Eine Annotation von Thomas Przybilka
Pérez-Reverte, Arturo:
Jagd auf Matutin
Weitbrecht Verlag, Stuttgart 1997, 477 S.
Pfarrhaus-Krimis gibt es zwar nicht wie Sand am Meer, doch sind sie fester Bestandteil der Kriminalliteratur und bilden als Klassiker ein eigenes Sub-Genre. Jetzt kommt der neue Stern am Spannungsliteraturhimmel Spaniens, Arturo Pérez-Reverte, mit einer neuen Version der genannten Untergattung: Als Kleriker-Thriller möchte ich das bezeichnen, was der inzwischen auch in Deutschland beliebte Autor jetzt vorgelegt hat. Der Repräsentant des europäischen Kulturthrillers, wie Pérez-Reverte auch gern genannt wird, hat einen ungewöhnlichen wie eigenwilligen Protagonisten geschaffen. Padre Lorenzo Quart ist so etwas wie ein gemäßigter und intellektueller James Bond des Vatikans. Seine nicht ganz mit der offiziellen Lehre der Kirche in Einklang zu bringenden Fähigkeiten sind immer dann gefordert, wenn ein höchst weltlich agierender Troubleshooter gefragt ist. Nicht umsonst hat Lorenzo Quart seine Ausbildung als Jesuit genossen. Seine speziellen Fähigkeiten und Lizenzen bringen ihn des öfteren mit der Glaubenskongregation zusammen. Bis Mitte der 60er Jahre auch als Heiliges Offizium oder griffiger, dafür aber eindeutig schrecklicher, als Inquisition bekannt.
Seit 1709 muß an jedem Donnerstag der Woche eine Messe in der Kirche Nuestra de las Lagrimas in Sevilla gelesen werden. Geschieht dies nicht, fällt Kirchengebäude und zugehöriger Grund und Boden an die Kommune Sevilla - natürlich mit nicht unbeträchtlichem finanziellen Gewinn für das Erzbistum Sevilla. Bodenspekulanten, Banken und, im Hintergrund, das Erzbistum selbst hoffen auf einen für alle Seiten baldigen und großen Gewinn bei Veräußerung der Latifundien - haben sich doch zwischenzeitlich äußerst eigenartige Dinge in der kleinen, baufälligen und nur mühsam zu restaurierenden Kirche ereignet. Zwei Menschen sind in diesem Gotteshaus schon unter höchst merkwürdigen Umständen zu Tode gekommen. Troubleshooter Quart soll den Dingen vor Ort auf den Grund gehen und, im stillschweigenden Einverständnis mit der historisch belasteten Glaubenskongregation, klare Verhältnisse schaffen. Hinweise auf die tödlichen Umstände in der kleinen Gemeinde Sevillas hat ein Hacker, Matutin von der elektronischen Prätorianergarde im innersten Zirkel des Vatikans getauft, gegeben, der bis in den Privatcomputer des Papstes vordringen konnte und dort die kryptische Nachricht von der Kirche, die tötet, hinterließ.
Die Ingredienzen dieser spannenden Geschichte: eine verfallene Kirche, eine schöne Adlige, ein höchstbegabter Hacker, dazu als Garnierung Mord und Bestechung. Lorenzo Quart, sonst im wahrsten Sinne des Wortes tödlich kühl, sieht mit einem Male seine klerikalen Prinzipien und seine persönliche Lebensphilosophie in Frage gestellt, aber auch sein Leben bedroht. Der Strudel weltlicher wie geistlicher Gefahren, Flamenco und Sinnlichkeit unter der Gluthitze eines spanischen Sommers, aber auch die Mauer des Schweigens und die Gefahren dunkler Nächte - in diesem Netz von Intrigen, Täuschungen, Mord und Verlockungen versucht Lorenzo Quart, kühlen Kopf zu behalten und am Leben zu bleiben. Ein hervorragender Thriller, zugleich eine kluge Auseinandersetzung mit einigen kirchlichen Philosophien: Mit Jagd auf Matutin ist Arturo Pérez-Reverte wieder einmal ein hochkarätiger Spannungsroman gelungen.