Eine Rezension von Eberhard Fromm
Briefwechsel zwischen Schriftsteller und Maler als ein Dokument der Zeitgeschichte
Ernst Jünger - Rudolf Schlichter: Briefe 1935-1955
Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von
Dirk Heißerer.
Klett-Cotta, Stuttgart 1997, 605 S.
Wenn man diese Briefesammlung in die Hand nimmt, sollte man zuerst die fünfzig Bilder des Malers und Schriftstellers Rudolf Schlichter (1890-1955) betrachten, die am Ende des Bandes (S. 547-596) einen kompakten Überblick über das Schaffen dieses Künstlers vermitteln. Sie sind mehr als nur ein illustrierender Anhang zu einem Briefwechsel. Im Wechsel von Porträts, Allegorien, Buchillustrationen, Landschaften u. a. wird allmählich eine Spannung aufgebaut, die man auflösen möchte; man wird neugierig auf Aussagen dieses Malers zu diesen seinen Werken - und natürlich auch zu den Meinungen des Schriftstellers Ernst Jünger (1895-1998). Danach ist das leider sehr knappe Nachwort (S. 307-314) zu empfehlen, weil es in das Leben und Schaffen Schlichters einführt und die Beziehung zu Jünger charakterisiert. Hier hätte man sich etwas mehr Informationen gewünscht. Aber der Herausgeber, der Münchner Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer, ist einen anderen Weg gegangen. Er hat viele wichtige Aussagen, Hinweise und Erklärungen in die ausführlichen Anmerkungen (S.317-546) zu den einzelnen Briefen gepackt, die so einen eigenständigen Informationswert besitzen. Manche dieser Erklärungen bilden eigenständige kleine Beiträge, wie die Anmerkung zu Schlichters Roman Kreuztragung (S. 364-371) oder biographische Notizen zu Zeitgenossen und Freunden.
Der Briefwechsel selbst wird in zwei Teilen vorgestellt: Einmal umfaßt er die Zeit von 1935 bis 1943 (S. 7-211), dann die Jahre 1946 bis zum Tode Schlichters 1955 (S. 213-278). In zwei weiteren ergänzenden Teilen werden Briefe der Gattin Schlichters, Elfriede Elisabeth gen. Speedy Schlichter (1902-1975), aus den Jahren 1955 bis 1973 (S. 279-295) sowie Tagebuchnotate und Briefe Ernst Jüngers an Speedy Schlichter aus den Jahren 1966 bis 1993 (S.297-304) vorgestellt.
Betrachtet man die ersten beiden umfänglichen Teile, so wird deutlich, daß es sich auch hier eigentlich nicht um einen Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Rudolf Schlichter handelt, sondern um einen Briefwechsel zwischen den Familien Jünger und Schlichter. Ein nicht unerheblicher Teil der Korrespondenz wird zwischen Rudolf Schlichter und Gretha Jünger (1906-1960), der Ehefrau Ernst Jüngers, abgewickelt. Und auch die beiden Ehefrauen tauschen Briefe aus, die hier aufgenommen worden sind.
Das Briefeschreiben ist heute nur noch bei wenigen Menschen ein wichtiger Bestandteil ihrer inhaltlichen Kommunikation. Damit werden zukünftig auch immer weniger Spuren hinterlassen, wenn Menschen ihre Gedanken austauschen. Das Telefonat, häufiger Ersatz für den Brief, läßt sich kaum belegen, denn wer schneidet seine Gespräche schon regelmäßig mit und bewahrt solche Texte dann auch noch auf? Beim Lesen von Briefen wird einem aber immer wieder deutlich, was da an Informationen über die Menschen und ihre Zeit verlorengeht.
In dem vorliegenden Briefwechsel sind es vor allem die Ansichten über die Zeit, über Zeitgenossen, über die Kunst und die Kunstgeschichte, die ihn so spannend werden lassen. Dabei liefert Rudolf Schlichter den Löwenanteil des Materials; Ernst Jüngers Antworten sind weitaus knapper, lakonischer, vielleicht auch vorsichtiger. Schlichter aber gibt sich vorbehaltlos: Seine zumeist langen Briefe sind oft Problemerörterungen, Zeitdiagnosen, Beschreibungen der künstlerischen Arbeit. Man merkt es seinen Briefen an, daß er auch ein geübter Schriftsteller war.
Rudolf Schlichter begann als Maler und Schriftsteller im kommunistisch beeinflußten Berliner Milieu. Maler wie Alfred Kubin und Georg Grosz, Schriftsteller wie Bert Brecht gehörten zu seinem Freundeskreis. 1919 kam der in Calw geborene Künstler, der in Karlsruhe studiert hatte, nach Berlin. Hier entstanden in den Jahren bis 1927 eine Reihe Porträts von Bert Brecht, Fritz Sternberg, Alfred Döblin, Oskar Maria Graf und Egon Erwin Kisch. Am Ende der zwanziger Jahre wandte sich Schlichter verstärkt konservativen Ideen zu, näherte sich dem Katholizismus. In dieser Zeit begann die Bekanntschaft mit Ernst Jünger, den er 1929 erstmals porträtierte. Zu Beginn der dreißiger Jahre trat Schlichter auch mit schriftstellerischen Arbeiten hervor: Einer Ehegeschichte Zwischenwelt (1931) folgten die ersten Bände seiner Autobiographie Das widerspenstige Fleisch (1932) und Tönerne Füße (1933). Diese Arbeiten wurden noch 1933 verboten. In seinem Protest gegen diese Maßnahmen bezog sich Schlichter auch auf Ernst Jünger, den er dann um Unterstützung bat. Damit beginnt der hier abgedruckte Briefwechsel.
Schlichter nimmt in seinen Briefen kein Blatt vor den Mund, wenn er über die Zwangsgesellschaft (S. 74) urteilt. Man sucht sich mit Witz u. Klatsch über die unheimliche Aushöhlung hinwegzutäuschen, schreibt er 1937 an Jünger (S. 96). Und in einem Brief an Gretha Jünger von 1936 heißt es geradezu bösartig-sarkastisch: Kunst u. Literatur sind läufig geworden und schwänzeln wonnepissend vor Demagogenthronen. (S. 78) Bereits 1942 macht er auf die geschichtliche Katastrophe (S. 193) dieser Zeit aufmerksam.
Hatte er gegen Ende der NS-Zeit noch gehofft, daß die Menschen aus dieser Katastrophe lernen würden, so werden seine Aussagen nach 1945 immer pessimistischer. Man treffe so wenig Menschen mit einer echten Katharsis (S. 218), klagt er 1946. Jünger gibt ihm hierbei recht, wenn er 1950 bestätigt, daß der musische Mensch heute a priori derjenige sei, der als Feind begriffen wird, und zwar unter jedem Regime. (S. 243) Aufschlußreich ist auch die Meinung Schlichters über den Einfluß des Ostens auf das politische und geistige Leben der Nachkriegszeit, wenn er 1953 schreibt: Wären diese merkwürdigen Teufel im Osten nicht, wäre Europa wahrscheinlich noch weit schlimmer verzazzt (!) u. verdummt als es schon ist. Die halten immerhin noch einige wach, so unangenehm u. bedrohlich im übrigen ihre Allgegenwart für uns ist. (S. 264)
Die Lektüre der Briefe macht deutlich, daß der Briefwechsel nicht nur quantitativ - den sechzig Briefen Schlichters direkt an Ernst Jünger stehen 38 Briefe Jüngers gegenüber -, sondern auch intellektuell von Schlichter bestimmt und vorangetrieben wird. Sicher erweitert der Band auch unsere Kenntnisse über Ernst Jünger, vor allem über seine Beziehungen zur bildenden Kunst. Doch die interessantesten Inhalte finden sich in den Briefen Schlichters, die sogar nur für sich stehen könnten.