Eine Annotation von Ulrich van der Heyden
Defoe, Daniel:
Eine allgemeine Geschichte der Piraten
Waxmann Verlag, Münster 1996, 223 S.

Wer kennt nicht die abenteuerliche Geschichte von dem auf einer Insel gestrandeten Robinson Crusoe aus der Feder von Daniel Defoe? Sein Buch wurde in Millionenauflagen in Dutzende von Sprachen übersetzt. Aber wer kennt schon die Piraten-Geschichte von Defoe? Dabei handelt es sich um einen zeitgenössischen Bericht über das Wirken der Piraten, die nicht nur in der späteren Abenteuerliteratur große Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit fanden, sondern die Seeräuber erregten ja schon zu Lebzeiten des englischen Schriftstellers nicht nur unter den Seefahrern großes Interesse.

Das vorliegende Buch erschien erstmals im Jahre 1724 unter dem Titel A general history of the robberies and murders of the most notorious pirates from their rise and settlement in the islands of Providence to the present year und wurde nun von Jörg Rademacher vom Englischen in einer sehr guten Qualität ins Deutsche übersetzt. Außerdem verfaßte Rademacher auch das Vorwort und versah den inzwischen doch etwas antiquiert anmutenden Originaltext mit erläuternden Anmerkungen.

Daniel Defoe zählt nicht nur Fakten auf, denn seine Geschichte des Piratenwesens hatte zu seiner Zeit nicht nur die Aufgabe zu informieren, sondern auch unterhaltsam zu wirken. Deshalb ergänzte er zuweilen die historisch exakte Darstellung aus seiner Phantasie. Dennoch genießt die „Piraten-Geschichte“ unter Historikern den Status einer historisch abgesicherten Dokumentation.

Der Autor benutzt oftmals die Darstellung des Treibens der Piraten für sozialökonomische Überlegungen und pietistische Mahnungen und zeichnet somit ein anschauliches Bild vom Leben in den Hafenstädten, von den Mühsalen und den Gewinnen des Handels, von Schiffbau und Schiffahrt und immer wieder von den Gefahren auf See. Die Schilderung von letzteren hat natürlich Vorrang, denn diese gingen zu einem nicht unerheblichen Teil von den Piraten aus. Jörg Rademacher erläutert in seinem Vorwort: „Allerdings tat auch Daniel Defoe (um 1660-1731) uns nicht den Gefallen, die Abenteuer der Piraten samt ihren Liebesgeschichten im Sinne der Unterhaltungssehnsüchte der Mediengesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorwegzunehmen. Kein vorauseilender Gehorsam der Historie also! Im Gegenteil: Man könnte von Piraten und ihrer Tätigkeit kaum nüchterner und journalistischer zu erzählen oder zu berichten beginnen, als es Defoe tut. Getreu den Anforderungen der damaligen Zeit, läßt er seiner Allgemeinen Geschichte der Piraten eine Einleitung vorausgehen. Darin erläutert er Idee und Umfang seines Werkes, läßt sich über die von ihm zu Rate gezogenen Quellen aus und erwähnt nicht zuletzt einige Abnormitäten, die er den Leser schon vorab zu entschuldigen bittet.“ (S. 8)

Defoes Geschichte des Piraten-(Un)Wesens ist mithin keine Erzählung und auch keine Ansammlung von erfundenen Geschichten. Allerdings auch keine wissenschaftliche Abhandlung. Vielmehr hat er sich als Journalist und Gerichtsreporter, als Historiograph und Chronist der Zeitgeschichte betätigt. Ergänzt hat er seine Schrift durch mündliche Quellen. Eingedenk der unbedingten Notwendigkeit einer strengen Quellenkritik, ist das vorliegende Werk von Daniel Defoe durchaus als wichtige historische Quelle zu benutzen; ist zugleich aber auch eine unterhaltsame Lektüre. Daß diese auch lehrreich ist, verdankt der Leser vor allem den Anmerkungen und Erläuterungen des Übersetzers. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang sind die „Beschreibung eines (Voll-)Schiffes einschließlich seiner gesamten Takelage“ sowie eine „Definition alter Seeschiffe“. So ist das Buch, ab und an mit zeitgenössischen Abbildungen geschmückt, ein Gewinn für jeden Bücherschrank.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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