Rezension

 

„Die Farbe hat mich“

Margarete Bruns: Das Rätsel Farbe
Materie und Mythos.

Philipp Reclam jun. Verlag, Stuttgart 1997, 304 S., mit 16 Farbtafeln

 

Licht und Farbe gehören zusammen. Als der Maler Paul Klee zu Anfang dieses Jahrhunderts Tunesien bereist, erlebt er den Taumel eines gesteigerten Lichts. In seinem Tagebuch hält er im April 1910 die Etappen dieser großen Eindrücke fest. Er hebt das leicht gestreute Licht, mild und klar zugleich, hervor, während er in Tunis vor der Stadt malt.

Und dann geschieht es: „Die Sonne dringt durch, und wie!“, er nennt es seine „glückliche Stunde“, ist derart berauscht von dieser Art Licht, daß er gar nicht zu malen imstande ist. Aber das Erlebnis hält er präzis fest: „Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiß. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“ Eine Szene mit Folgen. Aber aus einer Zeit, in der ein Maler sich noch dem Erlebnis von Licht und Farbe in der Natur aussetzte, ja es geradezu heraufbeschwor, um zu seiner Arbeit zu kommen.

Persönliche und historische Momente, die immer wieder des Erinnerns wert sind. Hier im Buch Das Rätsel Farbe von Margarete Bruns. Ginge die Autorin von den ganz modernen Farb-erlebnissen der Künstler im späten 20. Jahrhundert aus, käme sie zu ganz anderen, freilich auch sehr ernüchternden bis niederschmetternden Einsichten. Doch sie beginnt keineswegs bei den Malern der Vergangenheit, sie steigt tief hinab zu den Ur-Gründen der Farbe. Am Anfang stand das Rot, zunächst noch in den Höhlenmalereien der Vorzeit, der rote Ocker, bis später das lodernde Zinnober hinzukam. Margarete Bruns sieht immer die Wirkungen, die die Farbe auf Menschen ausübte. Rot gilt ihr als „eine Dynastie für sich“, und es „übersteigt die reine Polarität von Finsternis und Licht“. Rot als Farbe der Macht und der Liebe, Rot, nüchterner gesehen, als Eisenoxyd, als nuancenreiche Farbe aus der Tube. Dabei wird ernüchternd eingeräumt, daß Rot physikalisch gesehen die Farbe mit der geringsten Energie ist.

Schon im Vorwort gibt die Autorin zu bedenken: „Auch wenn wir die manipulierenden Absichten erkennen, können wir uns nur schwer entziehen. Denn Farben wirken, und zwar um so stärker, je passiver wir ihnen gegenübertreten.“

Daraus wird die Methode dieser vielseitig angelegten Untersuchung abgeleitet. Der Mensch sieht mehr, begreift mehr von der Farbe, wenn er ihr achtsam begegnet. Und so vertieft sich die Autorin gleichsam in „ein wortloses Gespräch“ mit den Farben. Sie spart Physik, Psychologie und Materialkunde nicht aus, rückt aber immer wieder in die Nähe der Bilder, die von Malern stammen. Einmal sind es die „lebenden Farbenwesen“ Kandinskys, dann der imaginäre Zauber van Goghs. Hier ist Gelb dominant, und wir lesen mit Überraschung von den Bleifarben, die der Maler ein bißchen widerwillig benutzte, allesamt Farben, die der Impressionismus in Mode gebracht hatte. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob van Gogh beispielsweise mit dem häufig eingesetzten Chromgelb, das unzuverlässig war, tatsächlich seine Farb- und somit Malintentionen hinreichend verwirklichen konnte. Ein interessanter, wenn auch recht spekulativer Punkt. Es wird noch viel interessanter: Wenn über Grün gesprochen wird, ist von einer Himmelstänzerin die Rede, und es wird von geheimen Mixturen erzählt, das Feld der Malerei auch wieder verlassen, denn Farbe ist das belebende Element des ganzen Lebens. Das Wunder der Farben spielt sich aber zu einem großen Teil auch im Auge des Betrachters ab. Wo das Auge ein beherrschendes Rot wahrnimmt, setzt es, im Simultankontrast, das komplementäre Grün hinzu. Jeder, der einmal gar zu lange nur Rot gesehen hat, weiß um die aufhebende Wirkung auf seiner Netzhaut, wenn danach kurz das Auge geschlossen wird und Grün erscheint.

Auch wird eine unterhaltsam-abschweifende Geschichte der Farben erzählt. Wie zum Beispiel zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert Blau immer mehr bevorzugt wird. In der Antike kaum beachtet, wird diese Farbe, nachdem man aus Lapislazuli Ultramarin gewann, zur Königsfarbe. Blau wurde im Buddhismus ganz wesentlich mit Bewußtsein verbunden, ist das Zentrum und zugleich der Ausgangspunkt meditativer Symbolik.

Überall ist Farbe, überall entfaltet sie ihre Kraft, ihren Glanz. So ist es nicht verwunderlich, wenn auch Margarete Bruns mitunter abrupte Sprünge im Rausch der Farben vollzieht. Auch fügt sie Anekdotisches ein und sprengt mitunter den Rahmen, indem sie sich eher Zufälligem zuwendet. Nicht vom Blau bei Cézanne ist die Rede, aber vom selbsterfundenen Blau des spätavantgardistischen Malers Yves Klein, der damit seine monochromen blauen Bilder malte, bis hin zum Farb-Nichts seiner übermäßig gerühmten leeren Wände.

Weiß und Schwarz, als Farben umstritten und gefürchtet, in der Kunst und in der Realität aber immer wieder Farbe genug. Für Kandinsky „ein großes Schweigen, welches für uns absolut ist“, existiert Weiß selbst noch im Schwarz, denn schwarze Flächen werfen noch drei bis sieben Prozent des Lichts zurück. Die Autorin hält den Streit um die Einordnung der Farbe Weiß für „eine Frage der Terminologie“, und da irgendwo zwischen „bunten Farben“ oder achromatischen Farben sei ihr Platz.

Auf dem spannenden Gang durch die Geschichte der Farben erreicht man auch Schwarz, „das unnahbare Licht“. Viel ist wie in allen Kapiteln von der tiefgründigen Bedeutung der Farbe die Rede. Bei Schwarz gilt dies ganz besonders. Denn, schreibt Margarete Bruns: „Was wir als tiefste Schwärze erleben, lauert in uns selbst.“

Fasziniert vom Licht der Welt, beeindruckt von der Fülle und Vielfalt aller Farben ist dieses Buch geschrieben. Sicher ein Lapsus, Goethe einen „Amateurmaler“ zu nennen, doch gelingen der Autorin viele gute Seiten, die von der reichen Materie und vom wandelbaren Mythos der Farben erzählen.

Friedrich Schimmel


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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