Eine Rezension von Björn Berg

Trotzige Tänzerin

Peter Jarchow/Ralf Stabel:

Palucca. Aus ihrem Leben - Über ihre Kunst

Henschel Verlag, Berlin 1997, 144 S.

Die Weite der Welt suchte sie nicht in der weiten Welt. Die Menschheit suchte sie nicht in den Millionen. Gret Palucca konnte sich selbst Menschheit genug sein. Die Inseln Sylt und Hiddensee konnten ihr Welt genug sein. Was nicht heißt, daß Palucca nicht Menschen und Welt für sich einnehmen wollte. Die Tänzerin war ehrgeizig, eigensinnig, eigenwillig. Sie wollte, daß ihre Tanz-Kunst in der Welt etwas gilt. Die Welt pilgerte zu Palucca. Nach Dresden. Die Stadt hat die Künstlerin erwählt, nicht die Künstlerin die Stadt. 1902 als Margarethe Paluka in München geboren, als Kind mit den Eltern ins Kalifornische verschlagen, bestimmte Palucca lange vor ihrem Tode - 1993 - ihren letzten Ruheort auf Hiddensee, wo auch Hauptmann und Felsenstein beerdigt sind. Das Leben der Künstlerin war ein langes Leben. War kein dramatisches Leben und auch nicht ohne Dramatik. Es war das Leben einer Herrscherin, die auch von den historischen Zeitläufen beherrscht wurde. Palucca versuchte, in den Zeiten, mit den Zeiten auszukommen. Sie arrangierte sich, damit ihre Kunst, ihre Ballettschule keinen Schaden nehmen. Sie versuchte, sich in und mit ihrem Körper wohl zu fühlen. Als Tänzerin, als Lebensgefährtin der Frauen an ihrer Seite.

Spannung und Spannendes ist reichlich in der Biographie der Gret Palucca gewesen. Da wundert’s, daß noch kein Schlingensief oder Krenik zugeschlagen haben. Der Stoff ist ausgebreitet. Noch hat keiner den Zuschnitt gewagt. Auch Peter Jarchow und Ralf Stabel nicht. Sie veröffentlichten ein Palucca-Buch, das von verblüffender populärer bis populistischer Schlichtheit ist. Das ist keineswegs abwertend gemeint. Das Buch entspricht der Person. Was die Autoren Aus ihrem Leben - Über ihre Kunst vortragen, sind Ansätze zu Leben und Werk. Leben und Werk werden durch die deutsche Geschichte markiert. Sie sind wegweisend für die Geschichte des Ausdruckstanzes in Deutschland und der Welt. Das Buch ist ein Anfang. Den getan zu haben ehrt die Verfasser, nicht aber Aufmachung und Ausstattung der Publikation. Aus Achtung hielten die Autoren Abstand. Von der Privatperson ebenso wie von der ins Politische verstrickten Palucca. Ohne den Abstand aufzugeben, muß der Abstand zu Palucca nicht noch größer werden, bevor eine Palucca-Biographie möglich ist. Nötig ist sie. Der Gret Palucca wegen. Der deutschen Geschichte wegen. Unsertwegen!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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