Eine Rezension von Hans Aschenbrenner

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Robert Michel: Die Beziehungskiste
Ein Autobuch für Menschennarren.
DIETZ VERLAG BERLIN, Berlin 1995, 128 S., 457 Abb.

Trabis als Vierradtraktor, als Wüstenrallye-Fahrzeug, als Rikscha, als Betonmischmaschine, als Güllefahrzeug, als Jeep, ja sogar im „Doppelpack“, mit allerlei munteren Sprüchen und Slogans versehen - in kaum für möglich gehaltener Weise haben sich seit der Wende Phantasie und Einfallsreichtum an dem Zwickauer Pappkameraden austoben können. Und nach wie vor scheint die „Legende auf Rädern“, obwohl nicht mehr produziert, keineswegs gewillt, so ohne weiteres von der Bildfläche zu verschwinden. Der Straßenfotograf und Publizist Robert Michel muß das vorausgesehen haben, und er hat weder Zeit und Mühe, noch Kosten gescheut, um mit der Kamera möglichst viele jener kunterbunten, originell gestylten, nicht selten aber auch nur wenig oder unveränderten Trabis auf Zelluloid zu bannen.

Fotos sagen viel aus über die Mentalität desjenigen, der sie gemacht hat. Keine Frage, die in dieser großformatigen Publikation vorgestellten Bilder sprechen für sich, und jeder Betrachter wird ihnen seine eigenen Reflexionen entgegenbringen. Da sind beispielsweise Aufnahmen zu sehen, die Trabis in ihrem ursprünglichen Outfit zeigen, aber vor einer Sparkasse mit dem Spruchband über der Eingangstür „TAG DER EXISTENZGRÜNDER“, vor einer Stuyvesant-Werbetafel mit dem Slogan „COME TOGETHER“, vor einer riesigen Tafel mit der Aufschrift „Gebt mir ein Leitbild“ oder vor einer Filiale der Deutschen Bank, auf deren Aufstellern den Ostberlinern die frohe Kunde überbracht wird: „Ab jetzt für Sie da“.

Obwohl gänzlich auf Bildtexte verzichtet wird, ist das Buch keinesfalls textlos (und schon gar nicht sprachlos). Zum einen sind da die Losungen, die Trabibesitzer an allen möglichen (und unmöglichen) Stellen ihrer Fahrzeuge angebracht haben. Die Palette reicht von Ein-Wort- bzw. ganz kurzen Botschaften („Auto“, „Eilt“, „Trauma“, „Luxus“, „Linientreu“, „Bärenstark“, „Knattertonne“, „Strudelbildung“, „Na und!?“, „Neidisch, wa?“, „100 Panik Stärken“, „Go Trabi go“, „Held der Arbeit“, „Trabbi ist besser!“, „Leistungsarm & abgasstark“, „Kraft der zwei Kerzen“, ... ) bis zu längeren Bekundungen („Autos aus Pappe brauchen Fahrer aus Stahl“, „Ich befinde mich gerade im Aufbau“, „Perfektion läßt sich nicht verbessern“, „Als Gott die ander'n Autos schuf, hat er nur geübt“, ...).

Zum anderen sind die 457 Fotos, die - ausgewählt aus einer wesentlich größeren Anzahl - letztlich in das Buch aufgenommen werden konnten, zu 90 Fotostories „verdichtet“ worden, indem man jeweils mehrere Bilder sehr hintersinnig formulierten Headlines, d. h. inhaltlich und gestalterisch als Klammern fungierenden Stichworten, zugeordnet hat. Unter der Titelzeile „Wurzelbehandlung“ sind beispielsweise auf vier Seiten 35 Abbildungen von geänderten DDR-Kennzeichen zu sehen. So mancher Fahrer hat nach der Wende das DR überklebt oder überpinselt, und schon war aus DDR ein D wie Deutschland geworden. Auf den Kopf gestellte Kennzeichen sind ebenso abgebildet wie andere, die mit unterschiedlichsten Aufklebern verziert wurden. Das Stichwort „Mummenschanz“ ist auf sechs Seiten der Festpunkt für besonders auffallend gestylte Trabis, unter ihnen einer, der mit Tausenden Briefmarken beklebt ist. Relativ oft begegnen dem Leser innerhalb verschiedener Fotostories Trabis als Werbeträger: für die Plüsch-Tierwelt Kösen (unter dem Stichwort „Spielkiste“), für Waren des täglichen Bedarfs in den neuen Bundesländern („Einer für alles“), für das MobMagazin („Spannungsgebiet“), für Erotik-Traumland - mit konkreter Adresse übrigens („Ekstase“), für TIP-Discount („Fließender Verkehr“), für Ford („Kuhhaut“), für eine Arztpraxis aus Goyatz („Grüße aus ...“), für die Olympiabewerbung Berlins („Bärendienst“), für die Freiwillige Feuerwehr Schönhausen („Elemente“) u. a. mehr. Zusammengefaßt unter „Amore“ werden Trabis mit den Aufschriften „I LOVE KATRIN“, „I LOVE MY TRABI“, „Ich liebe Euch alle“. Unter dem Stichwort „Sippschaft“ erscheinen „CARLOTTE“, „OTTO“, „Onkel Holle“und „ANJA 2“; unter dem Stichwort „Erbschaft“ dann „BABY“, „Frohes Fest“ (zu sehen ist ein als Geschenk eingepackter Trabi), „Du sollst mein Glücksschwein sein“ sowie schließlich sogar „... sponsored by Oma“. Besonders gelungen ist auch die Zusammenstellung von Fotos unter dem Stichwort „Lockerungsübung“ mit Strichmännchen an Trabi-Türen, die Klimmzüge machen, oder mit feinen Scherenschnittfiguren, als ob sie aus einem Märchenbuch stammen würden.

Der Leser blättert in einem Bilder-Buch, in einer Auto-Biographie voller Witz, Humor, aber auch Sarkasmus, Ironie wie Selbstironie. In Erinnerung gebracht wird so ganz nebenbei manches interessante Detail über ein kurzes, aber einschneidendes Wegstück deutscher Geschichte der Wende- und Nachwendezeit. Für Interessenten von Nach-Trabi-Generationen ist dokumentarisch festgehalten, daß das einstige Kultmobil zwischen Kap Arkona und Fichtelgebirge Kultmobil geblieben ist - wenn auch vor allem für die Mitglieder eingeschworener Fanclubs und für Freaks, die es inzwischen auch über die Grenzen der einstigen DDR hinaus gibt.

Entstanden ist ein assoziations-, ein beziehungsreiches Bilder-Buch, keine Straßenbildersammlung aus dem Bereich der Automobil- und Technikfotografie. In einem Zeitungsbeitrag hat der Autor dies kürzlich in die Frage gekleidet, „gerichtet an die Damen und Herren Buchhändler“, ob sie denn noch immer der Meinung seien, die „Beziehungskiste namens Trabi“ stünde im Regal „Auto, Haus und Garten“ tatsächlich richtig. Robert Michel hat bereits mit zahlreichen Pressepublikationen und Bildgeschichten in Zeitschriften und Büchern auf sich aufmerksam gemacht (z. B. Fotoband „FeuerWasserLand. DDR, das letzte Jahr“ oder „Ein Heimatalbum“) und viele Ausstellungen, darunter sechs mit seinem Trabimaterial, bestritten. An letzterem Thema wird er (selbst nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis!) wohl noch eine ganze Zeit dranbleiben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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