Eine Annotation von Bernd Siegmund
Wiese, Joachim:
Kleines Brandenburg-Berliner Wörterbuch.
Reclam Verlag, Leipzig 1996, 139 S.

Das Kleine Brandenburg-Berliner Wörterbuch kommt daher, als wäre es ein lustiges Buch. Diesen Eindruck suggeriert zumindest die Gestaltung der Titelseite. Ein Gesicht lacht uns an, mit wenigen Strichen wurde es auf den Umschlag gebannt. Die Augen strahlen, die Nase wittert, im weit aufgerissenen Mund haben sich einträchtig der brandenburgische Adler und der Berliner Bär niedergelassen. - Wir ahnen, die beiden wollen uns etwas sagen, uns mitnehmen auf eine unterhaltsame Reise durch die Welt ihrer Sprache, auf daß wir die Menschen der so sonderbaren Region Berlin & Brandenburg besser verstehen lernen, ihre Geschichte, ihren Charakter, die Art, wie sie sprechen und denken.

Leider hält das Buch nicht, was die Aufmachung verspricht. Der kleine Wortführer ist weder lustig, noch versucht der Autor, uns in die geheimnisvolle Welt der Sprache zu entführen. Wer auf die populäre Aufmachung hereinfällt, hat die berühmte Katze im Sack gekauft. Und zwar für 16,- Mark.

Joachim Wiese, der Autor des Wörterbuches, beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit der Sprachentwicklung der Brandenburg-Berliner Region. Diese sprachwissenschaftlichen Bemühungen trugen offenbar reiche Früchte. Herausgekommen sind die Bände I-III des Brandenburg-Berlinischen Wörterbuches, an denen er maßgeblich mitgearbeitet hat, sowie die Sammlungen der Arbeitsstelle „Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch“ an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Seit 1979 leitet Joachim Wiese diese Arbeitsstelle. Der vorliegende kleine Wortführer ist ein „Abfallprodukt“ dieser seriösen Arbeit.

Klar ist, daß jeder wissenschaftlich arbeitende Mensch in seinen Forschungen höchste Sorgfalt walten lassen muß. Manchmal bis an die Grenze der Pedanterie. Joachim Wiese tut das. Über 139 Seiten. Das liest sich dann so: „LEDIG leddig ADj., außer in litspr. Bedeutung mundartl. ‚unerfüllt, leer‘. - Lautf. und Verbreitung: leddig vorw. Havelld., Barnim, östl. Uckerm., in die Nlaus. streuend; lerrig Prign., Ruppin, westl. Uckerm.: lädig, lärig, lälig vorw. Zauche, sonst verstr. mmärk.“ - Bar jeglicher Poesie, im wahrsten Sinne „unerfüllt, leer“, so werden uns die Wörter im Wörterbuch angeboten. Sicher kann der Linguist mit dieser codierten Sprache etwas anfangen. Aber ist das Buch für den Wissenschaftler geschrieben? Wo steht geschrieben, daß ein Wissenschaftler die wenig unterhaltsame Arbeitsweise einem Laien gegenüber anwenden muß. Müßte es nicht der Ehrgeiz eines jeden Autors sein, auf seinem Gebiet einen Bestseller zu schreiben? Will sagen, ein Buch, das geschäftlich Erfolg hat und intellektuelles Vergnügen bietet. Ein Buch, das die Leser begeistert, ihnen zeigt, wie spannend und unterhaltsam es sein kann, sich mit Sprache zu beschäftigen. Zu erfahren, woher die Worte kommen, mit welchem Wertungshintergrund sie in die Alltagssprache eingeflossen sind, welche territoriale Bedeutung sie haben, welche regionale Präsenz ... Diese Erkenntnisse populärwissenschaftlich darzubieten, ist die hohe Kunst der Wissenschaft.

Wir maßen uns natürlich nicht an, zu behaupten, daß Joachim Wiese das nicht kann, wir vermissen nur, daß er sein Können im vorliegenden Fall auf diese Weise anwendet. So ist leider ein sehr sprödes, trockenes Wörterbuch entstanden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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