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Ottokar und andere Phänomene

Was gibt's Neues beim Eulenspiegel?
Im Gespräch mit Dorothea Oehme, Lektorin im Verlag


Wenn im nächsten Jahr der „Tag des Sebnitzer Kunstblumenzüchters“, der „ESDA-Strumpfhose“ oder des „Deutschen Schäferhundes der DDR“ ins Haus steht, dann ist das dem Taschenkalender Seid bereit! aus dem Eulenspiegel Verlag zuzuschreiben. Ein satirischer Jahresweiser mit Feier- und Gedenktagen, die das DDR-Volk zu bewältigen hatte, ergänzt mit fiktiven Ereignissen. „Wenn schon kollektiver Freizeitpark, dann auch mit kollektiven Feier- und Gedenktagen“, so Lektorin Dorothea Oehme in einem Gespräch über das Programm des Verlages. Die Eule, mehrfach vom Aussterben bedroht, flattert seit 1994 munter durch die gesamtdeutsche Verlagslandschaft. Unter ihrem Signet sind neue Bücher von Renate Holland-Moritz, Rudi Strahl, Ernst Röhl, Jochen Petersdorf, Hansgeorg Stengel, Peter Ensikat, Johannes Conrad, Heinz Jankofsky angekündigt. Neben diesen „klassischen Humoristen der DDR-Literatur“ und seit langem Hausautoren können sich die Leser auf eine bissige Satire Ihre Dokumente bitte! freuen, eine kunterbunte Sammlung von DDR-Ausweisen, von der Mütter-Stillkarte über den GST-Paß, Konsum-Mitgliedsschein bis zum Diplomaten-Paß. Mathias Wedel hat dazu eine Thüringer Familie erfunden und erzählt von deren wundersamen Erlebnissen mit DDR-Bürokratie. Urkunden von gestern und heute sind in einem Gag-Buch Unsere Besten von Andreas Kurtz zusammmengstellt. Begonnen wurde eine Reihe mit Anekdoten um historische Persönlichkeiten. Nach Adolf Menzel und Friedrich II. wird es Kurioses um Bismarck, Fontane, Liebermann geben. Eberhard Esches Erfolgsabende im Deutschen Theater Deutschland, ein Wintermärchen und der nicht minder geschätzte Reineke Fuchs kommen zeitgemäß als Hörbuch. Um beim Theater zu bleiben, Referenz erweist die Eule auch Bertolt Brecht zum 100. Geburtstag im nächsten Jahr, zumal zwischen beiden eine alte Beziehung besteht. 1955 war Brechts Kriegs-fibel erstmals im Eulenspiegel Verlag erschienen. Anknüpfend an die einst sehr beliebten Schallplattenbücher gibt es eine Nachauflage mit Liedern und Balladen Über die irdische Liebe und andere gewisse Welträtsel. Statt der Platte liegt nun eine CD bei, besungen von Brecht und der Weigel. Gerade erschienen ist das Hobellied für Bertolt Brecht. Wolfgang Bömelburg, der als Theatertischler und -meister über 40 Jahre an jeder BE-Inszenierung beteiligt war, hat seine Erinnerungen aufgeschrieben. „Ein Buch“, so Dorothea Oehme, „an dem Brecht seine Freude gehabt hätte.“

Der Eulenspiegel Verlag, in der DDR geschätzte Adresse für Humor, Satire, politische Karikatur, blieb wie die gesamte Branche von Wende-Turbulenzen nicht verschont. Zunächst hatte sich 1991 eine Mitarbeiter-GmbH gegründet, und trotz schwieriger Zeiten für ostgemachte Bücher standen die Überlebenschancen für die engagierte Truppe nicht schlecht.
Das Aus schien unabwendbar, als die Treuhand im Zusammenhang mit der Bewertung des SED-Vermögens für den einst parteieigenen Verlag die Rückzahlung eines Kredits (der nicht in Geld gereicht war, sondern in Rechten, Büchern, Technik bestand) forderte und ein Konkursverfahren einleitete. Aber wie das im Leben mitunter so geht: Das Ende wurde zugleich zu einem Neuanfang. Die Redaktionssekretärin Jacqueline Kühne und der Literaturwissenschaftler Dr. Matthias Oehme kauften die „Konkursmasse“ und gründeten die Verlagsgesellschaft Eulenspiegel / Das Neue Berlin. Beide Verlage waren schon zu DDR-Zeiten wirtschaftlich unter einem Dach. Drei festangestellte Mitarbeiter betreiben heute in der Berliner Rosa-Luxemburg-Straße das Verlegergewerbe _ vom Lektorat, Vertrieb, Öffentlichkeitsarbeit bis zu den Finanzen fühlen sie sich für alles zuständig. Rund 40 Titel erscheinen bei Eulenspiegel im Jahr. Die Umsätze haben sich verdreifacht. Das weitgefächerte Programm bietet eine Mischung von Bewährtem und Neuem. In welcher Tradition sieht sich der Verlag? „Wir wollen an Vorhandenes anknüpfen und wesentliche Programmlinien fortsetzen. Das zeigt sich schon daran, daß bekannte Autorennamen nach wie vor bei uns auftauchen. Hinzugekommen sind neue Namen wie Mathias Wedel, Jürgen Hart, Uwe Steimle, Vertreter der jüngeren Autorengeneration. Manchmal“, so Dorothea Oehme, „werden wir belächelt, weil wir Satire machen, die versucht, die Zeit zu reflektieren, ihr einen Spiegel vorzuhalten. Das scheint im Moment, wo die Tendenz mehr zur comedy geht, nicht ,in‘ zu sein. Aber wir wollen das andere. Nicht zuletzt haben wir auch deshalb viele Leser behalten, zurück- und dazu gewinnen können.“

Für Ostalgie steht die Eule nicht, und der Verlag fühlt sich auch nicht als Stimme des Ostens. „Der Hintergrund für die Satiren, Witze, komischen Geschichten sind aber oftmals Probleme, die aus dem deutschen Miteinander oder Nicht-Miteinander entstehen, die in den sozialen Umbrüchen ihre Wurzeln haben. Und es sind Positionen, da könnte getrost auch mal die gesamte Nation darüber nachdenken.“ Wenn die Autoren vorwiegend aus den neuen Bundesländern kommen, sei das keine Abgrenzung. Das habe einfach mit gewachsenen Beziehungen zu tun. Die Autoren sind hier groß geworden und haben vorwiegend hier ihr Publikum. „Wir müssen wohl einsehen, daß es noch lange Zeit braucht und nur punktuell gelingen wird, in den alten Bundesländern Fuß zu fassen. Das hängt mit der Bekanntheit zusammen, aber auch mit der regional unterschiedlichen Wirkung von Humor, die in Sachsen eine andere ist als in Preußen oder Bayern, und, da beißt die Maus keinen Faden ab, eben auch zwischen Ost und West.“

Eulenspiegel-Produkte waren in der DDR schnell vergriffen, galten als „Bückware“. Und wie die Autoren sind auch die meisten Leser treu geblieben, wissen Qualität zu schätzen. Als glückliche Fügung erwies sich, daß die „Wiedergeburt“ zu einer Zeit erfolgte, als die Leute nach Ausflügen in andere Gefilde, faden Humortexten und schnell gestrickter Dutzend-Unterhaltungslektüre sich darauf besannen, was sie vorher gern gelesen hatten. Qualität bleibt eben Qualität. „Ein Phänomen in dieser Beziehung sind die Geschichten von Ottokar Domma. Es gibt neue Texte von ihm, aber auch unveränderte Nachauflagen. Offensichtlich“, so schildert Dorothea Oehme eine Erfahrung, „werden die Bücher in den Familien weitergereicht. Auch Schüler, die die Pionierorganisation nicht mehr kennengelernt haben, amüsieren sich köstlich über die Erlebnisse des braven Schülers Ottokar. Es sind Schulhumoresken, und die funktionieren über den eigentlichen Anlaß hinaus immer.
Wenn man irgendwann in dreißig Jahren mal nachlesen will, wie das war in der Schule der DDR, dann kann man das vielleicht nirgends so gut erfahren, wie in diesen Büchern. Das trifft auch auf andere Autoren zu. Epigramme von Stengel beispielsweise, die waren und werden gültig sein. Auch in ihrem literarischen Wert. Entdeckungen stehen da sicher noch bevor.“

Neu im Programm des Eulenspiegel Verlags, abgesehen von Ottokar, der sowohl für Erwachsene als auch Schüler geschrieben ist, sind Kinderbücher. Eine eigene Reihe ist indes nicht beabsichtigt. Vor allem werden es Nachauflagen von Autoren und Illustratoren sein, mit denen der Verlag seit langem zusammenarbeitet. Der Affe Oswald in der Nachdichtung von Peter Hacks gehört ebenso dazu wie die Kinderbuchklassiker Teddy Brumm und Alarm im Kasperletheater von Nils Werner und Heinz Behling, einem der Mitbegründer des Verlages. Als ein Schmuckstück im Herbstprogramm nennt Dorothea Oehme das Video mit dem in den sechziger Jahren auf Wunsch vieler Kinder entstandenen DEFA-Zeichentrickfilm „Alarm im Kasperletheater“. Ein filmisches Meisterwerk, ebenso wie die originellen, liebevoll gemachten Kinderbücher von einst, durchaus eine Erinnerung wert.

Gudrun Schmidt


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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