Literaturstätten von Klaus M. Fiedler

Interesse am Gestern und Heute

Die Alternative Bibliothek Hellersdorf stellt manches auf die Beine

Die Alternative Bibliothek von Hellersdorf, in zwei kleinen Räumen im „Nachbarschaftshaus“, Kastanienallee 27, untergebracht, möchte auf keinen Fall der Stadtbücherei Konkurrenz machen. „Wir verstehen uns als Ergänzung“, versichert Heinz Peter vom Verein zur Förderung der alternativen Bibliothek Hellersdorf e.V., „denn wir bieten Literatur an, die in anderen Bibliotheken eher unterrepräsentiert ist.“ Rund 6000 Bücher sind so vorerst erfaßt, vor allem DDR-Literatur, seltene Editionen aus DDR-Verlagen und manches aus privaten Beständen. „Das Ziel unseres Vereins, der 1990 gegründet wurde, ist es“, fährt Heinz Peter im Gespräch fort, „eine sozialwissenschaftliche Bibliothek für jedermann aufzubauen. Und sie soll neben wichtigen Neuerscheinungen - alles wird gebührenfrei verliehen - bewahren und vermitteln, was aus Verlagsproduktionen der DDR für die Menschen von bleibendem Interesse ist.“ In einem Informationsblatt werden die Prinzipien der Buchauswahl so beschrieben: Die Auswahl ist alternativen Denk- und Lebensweisen und den Erfordernissen einer ökologischen Wende der Gesellschaft ebenso verpflichtet wie dem Prinzip des freien Zugangs zu Druckschriften aller demokratischen Parteien und Verbände, Bürgerbewegungen und -initiativen.

„Wir wollen Neugierde befriedigen und Wissensdurst stillen.“ Heinz Peter, von Hause aus Bibliothekar, längst im Rentenalter, doch immer auch selbst noch neugierig und wissendurstig, geht mit seiner kleinen Schar ehrenamtlicher Vereinsmitglieder in die Öffentlichkeit. Die beiden Räume im „Nachbarschaftshaus“ sind für ihren Anspruch zu klein. Und so machen sie Angebote zur Kommunikation. Es sind Begegnungen zwischen Autoren und Lesern. Es sind Gesprächsrunden und Geschichtsstunden. Zum Beispiel die Montagsrunde. Dahinter verbergen sich Veranstaltungen mit Politikern, Ökologen und Sozialwissenschaftlern. Seit 1992 gab es davon 39 mit rund 900 Teilnehmern. Man sprach über weltweite Migrationsbewegungen und den Club of Rome, über Rechtsradikalismus in Deutschland und über die DDR-Geschichte. Als Gesprächspartner konnten kompetente Fachleute gewonnen werden, unter ihnen Wolfgang Harich, Altbischof Albrecht Schönherr, Gerhard Branstner oder Max Welch Guerra.

Ähnlicher Beliebtheit erfreut sich der Literaturklub. Seine bisher 47 Veranstaltungen besuchten mehr als 1500 Gäste. Hier werden neue Texte vorgestellt, so von Daniela Dahn, Peter Ensikat, Heinz Knobloch, Helga Königsdorf, Jan Koplowitz oder Lothar Kusche. „Nach jeder Lesung kommt es zu regen Aussprachen zwischen den Autoren und den Zuhörern“, berichtet Heinz Peter. Die eigene Lebensgeschichte wird reflektiert, Kriegserlebnisse, Erinnerungen an den Faschismus, an Anfang und Ende der DDR. „Übervoll war der Saal“, erinnert sich Peter, „als ORB-Reporter Hellmuth Henneberg (OZON) Fragen an Günter Gaus ‚Zur Person‘ stellte.“

Mit dem Erzählcafé wird vom Verein eine weitere Veranstaltungsreihe angeboten. Im April 1994 ins Leben gerufen, hat sie es bis Ende 1996 auf immerhin 27 Begegnungen mit knapp 500 Teilnehmern gebracht. Im Mittelpunkt der Abende stehen bekannte und unbekannte Zeitzeugen und ihre Erlebnisse aus den Berliner Kriegs- und Nachkriegsjahren. So diskutierte Jost Hermand seinen Bericht über die Kinderlandverschickung „Als Pimpf in Polen“; Günter Görlich hatte das Kriegsende „Als Hitlerjunge in der Festung Breslau“ erlebt; Gerhard Holtz-Baumert kündigte seine Erinnerungen an das Jahr 1945 mit „Ich war siebzehn“ an; Lothar Kusch sprach über seine ersten journalistischen Schritte im noch ungeteilten Berlin „Als Volontär beim Ulenspiegel 1947/48“; der Theaterwissenschaftler Ernst Schumacher nannte seinen Vortrag „Erinnerungen an Ernst Busch“.

Vereinsvorsitzender Heinz Peter wird nicht müde und weist auf weitere Veranstaltungen wie das Lesecafé (hier werden Texte bekannter Autoren wie Thomas Mann vorgetragen), Ausstellungen (anläßlich des 1. Mai oder des Hellersdorfer Literaturfestes am 7. September zum Beispiel) und Gesprächsrunden hin. Als Gregor Gysi sein Buch „Das war's. Noch lange nicht.“ vorstellte, drängten 160 Leute in den Saal. Mehr als 200 kamen sogar zur Veranstaltung mit Jürgen Kuttner und seinem „Das große Sprechfunklesebuch“.

„Allein könnten wir das alles aber nicht schaffen“, gesteht Heinz Peter. Und er erzählt von einer „Vernetzung freier Träger und kommunaler Einrichtungen in Hellersdorf“ und nennt als ein Beispiel den 1995 entstandenen Freundeskreis Literatur beim Kulturring in Berlin e.V. Die mehr als 30 Veranstaltungen der Alternativen Bibliothek im Jahr seien, so Peter, nur denkbar, „weil wir die Räume verschiedener Hellersdorfer Vereine nutzen können “. Manches entsteht auch in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule. Die Gedenkveranstaltungen für Gerhart Hauptmann, Wolfgang Borchert, John Heartfield und Peter Weiss sowie ein öffentliches Fortbildungsseminar über „Die alten und die neuen Medien“ müßten in dem Zusammenhang genannt werden.

Eine Bibliothek als Kommunikationszentrum, als Gesprächsort zwischen literaturinteressierten Menschen verschiedener Generationen - mit ruhigen Schritten nähert sich der Verein diesem einst bei seiner Gründung artikulertem Ziel.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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