Eine Annotation von Ulrich van der Heyden
Brandt, Hans/Grill, Bartholomäus:
Der letzte Treck
Südafrikas Weg in die Demokratie.
Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn 1994, 187 S.

In Deutschland besteht, wenn überhaupt Afrika in der öffentlichen Meinung eine Rolle spielt, an dem aktuellen Geschehen in Südafrika Interesse. Das ist unter anderem an den in den letzten Jahren auf dem deutschsprachigen Büchermarkt erschienenen Titeln zu ersehen. Die Vorgeschichte, die Voraussetzungen für und der Verlauf des Demokratisierungsprozesses in Südafrika haben geradezu eine Flut von einschlägiger Literatur entstehen lassen. Diese Publikationen unterscheiden sich in Qualität und Quantität von der wissenschaftlichen historischen Literatur, von der auf dem deutschen Markt allerdings wenig angeboten wird. Allerdings behandeln die Autoren von auf die Gegenwart bezogenen Arbeiten oft auch die Geschichte, um den gegenwärtigen dramatischen Umbruch im Süden Afrikas besser verständlich machen zu können.

Auch das Buch der Korrespondenten B. Grill und H. Brandt kommt nicht ohne historische Reminiszenzen aus, wenngleich im Mittelpunkt der Ausführungen die Geschehnisse in der Zeit seit der Freilassung Nelson Mandelas im Februar 1990 bis zur Fertigstellung des Buches im August 1994 stehen. Nun kann das Buch nicht den Anspruch einer zeithistorisch fundierten Untersuchung erheben, aber in spannend geschriebenen Reportagen und Analysen spüren die Autoren den inneren wie äußeren Triebkräften des Wandels nach und beschreiben den Weg des Landes aus der internationalen Isolierung und Ächtung.

In den zwanzig Kapiteln wagen Brandt und Grill auch einen Blick in die schwierige Zukunft des Vielvölkerstaates Südafrika. Sie werfen einige der brennendsten Fragen auf, wie die nach den Chancen der Versöhnung zwischen den Rassen, den Möglichkeiten einer friedlichen Zukunft des Landes und nach konkreten Strategien der neuen Regierung, um mit dem Erbe der Apartheid fertig zu werden. Wie bekämpft sie Arbeitslosigkeit und Schulmisere, Wohnungsnot und Massenarmut? Wird es gelingen, den Weißen die Zukunftsängste zu nehmen? Lassen sich die Skeptiker oder selbst die Reformgegner für den Aufbau einer neuen Gesellschaft gewinnen? Wenn sich die beiden Journalisten - Brandt ein Südafrikaner, der für Zeitungen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz schreibt, Grill der Korrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“ - trotz ihrer unbestrittenen Sachkenntnis nicht anmaßen, auf die genannten sowie auf weitere in ihrem Buch angeschnittene Fragen eine Antwort parat zu haben, so zeigt gerade diese Zurückhaltung Kompetenz. Sie haben zwar erkennbare Visionen, die sie auch mehr oder minder direkt an den Leser bringen, unterlassen jedoch jegliche Spekulationen. Sie umreißen lediglich das politische Umfeld, in dem die aufgeworfenen Fragen und Problemstellungen eine Antwort, wie immer sie auch ausfallen mag, finden werden. Dabei erklären sie die gegenwärtigen und möglicherweise zukünftigen Lösungsvarianten nicht aus sich selbst heraus, sondern stets in größeren Zusammenhängen. Denn Südafrika hat den Weg zurückgefunden in die internationale Staatengemeinschaft. Und für diese ist die Entwicklung im Süden Afrikas von großem Interesse. So wird auch die Frage gestellt, was heute eine durch ethnische, nationalistische und religiöse Konflikte zerrissene und gleichzeitig zusammenwachsende Welt daraus lernen kann.

In Anlehnung an die Trecker-Tradition wählten die Autoren den Titel ihres Buches, denn sie sind der Meinung, daß „der letzte Treck, der Treck in die Freiheit“, angekommen sei.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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