Eine Rezension von Burga Kalinowski

„Die Sichel liebt den Hammer“

Thorsten Becker: Schönes Deutschland
Verlag Volk und Welt, Berlin 1996, 185 S.

„Totgesagte leben länger“, so ging die selbstgewisse Replik des kranken Honeckers auf die westliche Mutmaßung seines Todes, damals, 1989. Diese Zuversicht erfährt nun - wie auch der vielzitierte Generalsekretärs-Satz von den jähen und plötzlichen, nicht auszuschließenden Wendungen in der Politik - eine romanhafte Bestätigung: in Thorsten Beckers Schönes Deutschland. Je nach Intonation des Titels ergeben sich ironische, pathetische, abfällige, schwärmerische, höhnische Sinndeutungen. Vorsicht beim Ausprobieren - da entstehen Mischungen ... Tatsächlich ist das Buch eine freundliche Verarschung des deutsch-deutschen Zusammenwucherns, seiner Risiken und Nebenwirkungen. Dieser Vorgang wird vom Romanhelden - seinerzeit Star des Theaters am Schiffbauerdamm und Lieblingsmime des „GROSSEN Meier“ (siehe Heiner Müller) - aus zeitlich sicherer Entfernung rückblickend beschrieben. 50 Jahre, so scheint`s, haben sich hierzulande als Halbwertzeit für die Betrachtung historischer Vorgänge eingebürgert. Das Chronisten-Werk soll im Jahre 2048 authentische Kunde geben von diesem putzigen (Deutsch)Land, das längst von der politischen Landkarte verschwunden ist, von dem lediglich ein ominöser Restbestand an der Grenze zwischen den Großreichen Brasilien und China liegt - eingewickelt im Leichentuch der Zeit. Nicht- oder ungenaues Wissen ist ein fruchtbarer Boden für Legenden jeder Art. Dagegen schreibt der Held aus Schönes Deutschland unverdrossen an. Das Trumpf-As im Schreib-Ärmel: Seine Zeitzeugenschaft. Die hat, wie täglich in Zeitungen nachzulesen, sehr verschiedene Qualitäten. Hier ist die Rede von einem, der gern und viel redet, besonders von sich. Solche Zeugen baden gewissermaßen in den Tatsachen ihres Lebens, die oftmals - das ist unbestritten - ein Bild der Zeitumstände geben. So auch die Hauptfigur bei Thorsten Becker.

Mit Verlaub: Die ersten 100 Seiten labert sich der Bühnenstar durch die ihm vom Autor gegebenen Tage und Wochen im Jahre 199X. Das hat was vom Feuilleton und vom Kantinentratsch, ist teilweise genaue Situationsbeschreibung und zum anderen Teil Psychogramm der Volksseele, immerdar beharrend aufs Alte und immer wieder anpassungsfähig ans Neue.

Alles hübsch und treffend beschrieben. Wiedererkennbar in den Ossi-Wessi-Reflexionen. in ostalgischen Erinnerungen, im Wandel der Wende-Euphorie zum Einheitsmißmut. Der Mensch in den Zeiten des Umsturzes. Man kennt das - seufzt ach ja und kichert. Am meisten da, wo Beckers Ich-Erzähler sich in den Schrebergarten der Berliner Kultur begibt und das sorgsam gepflegte Treibhaus Berliner Emsemble besichtigt. Da ist einiges an Insiderkenntnis eingeflossen - Ähnlichkeit durchaus beabsichtigt. Boshafte Vergnüglichkeiten. Wie die Dialogsituation auf Seite 80, in der der Erzähler eine geistig-seelische Kluft zum verehrten „Meier“ zu überbrücken sucht und den unendlich sinnvollen Satz fabriziert: „Der Hammer liebt die Sichel.“ Worauf der Meister nuschelt: „Die Sichel liebt den Hammer“, und, nach einer Denkpause, die Zugabe nachschiebt: „Die Sichel liebt den Hammer noch in der Folterkammer.“ Intellektueller Blödsinn in Feinschliff. So geht das.

Und dann kommt die rote Wende (übrigens nicht so ganz neu als Satirestoff). Honecker lebt, landet am 9. November 1996 putzmunter in Tegel, hält vorm Reichstag eine begeisternde Rede (welch ein Scherz!) und ruft eine neue deutsche und demokratische Republik aus. In der Theaterkantine wird abwechselnd „Anmut sparet nicht noch Mühe“ und „Auferstanden aus Ruinen“ gesungen, nicht in der (alten) DDR produzierte Autos fallen dem Abschleppdienst in die Klauen, am Kudamm brennen Nobel-Schuppen, Millionäre türmen massenhaft - ansonsten gibt`s nichts Neues im Westen der Stadt. Dafür um so mehr im Osten. Honi bietet den Ländern der BRD Aufnahme in die junge Republik mittels Staatsvertrag an, verkündet 7 große Lehren (gezogen aus dem vorherigen Zusammenbruch) und den Weg der Hauptaufgabe (ach nein, das war ja früher) - also er zeigt den Weg in eine glückliche Zukunft. „Die Revolution hatte einen neuen Kalender aufgeschlagen, niemand konnte mehr die Zukunft voraussagen“ - das ist die Stunde der Fabulierer. Becker gibt seinem Affen Zucker. Der Ich-Erzähler erinnert sich: „Die neue Regierung gefiel mir gut. Von einer Wiedereinsetzung der alten Betonköpfe konnte gar keine Rede sein. Es war eine Regierung der allerbreitesten Volksfront. Dem Kabinett der ersten Regierung der zweiten Ära Honecker gehörten nicht nur Sozialdemokraten wie Manfred Stolpe und Wolfgang Thierse, sondern auch CDU-Männer wie Kurt Biedenkopf an. Noch während der Amtszeit dieser Regierung vereinigten sich die Kommunisten erneut mit den Sozialdemokraten zur NSED, zur Neuen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Sarah Wagenknecht wurde die Ministerin für Bildung und Erziehung, und mit mir freuten sich alle Künstler über die Berufung Gregor Gysis, der (...) ins Ministerium für Kultur einzog. (...) Man wunderte sich ein wenig, daß Lothar Bisky und Hans Modrow keine Ämter bekamen. Auch Harry Tisch und Günter Mittag blieben unberücksichtigt.“ Friede ihrer Asche.

Das hat den Witz, den ein theoretisch mögliches, jedoch praktisch unwahrscheinliches Konstrukt eben hat. Das ist so realistisch wie ein Wachtraum - aber es stellt über bekannte Personen aller Coleur einen Mindestkonsens (oder vielleicht eher Abschreckung?) beim buntgemischten Publikum für die Akzeptanz der Romanwirklichkeit her.

Becker bedient sich ungeniert im Fundus unserer Gegenwart, drapiert die skurrilen Stücke mit Sinn für politisches Dekor auf der Bühne seiner Phantasie. Uuund Action! Das BE setzt den „Baal“ ab und „Arturo Ui“ wieder auf den Spielplan. Der erzählende Schauspieler gibt den Ui so, daß der Staatsratsvorsitzende sich verhöhnt fühlt und dem Star eins aufs Maul haut. Held flieht (wo soll er denn auch hin) in den Westen. Der ist nun auch nicht mehr das, war er mal war - oder genau so, wie man schon immer wußte. Als sich der Flüchtling als DDR-Mensch outet, geht's ihm an den Kragen, und er als Patient in das „Institut für Wahrnehmungsforschung“. In jenem medizinischen Knast wird Quer- und Andersdenkenden richtiges Denken und einzig wahres Geschichtsbewußtsein eingezappt. „Mir war von Anfang an klar, daß der Fernseher einen Krieg mit mir führte, den er nicht vor Erreichung seines Ziels endigen würde, das darin bestand, mein vorhandenes Bewußtsein zu zerstören und durch das konfektionierte zu ersetzen.“ Im freiheitlich-pluralistischen Medienregime ist Geschichte keine Sache von mehr oder weniger wahrer Information, sondern längst „nichts als ein gut formbares Material (...), aus dem sich die jeweils Herrschenden in aller Freiheit zimmerten, was sie für ihre Einrichtung benötigten.“ Das kennen wir schon - eindringlich warnend - als Erzählwerk von Orwell.

In Beckers Buch wird über den östlichen Teil der deutsch-deutschen Geschichte der Mantel derselben gelegt - die Existenz der DDR eingedampft auf die Eckdaten 7. Oktober 1949 bis 17. Juni 1953. Das war's dann. Alles was danach passierte wird zur TV-Serie erklärt. Ein Dokumentarwerk, das die Bavaria-Filmgesellschaft zusammen mit dem Institut erstellt hat. Das Werk ist gelungen: DDR ein Pfuiwort, Erinnerungen daran als psychosoziale Wahrnehmungsschäden nicht gesellschaftsfähig, die Therapie heilsam und brachial (Tag und Nacht Videos mit der schönen anderen Welt). Doch der Berichterstatter ist resistent, und deshalb geht das Buch auch immer weiter. Außerdem sucht der Held seine Liebste. Findet sie im Institut, und gemeinsam gelingt ihnen - dank seiner schauspielerischen Talente und eines chinesischen Passes - die Flucht aus der verblödenden Anstalt in die Freiheit. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Die Anstalt als Gesellschaftsmodell - das Leben ein Fernsehspiel: Jeder hat seine Rolle. Wer nicht spurt, ist draußen. Manipulation das beste Instrument der Macht. Das alles steckt drin im Buch - ist Frage, Feststellung, Provokation. Und manchmal auch ganz lustig.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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