Eine Rezension von Hans-Rainer John

Zwei Frauen in schwieriger Zeit

Kari Köster-Lösche: Die Erbin der Gaukler
Roman.
Ehrenwirth Verlag, München 1996, 368 S.

Das ist die Geschichte zweier Frauen, die um 1360 vor der französischen Nordküste Schiffbruch erleiden, sich als einzige Passagiere an Land retten können und nun eine Irrfahrt durch die Bretagne antreten. Sie sind unterschiedlich nach Alter, Bildung und Lebenserfahrung, und daraus bezieht das Buch ein gut Teil seines Reizes: Die zwanzigjährige resolute Alheyd ist die schöne Gattin eines reichen Bremer Ratsherrn, die wegen Tuch- und Seidengeschäften in Florenz geweilt hatte, und die fast doppelt so alte Mechthild aus Stade ist eine grobschlächtige, aber warmherzige Metzgerin, die von einer Pilgerfahrt zurückkehrt. Beide Frauen geraten mitten in die bretonischen Erbfolgekriege hinein, sie begegnen marodierenden Truppen, feilschenden Kaufleuten, eifernden Mönchen, gewalttätigen Rittern und intrigierenden Adligen, sie lernen Pest und Hunger kennen, Mord, Folter und Tod, sie werden vergewaltigt und ständig am Leben bedroht und schließen sich am Ende einer Truppe Gaukler, Wahrsager und Quacksalber an. Dabei begegnen sie dem Theriakskrämer Peckmutz, einem Pestheiler, der ihnen das Haarseilziehen beibringt. Das Praktizieren dieser Heilmethode ermöglicht beiden, zu überleben.

Zusätzliche Komplikationen resultieren aus dem Umstand, daß die geschäftstüchtige Alheyd in Florenz heimlich wertvolle Warenproben mitgehen ließ, weshalb sie von der allmächtigen Calimala, der Florentiner Zunft der Tuchproduzenten, auf Leben und Tod verfolgt wird. Die Gefahr wird jedoch entschärft, indem der Verfolger, der junge Cosimo d'Albizzi, in Liebe zu der Schönen aus Bremen entbrennt. Und diese Liebe wird so leidenschaftlich erwidert, daß sich am Ende der greise und gichtige Hinricius Rucenbergius, Alheyds nachsichtig-philosophischer Gatte, ein Kind Cosimos unterschieben lassen muß.

Das ist Abenteuerliteratur für Erwachsene, und zwar von der besseren Art. Die Autorin schreibt stets spannend, knapp und holzschnittartig, ohne viel Psychologie, die Ereignisse überschlagen sich fast. Sie versteht es, mittelalterliches Leben auferstehen zu lassen: Sie hat viel darüber gelesen, sie zitiert auch aus historischen Büchern (in Form von köstlichen Ratschlägen, die Ratsherr Rucenberg seiner jungen Gemahlin schriftlich auf den Weg gibt), aber daraus eine lebendige Welt gemacht zu haben, ist doch ihr Verdienst. Die Härte und Grausamkeit der Zeit wird niemals unterschlagen, aber auch nicht mit heutigen Augen betrachtet. Als sich Ritter über die beiden Frauen gewaltsam hergemacht haben, folgt kein Zusammenbruch: Sie säubern sich einfach, und Mechthild sagt zu der Jüngeren nur: „Ich hatte Todesangst, Ihr würdet Euch wehren, weil Ihr noch keinen Umgang mit Männern im Kriegsdienst hattet.“ So war das damals einfach, tausendfaches Frauenschicksal, keine Katastrophe wie zum Beispiel die Todesstrafe des Ausdärmens. Ein bewußt naiver Ton und ständig ins Spiel gebrachter untergründiger Humor als Ausdruck des Lebensmutes, der zum Überleben gehörte, mindert den Schock, der dem Leser natürlich nicht gänzlich erspart bleiben kann.

Der Standes- und Charakterunterschied zwischen beiden Frauen wird nicht postuliert, sondern in der Reaktion auf jedwedes Ereignis nachgewiesen - das ist überaus gelungen. Aber die Fürsten, die da in der Bretagne um die Herzogswürde kämpfen, werden trotz Übersichtstafel nicht plastisch, die dynastischen Ansprüche und Kämpfe bleiben undurchsichtig, die Intrigen sind nicht vollends durchschaubar. Das ist wohl kein großer Verlust, da zumindest die Folgen des Kriegs der Reichen für die Armen so hautnah vorgeführt werden: die Zerstörungen, Plünderungen, Massaker durch Söldner, Piraten und Räuber aller Nationalitäten. Das mittelalterliche Vokabular ist trotz (nicht ganz vollständiger) Worterklärungstabelle ein wenig anstrengend, aber sicher notwendig. Wir sehen jedenfalls die Ereignisse wie in einem fernen Spiegel; es ist der Autorin zu danken, daß wir annehmen können, daß die Verzerrung nicht allzu groß ist.

Kari Köster-Lösche ist Tierärztin und hat sich, wie ihr Verlag mitteilt, als Wikingerexpertin und Erfinderin des Wikingerkrimis (?) einen Namen gemacht (Der Thorshammer, Das Drachenboot, Die Bronzefibel). 1994 erschien ihr Erfolgsroman Die Hakima, in dem bereits das schillernde Mittelalter mit Fragen der Medizin eine Verbindung eingegangen war: die Geschichte einer Ärztin um 1200 zwischen Kreuz und Halbmond.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite