Eine Rezension von Klaus M. Fiedler

Der lange Weg nach Kanada

Jacob Arjouni: Magic Hoffmann
Diogenes Verlag, Zürich 1996, 281 S.

Kanada. Unendliche Weiten. Wälder. Uralte Bäume. Eishockey. Davon träumen Fred und Annette und Nickel. Nichts kann sie bremsen: Ihnen gehört die Welt. Das nötige Kleingeld? Kein Problem für Fred; ein kleiner Banküberfall - schon stimmt die Reisekasse.

Doch dann, wir ahnen es, kommt alles ganz anders, und Fred, unser Hauptheld, muß für vier Jahre ins Jugendgefängnis. Endlich wieder in der Freiheit, beginnt Freds Suche nach dem verlorenen Glück und Jacob Arjouni mit seiner Geschichte um einen jungen Mann, dessen naive Sicht auf das deutsche Land unserer Tage von verblüffender Realität ist. Wie durch ein Brennglas betrachtet Arjouni mit den Augen seines Helden die Welt, und die ist - zumal in dem häßlichen Moloch Berlin - verderbt und birgt für einen Träumer wie Fred manche Fallgruben. Der tappt dann auch prompt hinein, rappelt sich auf, fällt wieder hin, steht, fällt. Ein trauriger Ritter der modernen Zeit, den der Autor selbst so beschreibt: „Einige hielten ihn für dumm, andere für ein Großmaul, manche für beides. Tatsächlich war Fred dumm ebenso wie klug. Sagenhafte Einfalt wechselte sich mit überraschender Schläue ab.“

Über Jacob Arjouni, den jungen Türken mit deutscher Zunge, ist in den zurückliegenden Jahren so manches Füllhorn voller euphorischem Lob ausgeschüttet worden. Seine drei Kriminalromane Happy birthday Türke, Mehr Bier und Ein Mann, ein Mord wurden mit den Klassikern des Genres um Raymond Chandler oder Dashiell Hammett verglichen; seinen Haupthelden, den ständig verkaterten Privatdetektiv Kemal Kayankaya, stellten manche Kritiker auf eine Stufe mit Philip Marlowe und Sam Spade. Arjounis viertes Buch nun ist kein herkömmlicher Krimi, obwohl Fred auf kriminellen Spuren wandelt. Magic Hoffmann ist ein Entwicklungsroman, unsentimental, kritisch, ironisch und auch witzig. Der Autor, 1964 in Frankfurt am Main geboren, nimmt seine neue Heimatstadt Berlin aufs Korn und badet nahezu genußvoll in diversen Klischees. Nichts läßt er aus, die wodkasaufende Russenmafia nicht und nicht die Baseballschläger schwingenden Skins oder die ausgeflippten Punks; er schickt Fred in obskure Kneipen und Kreuzberger Wohnungen voller Rotwein und Kerzen und weltverbessernder Ideen. Seinem lakonischen Stil, wesentlich für den schmeichelhaften Vergleich mit den berühmten Krimi-Vorvätern, ist Arjouni treu geblieben. Wie Chandler liebt er das ungewöhnliche Bild, den überraschenden Gedankensalto. Schmitti beschreibt er als „einen Storch, der in zwei Ofenrohre gestiegen war“, er spricht von „Schuhen wie Jeeps“, von „Steckbriefaugen, von „Oberschenkeln wie prall gebundene Rollbraten“, von einem „Selleriegesicht“ oder Augen wie „Rindsglupschen“.

Was er über Berlin denkt, läßt Arjouni durch Moni, die Freundin Freds, treffend sagen: „Es geht nicht darum, ob sie schön oder häßlich ist, oder ob die Leute freundlich oder zum Kotzen sind - das weiß ich selber, daß Berlin in keiner positiven Disziplin einen Blumentopf gewinnen kann. Aber vielleicht ist es gerade das: Denn wenn einem in Berlin wegen einem Menschen, oder einer Straße, oder nur wegen eines netten Verkäufers das Herz aufgeht, dann hat das einen so gewaltigen Rahmen aus Mist, daß es fünfmal stärker wirkt als in einer Stadt, in der alles schön ist.“

Für Fred ist nichts schön in Berlin, sieht man einmal von der scheuen Liebe zur pokersüchtigen Moni ab. Und so muß er scheitern auf seiner Suche nach dem Zipfel Glück, das einst für drei junge Provinzler den Namen Kanada trug. Doch seinen Traum hat er sich bewahrt; das Leben mit Ecken und Kanten, mit Widersprüchen und Vertrauensbrüchen kann ihn nicht umwerfen: „I told you a hundred times: Call me Hopeman!“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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