Eine Annotation von Antje Hofmann
Karin Kiwus (Hrsg.):
Berlin - Ein Ort zum Schreiben
347 Autoren von A bis Z.
Mit einem Vorwort von Walter Jens.
Aufbau-Verlag, Berlin 1996,

Berlin, eine ehemalige und künftige Weltstadt; eine durch eine Mauer geteilte und nun ohne dieses Bauwerk wieder zusammenwachsende Stadt; wieder die Hauptstadt Deutschlands und vielleicht irgendwann im nächsten Jahrhundert Sitz von Legislative und Exekutive; ein Schmelztiegel der Kulturen; das Übungsfeld des deutschen und europäischen Einigungsprozesses - also durchaus ein Ort zum Schreiben, einen interessanteren in Deutschland wird es gegenwärtig wohl kaum geben. Wer schreibt in Berlin? Wie schreibt es sich in Berlin? Was und worüber schreibt man in Berlin? Im Auftrag der Akademie der Künste versucht Karin Kiwus mit „Berlin - Ein Ort zum Schreiben“ darauf Antworten zu geben. Es sind 347 Autorinnen und Autoren, die in diesem Buch deshalb Aufnahme gefunden haben, weil sie unabhängig von ihrem Geburtsort und vorherigen Arbeits- und Wirkungsstätten jetzt in Berlin leben und schreiben. Die 251 Männer und 96 Frauen werden, in dem mit Sorgfalt hergestellten und gut ausgestatteten Buch, mit einem Bild, einer biographischen Skizze, einer Übersicht über wichtige Auszeichnungen und Veröffentlichungen und einem literarischen Text vorgestellt. Dies alles in Form von Selbstauskünften. Leider fehlen oft genauere Angaben zu den Lebensdaten. Für den mit der literarischen Szene Berlins nicht so sehr Vertrauten birgt dieses Buch manche Überraschungen und Anregungen. Längst nicht mehr oder noch nie in Berlin vermutete Autoren erweisen sich als hier schreibend. Auf andere Autoren wiederum wird man erstmals aufmerksam gemacht und ist auf ihre Arbeiten neugierig geworden. Und schließlich, die in Ost und West (144 von ihnen sind Ost- und 140 Westberliner, die anderen hat es aus den allen möglichen Gegenden der Welt, die meisten jedoch aus der Türkei, der Schweiz und Österreich an den Strand der Spree gezogen) und anderen Gegenden der Welt oft sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen spiegeln sich ebenso in vielen der vorgestellten Texten wider, wie die Ahnung, daß viele der westdeutschen Autoren die politisch-soziale-kulturelle Dimension des deutsch-deutschen Einigungsprozesses - sieht man einmal von der PEN-Diskussion ab - noch gar nicht als literarischen Gegenstand ernst nehmen. Vielleicht täuscht dieses Bild auf Grund der beigefügten Texte, wie überhaupt diese kurzen Beiträge kaum geeignet sind, einen tatsächlichen Einblick in die Werkstätten der Autoren zu bekommen. Spätestens hier zeigt sich, daß der Reiz der Selbstauskünfte und die Buntheit der Texte zugleich eine Schwäche der Publikation ausmachen. Nicht nur bezogen auf das Risiko, das mit der Wiedergabe eines nur winzigen literarischen Textes verbunden ist, sondern auch auf die von den Autorinnen und Autoren bereitgestellten lückenhaften biographischen und bibliographischen Daten. Eine objektive und vergleichende Übersicht ist damit nicht gegeben. Sicher, „ein buntes Autorenlexikon ist kein steriler Auszug aus einem Nachschlagewerk, das alles aufführt und am Ende nichts sagt“. Nur, wenn es trotzdem Lexikon sein will, warum dann der Verzicht auf exakte Lebensdaten und Übersichten? Vor allem aber: Nach welchen Kriterien außer dem Berlinbezug richtet sich die Aufnahme in dieses Berliner Autorenlexikon von A bis Z ? Oder sind es gar die Autoren Berlins? Darüber schweigen sich sowohl die Herausgeberin in ihrer redaktionellen Notiz als auch der Präsident der Akadmie der Künste in seinem Vorwort aus. Aufhebenswert bleiben für mich die zum großen Teil ausgezeichneten Fotos der Autorinnen und Autoren, die, wenn auch lückenhaften, biographischen und bibliographischen Informationen von den Autoren, die bisher noch nicht Eingang in Autorenlexika gefunden haben, und die Texte. Auf ein Berliner Autorenlexikon werden wir noch warten müssen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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