Wiedergelesen von Klaus M. Fiedler

Johannes Mario Simmel: Es muß nicht immer Kaviar sein

Schweizer Druck- und Verlagshaus, Zürich 1960, 550 S.

„Thomas Lieven war ein außerordentlich guterhaltener Endvierziger. Schlank, groß und braungebrannt, besaß er kluge, leicht melancholische Augen und einen sensiblen Mund im schmalen Gesicht. Das schwarze Haar war kurzgeschnitten, graumeliert an den Schläfen.“ Mit diesen Worten führt Johannes Mario Simmel den Haupthelden seines Buches ein; er malt das Bild eines Aristokraten, wie ihn nur allzugern die leichte Literatur der Jahrhundertwende beschrieb. Hedwig Courths-Mahler mit ihrer verklärten Alltagsrealität läßt grüßen. Doch dieser Lieven lebt nicht in der heilen Welt der Junker und Barone; der zweite Weltkrieg, die Jahre davor und die danach bilden die zeitliche Klammer für die Abenteuer des Mannes, der „schöne Frauen, elegante Kleidung, antike Möbel, schnelle Wagen, gute Bücher, kultiviertes Essen und gesunden Menschenverstand“ liebte und „Uniformen, Politiker, Krieg, Unvernunft, Waffengewalt und Lüge, schlechte Manieren und Grobheit“ haßte. Damit ist an sich schon alles gesagt über das, was den Leser auf den folgenden hunderten Seiten erwartet: Unterhaltung ohne nennenswerten gedanklichen Tiefgang, eine rasch zu lesende, gewiß auch vergnügliche Lektüre für den unausgefüllten Nachmittag.

Als ich irgendwann in den sechziger Jahren diesen Simmel las, war ich zunächst konsterniert. Geprägt von der eigenen Sicht auf die Geschichte, auf die Nazi- und Kriegszeit, die sich mir, als Kind am Rande Berlins aufwachsend, schmerzhaft eingeprägt hatte als etwas Grauenvolles, eine Kombination aus Sirenengeheul und Bombenalarm und Hunger und Hamsterfahrten der Mutter, widerstand mir zunächst diese triviale Simmel'sche Betrachtungsweise. In der Schule war uns ein anderes literarisches Bild über diese Zeit vermittelt worden; wir lernten die russische Sicht kennen, Schmerz und Trauer und Heimat und Kraft des Volkes und so. Dazu die der deutschen Kommunisten und deren Leiden in den KZ. Und nun dieser Thomas Lieven, dieser Hallodri und seine „tolldreisten Abenteuer“, wie es die Verlagsankündigung beschreibt. Kann man über ein so ernstes Thema wie Krieg und Zerstörung mit leichter Hand schreiben? Lächeln statt Tränen? Simmel hat's getan. Vielleicht aus Selbstschutz. Vielleicht, um für das Weiter-Leben Kraft zu geben. Natürlich auch, um das Interesse an Trivialliteratur zu befriedigen. Und so gesehen, ist es ihm gelungen. Dieser Thomas Lieven durchlebt all das, was schrecklich und unmenschlich und für den Menschenverstand unverständlich ist, er sitzt in Gefängnissen, er wird gefoltert - doch ihn zerbricht nichts. Er bleibt der gemächlich durch die Zeit schlendernde Spaziergänger, immer ein wenig über den Dingen stehend, jede Situation beherrschend. Ein Supermann, der nicht und niemals zweifelt und der sich nicht lenken läßt, sondern alles lenkt. Und - wie es sich für einen Mann dieser Klasse geziemt - immer ist irgendwo auch eine Frau in der Nähe, eine attraktive, schöne natürlich, die er lieben kann: „Hellrosa glänzte der große Mund. Schräggeschnitten waren die braunen Augen, hochgestellt die Backenknochen. Lange, seidige Wimpern besaß die Dame, samtweiche, goldgetönte Haut“. Damit nicht genug: Lieven findet immer und überall auch Muße, seinem Hobby, dem Kochen, nachzugehen. Denn Simmel vertieft den Plauderton seines Erzählens noch um den Gag, diverse Kochrezepte in die Handlung einzubauen.

Der Krieg ist doch, will man Johannes Mario Simmels Roman glauben, eine angenehme Sache. Zumindest für seinen Helden Thomas Lieven.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
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