Eine Rezension von Bernd Heimberger

Im Licht der Liebe

Luise Rinser: Kunst des Schattenspiels. 1994-1997.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1997, 157 S.

„Immer zeigt man seine Liebe zu wenig.“ Sagt Luise Rinser. Wie das jeder sagt. Oder sagen könnte. Ohne das Alter einer Mittachtzigerin zu haben. Luise Rinser hat den Satz ein Jahr nach dem Tode ihres Sohnes Stephan geschrieben. Ein Jahr brauchte die Wortreiche, um Worte für die Un-Wirklichkeit dieses Todes zu finden. Der persönliche Verlust läßt sich abermals artikulieren, was sie schon lange für den Verlust des Lebens an sich hält: fehlende Liebe.

Wer die Romane, Tagebücher und essayistischen Schriften der Schriftstellerin gelesen hat, kennt die vielfältigen Schilderungen gewonnener wie gebrochener Liebes-Beziehungen. Die Mutter, die bedauert, dem Sohn zu wenig von ihrer Liebe gezeigt zu haben, registriert ohne Bitterkeit: „So also ist das: die Liebe ist tot.“ Eine Feststellung wird zur Verallgemeinerung. Die ist nicht identisch mit dem Fazit, das Luise Rinser für ihr lang andauerndes Leben zieht. Von dem sagt sie: „Es war schwer, aber es war reich ...“

Beginnend mit dem weitverbreiteten, 1946 veröffentlichten Gefängnistagebuch, bis zum neuesten Rinser-Buch ist eine Biographie überschaubar, wie sie keine andere deutschsprachige Autorin offenlegte. Kunst des Schattenspiels. 1994-1997 ist die Fortsetzung der Tagebücher und der Autobiographie. Alle Bände zusammen sind eine Langzeitbeobachtung der Zeitgeschichte und Lebenszeit der Luise Rinser durch Luise Rinser. Für sie wird wohl nie das Diktum des Kurt Tucholsky gelten. Des Lebens müde, bezeichnete er das Schweigen als die höchste Stufe des erreichbaren Ausdrucks. Rinser steht auf der mittleren Stufe. Also auf der des Schreibens, die der des Sprechens folgt.

Die Schriftstellerin schreibt, um von ihrer einzigen ewigen Liebe zu sprechen: der Liebe zum Leben. Allem Traurigen, Trostlosen der letzten Jahre zum Trotz, zu dem auch Operationen, mehrmonatige Klinikaufenthalte gehören, bleibt die Lebens-Zeit-Kritikerin Optimistin. Selbstermunternd sagt sie: „Mich macht jedes Zeichen von Leben glücklich.“ Dies sich und den Lesern zuzureden ist Rinser wichtig. Ihren Willen zum Glücklichsein will sie sich nicht brechen lassen. Auch nicht durch die Erfahrung des Alters: die Einsamkeit! Die kommt für jeden, den das Schicksal in die tragische Rolle des Überlebenden drängt. Nicht unbekannt, war sich die Autorin der Rolle bisher nie so bewußt. Für die Ruhelose, Regsame, die sich sehr sparsam über einen einwöchigen Aufenthalt in der Nähe des Dalai Lama äußert, hat die ruhige Zeit begonnen. Reaktionen auf die Außenwelt sind nunmehr eher indirekter Art. Die Aufzeichnungen sind selten Äußerungen, die der Tag veranlaßt. Sie sind vor allem philosophische Reflexionen über den Sinn des Seins im Licht der Liebe. Luise Rinser widersetzt sich mit der ihr eigenen Vitalität dem Altsein und Kranksein. Unverändert etwas von sich und für sich erwartend, erfüllt sie weiterhin die Erwartungen der Rinser-Leser. Die haben von der Autorin gelernt, daß Aufgaben nicht die Aufgabe des Lebens ist. Die Schattenspielerin spielt. Darauf kommt es an: das Tun nicht zu beenden. Das Nichtstun ist der Tod. Es bleibt dabei: „Es gibt nur das Fließen des lebendigen Lebens.“ Schreiben ist Luise Rinsers Möglichkeit, das Fließen in Gang zu halten, zu spüren und spürbar zu machen.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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