Eine Annotation von Björn Berg

Köhler, Tilo:

Comedian Harmonists

Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1997, 297 S.

Mit den Comedian Harmonists haben der Roman und der Film soviel zu tun wie die Jungfrau Maria mit Jesus. Man muß gut im Glauben sein, um zu glauben, daß wahr war, was zu lesen und zu sehen und zu hören ist. Größte Realitätsnähe hat Tilo Köhlers Roman Comedian Harmonists im sprachlichen Kolorit. Kläglicher sieht schon die Schilderung der Koloratur-Pirouetten des einzigartigen Ensembles aus. Köhler hat keinen Musiker-Roman, keinen Berlin-Roman, keinen Zeit-Roman geschrieben. Er hat fetzige, deftige, witzige Dialoge für fünf Sänger und einen Pianisten verfaßt. Die Dialoge stehen eher für die Gestalten denn die Geschichten der Musikgruppe. Mehr Hülle also als Inhalt?

Bevor dem Buchfreund der erste donnernde Beifall in den Ohren rauscht, im Jahr 1928, im Berliner Schauspielhaus, muß er sich bis Seite 115 durchschlagen. Dann flacht die Spannung endgültig ab.

Um den Erfolg der Boys braucht man sich nicht mehr zu sorgen. Die einzige Spannung machen nun die Spannungen in der Truppe. Harmonie war erste Sänger-, aber nicht erste Bürgerpflicht bei den Harmonists. Zum Glück der Gruppe beherrschten die Gründer und Kontrahenten, Frommermann und Biberti, die Klaviatur des Humors ebenso wie ihre Stimmen. Spitze Zungen frotzeln was das Zeug hielt und die Zeit zuließ. Die wurde immer frostiger, denn die neue Zeit grölte nach deutschem Liedgut und machte Nichtariern den Garaus. Für den Romanautor zwar kein Kleinkram, sind die Konfrontationen der Künstler mit den Nazis doch allzusehr in Kintoppszenen geronnen. Wer Isherwoods Leb wohl, Berlin kennt, die Vorlage für den Film „Cabaret“, hat den Berlin-Musik-Zeit-Roman zu den Tagen gelesen und kann Comedian Harmonists getrost beiseite legen.

Der Roman hat den Erzähler an die Hand genommen und ihn zu erzählerischer Bebilderung von vereinzelten Lebensbildern verleitet. Das Prinzip der Gruppe war: Jeder ist die Gruppe. Im Roman werden Frommermann und Biberti an die Rampe gerückt. Sie dürfen fechten, die Geschichte der Comedian Harmonists durchfechten, daß die Klingen funkeln und Funken sprühen. Wer bleibt da ruhig sitzen? Wer schnalzt da nicht mit der Zunge? Wer schnipst da nicht mit den Fingern? Garantiert bleibt kein Auge trocken. Oder wie wir früher sagten: Keine Träne! Säuft sich weg, wie sich Rosenthaler Kadarka wegsäuft. Irgendwann sitzt man da wie die Jungfrau Maria.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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