren Kopf zu zerbrechen habe, die Zeit war überreif, ihr das mitzuteilen, für mich jedenfalls“, blieben nur wenige Freunde übrig. Als er vier Jahre später die DDR, das „Land der tausend Unmöglichkeiten“, verließ, gewann er zwar die Freiheit, verlor jedoch die Heimat. Seit mehreren Jahren lebt und arbeitet er in den USA, pendelt zwischen Los Angeles, Berlin und Hamburg.

Und so sind auch seine Geschichten Reflexionen über das jetzige Leben am Pazifik und vergangenes an der Ostseeküste. „In Amerika interessieren mich Gegenwart und Zukunft, in Deutschland Gegenwart und Vergangenheit.“

In Los Angeles trifft er einen Buttler aus Toronto, der ihm seine Geschichte und eine über Marlon Brando erzählt, mit dem er zu den Homeless people (Obdachlosen) geht, unter denen es einen Afroamerikaner gibt, dessen brillanten Reden er gern zuhört. Im Berliner Hotel Kempinski trifft er auf einen ihm bekannten Klempner aus der DDR, der studierte und Historiker wurde, der nun wieder als Klempner sein Geld verdient, „denn Historiker im Kapitalismus bringt nichts“. In Kalifornien gibt er einem bettelnden Vietnam-Veteranen fünf Dollar und weiß, „es tut mir nicht gut, es ist nicht für mein Gewissen, nicht für mein Wohlbefinden, es ist ein Reflex“. Und er fragt sich, wo das Gewissen der vierhundert reichsten Leute Amerikas ist, die gerade in einer Zeitschrift aufgelistet und abgebildet waren. Während der amerikanische Präsident im Fernsehen spricht, Erinnerung an die Kindheit in Ostpreußen. Und dann wieder ganz im Gegenwärtigen, banaler Alltag: Der Gang zum Amt, um die kalifornische Driver’s licens zu machen, da er mit dem deutschen Führerschein nicht versichert ist; was er da erlebt, spottet jeder Beschreibung, ist ihm aber nicht ganz fremd: „Die Unfreundlichkeit, die auf dieser Behörde herrschte, war wie im kleinen vergangenen Deutschland. Den Massen wird Gehorsam beigebracht. Amerika und die alte deutsche DDR. Zwei ungleiche Geschwister, aber wenigstens auf dieser Behörde sehr ähnlich.“

Mueller-Stahl schweift von einem Thema zum anderen, und alles fügt sich schlüssig ineinander. Fast zwanghaft schon, wie er selbst zugibt, dazwischen die stete Suche nach Freunden: „Ich stelle fest, daß ich Freunde in Ost kaum habe. In West mehr. Es wird ein Problem für unseren Eichentisch mit den sechs Stühlen geben.“ In Amerika, fällt ihm auf, könne er auf Anhieb sechs Freunde benennen - diese Freundschaften waren keinem Stasitest ausgesetzt, „in anderen Ländern sind Freundschaften sich selbst ausgesetzt“. Und fast erstaunt stellt er fest, daß er, der Weltenbürger, Wurzeln schlägt, in diesem, seinem neuen Land.

August 1995. Berlin. Das Haus in Wendenschloß. Der Eichentisch ist gekauft und die sechs Stühle, und vier Freunde aus alten DDR-Zeiten, wahre Freunde, haben er und seine Frau gefunden, die können nun Platz nehmen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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