Eine Annotation von Hans Joachim Wagner
Cutler, Thomas J.
Entscheidung im Pazifik
Ullstein Verlag, Berlin 1996, 432 Seiten

Sibuyan-See, Surigao-Straße, Leyte - für die meisten Leser dürften diese geographischen Begriffe fremd sein. Nach der Lektüre des 1994 in den USA und jetzt (1996) im Ullstein Verlag in deutscher Übersetzung erschienenen Buches schließt sich für interessierte Leser eine Wissenslücke. Schließlich tobte in diesem Gebiet vor der philippinischen Küste im Oktober 1944 die größte Seeschlacht der Geschichte.

In der Regel dürfte der deutschsprachige Leser über diese Auseinandersetzung zwischen den Seestreitkräften der USA und Japans weniger wissen als über den Untergang der spanischen Armada, die Schlacht bei Trafalgar oder die größte Seeschlacht des Ersten Weltkriegs zwischen Großbritannien und Deutschland 1916 im Skagerrak.

Wer nur einen Bericht über eine Seeschlacht oder wer spannende Abenteuer erwartet, wird enttäuscht sein. Das Buch Cutlers, eines ehemaligen Marineoffiziers der USA, ist mehr als ein Bericht über Kriegsgeschehen und mehr als ein lediglich spannender Roman. Es enthält nicht nur minutiöse und manchmal ermüdende Schilderungen von Seeschlachten und ihren Vorbereitungen. Wertvoll und interessant macht das Buch, daß Cutler objektiv die Vorgänge 1944 im Pazifik schildert. Er zeigt das Entscheidungsdilemma sowohl amerikanischer als auch japanischer Kommandeure, ohne daß er im nachhinein auf dem hohen Roß des Besserwissens reitet. Dem Nachteil, daß die Vielfalt von militärischen Ebenen, von Strukturen und Namen zeitweise das Verständnis erschwert, versucht der Verfasser durch Karten und Erläuterungen entgegenzuwirken. Er versteht es, Berichte mit Einzelschicksalen anzureichern und somit das Geschehen, Heldenmut und Leid, plastisch zu machen.

Angenehm ist dabei, daß keine übermenschlichen Helden konstruiert, sondern Sorgen, Ängste und Motive deutlich werden. Auch die Motive des Handelns der verantwortlichen Offiziere wie auch die Gründe und Begründungen für ihre Fehler werden sachlich analysiert. So wird in dem Werk von Cutler gezeigt,wie neben Mut und militärischem Können Zufälle und Mißgeschicke, eine tragische Verkettung von Profilierungsgelüsten und mangelnder Kommunikation zu Fehlern, zum Verlust von Menschen und Kriegsmaterial führen. In der entscheidenden Phase der Schlacht vor der philippinischen Küste führt das heute schwer verständliche und in USA-Marinekreisen noch viele Jahre heftig diskutierte Verhalten der amerikanischen Admiräle Halsey und Kinkaid zur Beinahe-Katastrophe für die Navy. Sie tritt nur deshalb nicht ein, weil der japanische Admiral Kurita eine schwerwiegende Fehleinschätzung vornimmt.

Bemerkenswert ist, daß Cutler bei dieser Analyse neutral und verständnisvoll bleibt. Er würdigt ausdrücklich die jeweiligen Umstände, unter denen 1944 die Entscheidungen der Kommandeure getroffen werden mußten.

Das Buch zeigt, wie die USA mit der Entscheidungsschlacht im Pazifik die Kraft der japanischen Kriegsmarine gebrochen haben und daß auch Kamikaze(Selbstmord)-Flüge japanischer Marinepiloten das nicht mehr rückgängig machen konnten. Der Weg nach Japan wurde geöffnet; das Ende des Zweiten Weltkriegs im Pazifik kündigte sich an (wenn es dann schließlich auch nicht durch eine Invasion von See her, sondern durch Atombombenabwürfe herbeigeführt wurde).

Cutlers Verdienst ist es aber vor allem, mit seinem Buch Wissen über ein Kriegsgeschehen zu vermitteln und sich zugleich gegen Krieg überhaupt zu wenden. Der Leser wird ihm nach der Lektüre beipflichten, wenn er gegen Ende seines Werkes schreibt:

„Der Krieg ist wahrscheinlich die größte Dummheit der Menschheit. Er ist verschwenderisch, tragisch und in der Regel unnötig. Aber wenn er ausbricht, fördert er in ironischer Verkehrung manches zutage, das zum Besten der Menschheit gehört. Bei Leyte kämpften viele mutige Männer, Amerikaner und Japaner. Zu viele von ihnen ließen dabei ihr Leben, während andere noch heute als Repräsentanten jener Tugenden leben, die über die Zerstörung und Tragödie des Krieges hinausweisen.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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