Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Ein Beitrag zur Näherung

Marianne Brentzel: Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902-1989

Christoph Links Verlag, Berlin 1997, 398 S.

Der von Marianne Brentzel verfaßte, mit viel historischem Umfeld versehene Lebensbericht ist in ein und demselben Jahr die zweite Biographie Hilde Benjamins. Bei Erscheinen lag bereits als erste ausführliche Darstellung die Arbeit von Andrea Feth als Dissertation vor: Hilde Benjamin - Eine Biographie (siehe Berliner LeseZeichen 7/1997, S. 44/45). Ohne die Bücher vergleichen zu wollen, ist festzustellen, daß die Politologin und Schriftstellerin Brentzel mehr Probleme beim Zugang zur Materie zu bewältigen hatte als die Juristin Feth. Beide Autorinnen hatten im übrigen das gleiche Handicap, nämlich keinen Zugriff zum Privatarchiv des Sohnes Michael Benjamin, zweifellos wichtigste Quelle für eine gültige Darstellung.

„Trotz dieser Einschränkung“, so Brentzel, „war es möglich, die persönliche und politische Geschichte dieser Frau in wichtigen Bereichen zu rekonstruieren. Einer Frau, von der die einen sagen, sie sei hochbegabt und außergewöhnlich, und die von anderen als Furie, als ,First Lady des Justizterrors‘ bezeichnet wird.“ Die Autorin selbst meint, Hilde Benjamin stelle sich ihr dar als „eine Frau mit kolossalen Widersprüchen, scheinbar unvereinbaren Eigenschaften. Liebe und Haß, Klugheit und Borniertheit, männliches und weibliches, monströses und menschliches Verhalten treffen in ihr zusammen.“

Zumindest die Attribute Borniertheit und männliches Verhalten sind fragwürdig. Die Benjamin war eine Frau von außerordentlicher Intelligenz, wie jeder bestätigen wird, der sie kennengelernt hat; Klugheit ist deutlich zu tief gegriffen. Und ihre feste politische Überzeugung, die man teilen oder ablehnen kann, sollte fairerweise nicht borniert genannt werden. Die schneidende Härte, mit der die Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR in Strafprozessen Anfang der 50er Jahre agiert hat, ist strikt abzulehnen, auch wenn die damalige politische Situation und die persönliche leidvolle Erfahrung der Richterin vieles erklären. Aber soll dies männliches Verhalten gewesen sein und die Frau auf dem Richterstuhl ein Monster?

Die Autorin meint am Schluß des Buches: „Zur positiven Herausbildung des Typs einer Machtfrau war Hilde Benjamin aufgrund ihrer Leidenserfahrungen und ihrer ideologischen Verhaftung nicht in der Lage.“ Also handelt es sich offenbar um eine vom Typ her negativ besetzte Machtfrau, die eben deswegen nicht mit der gängigen aufwertenden Bezeichnung Powerfrau bedacht werden darf. Wäre es Frau Benjamin vergönnt gewesen zu erfahren, in welche Schublade sie einst einsortiert werden würde, hätte sie schallend gelacht. Auch die Polemik gegen die Titelgeschichte der DDR-Frauenzeitschrift FÜR DICH (Februar 1967) „Eine außergewöhnliche Frau“ ist kaum nachzuvollziehen: „Hilde Benjamin - eine außergewöhnliche Frau? Die meisten Menschen werden diese Sätze kopfschüttelnd oder fassungslos gelesen haben.“ Ja, warum dann ein Buch über diese Frau?

Zweifellos ist es schwer, solcher in der Tat ungewöhnlichen Frau Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Auch täte man dieser mit viel Mühe recherchierten und mit viel zeitgeschichtlichem Umfeld versehenen Publikation Unrecht, wollte man ihre Vorzüge negieren. Sie werden vor allem in der bis 1949 reichenden Darstellung geboten, finden sich ebenso in den Ausführungen zu den Volksrichtern (unverständlich allerdings, daß hier kein Wort über die „versäumte“ Säuberung der westdeutschen Justiz von den Nazijuristen verloren wird) wie auch im Kapitel „Die Vision von Gleichberechtigung und Frauenrecht“.

In diesem Zusammenhang fällt die ungenaue Kenntnis politischer Strukturen der DDR auf, die bei westdeutschen Autoren häufig zu verzeichnen ist, obwohl genügend Möglichkeiten bestehen, sich sachkundig zu machen. Die Justizministerin Benjamin (bis 1967), danach Rechtsprofessorin an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften Potsdam-Babelsberg, wird in dem Buch als bestimmende Akteurin von Vorgängen dargestellt, an denen sie zwar maßgeblich beteiligt war, die jedoch in der Abteilung Staat und Recht des Zentralkomitees der SED und letztlich allein vom Politbüro entschieden wurden. („Sie veranlaßt eine fortschrittliche Frauen- und Familiengesetzgebung ... Gleichzeitig verschärft sie die politischen Strafgesetze immer weiter ...“) Mehr noch - ohne Vorgaben aus dem „Hohen Haus“ war die Vorbereitung wichtiger Gesetze überhaupt nicht denkbar.

Es sei dahingestellt, ob es mit diesem Buch möglich war, die persönliche und politische Geschichte Hilde Benjamins „in wichtigen Bereichen zu rekonstruieren“, wie die Autorin etwas vollmundig meint. Gut angestanden jedenfalls hätten dieser Biographie differenziertere Wertungen sowie weniger Mutmaßungen, weniger frei erfundene Szenen und Gedanken der Hilde Benjamin. Das Buch ist dennoch ein ernsthafter Beitrag zu dem Anliegen, sich einer Persönlichkeit zu nähern, die auch wegen ihrer Widersprüchlichkeit interessant ist, aber vor allem als eine Schlüsselfigur für das Begreifen von Entwicklungen in Gesetzgebung und Jurisdiktion der DDR bis etwa Ende der 60er Jahre. Im übrigen ist es eine Persönlichkeit, auf die das unwesentlich abgewandelte Dichterwort zutreffen könnte: Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt, schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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