Eine Rezension von Christian Kuvenmaker

Der Skinhead-Kult - Nachdenken über eine Jugendszene

Klaus Farin: Skinhead - A Way Of Life
Eine Jugendbewegung stellt sich selber dar.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1996, 219 S.

Als Lebensweise (a way of life) beschreibt der inzwischen durch mehrere empirische Untersuchungen von Jugendkulturen in Erscheinung getretene Autor den Gegenstand der vorliegenden Publikation - den Skinhead-Kult. Damit versucht er sich bewußt von den vorherrschenden Sichtweisen der Medien oder der intellektuellen und wissenschaftlichen Diskurse abzugrenzen, die diese Jugendkultur lediglich unter den Gesichtspunkten „Jugendgruppengewalt“ bzw. „Rechtsextremismus“ abzuhandeln versuchen oder sie als eine irrationale Subkultur mit antigesellschaftlicher Tendenz betrachten. Sein Anliegen ist es, mit dem Erstellens einer authentischen Bestandsaufnahme der gesamten Skinhead-Szene einen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen gegen diese Subkultur zu leisten. Dieses Anliegen möchte er aber nicht als Sympathiewerbung verstanden wissen, denn das wäre das letzte, was sich Skinheads selbst wünschten. Daß es ihm sonst schwer fällt, diesem Anspruch gerecht zu werden, d. h. seine eigenen Sympathien völlig in den Hintergrund treten zu lassen, beweisen seine Fernsehauftritte in Talkshows, wo er gern als Experte für diese Jugendszene herangezogen wird. Die bei Farin deutlich sichtbar werdende emotionale Verbundenheit mit den Subjekten seiner empirischen Untersuchungen - den Skinheads und den heutigen Jugendlichen ganz allgemein - äußert sich in einer Art wohlwollendem Protektorat, nimmt er doch oft beharrlich diese Jugendlichen gegenüber berechtigten und unberechtigten Angriffen in Schutz. Die hier Angesprochenen ihrerseits spüren, daß sie ernst genommen werden, daß es jemand ehrlich mit ihnen meint und quittieren das mit einem beachtlichen Vertrauen, daß sie ihm entgegenbringen.

Dieses Buch ist der erste Beitrag eines auf drei Bände konzipierten Projektes. Der vorliegende erste Band enthält eine in diesem Umfang bislang einzigartige Darstellung der gegenwärtigen Skinhead-Szene in Deutschland auf der Grundlage von Texten, Photos und Zeichnungen, die mehr als 250 Skins zu diesem Buch beigesteuert haben. Gegliedert ist das Buch in zehn Kapitel, die Interviews zu den Bereichen Lebensgefühl, Klassenbewußtheit, Szene-Musik, Szene-Lieferanten, Skin-Mode, Skinheads und Politik, Nationalismus und Skin-Fanzines enthalten. Abgeschlossen wird das Buch mit einem „ultimativen Skin-Test“, der allerdings nicht ganz ernst zu nehmen ist.

Interessant und für Außenstehende sicherlich überraschend ist die Widersprüchlichkeit der Skinhead-Szene, die sich auf politischem Gebiet am krassesten äußert. Vermutet man aufgrund der durch die Medien vermittelten Bilder bei dieser Subkultur eine eindeutige rechtsextreme Grundorientierung, so erfährt man im Buch nicht nur etwas über die antirassistischen Sharp-Skins oder die sogenannten Gay-Skins, sondern wird auch darüber informiert, daß gemäß einer 1994/95 erfolgten Fragebogenerhebung die PDS mit 26,2% aller Wählerstimmen zur „Skinhead-Partei Nummer 1“ avanciert ist. Die SPD könnte 21,5% für sich verbuchen. Lediglich 28% der befragten Skinheads würden die vorherrschenden Erwartungen erfüllen und den verschiedensten rechten Parteien ihre Stimme geben, wobei auch in diesem „rechten“ Spektrum deutliche Abstufungen von den nicht-neonazistischen „Patrioten“ bis zu den NS-orientierten Blood & Honour-Skins zu verzeichnen sind. Betrachtet man die auch sonst vorherrschenden verschiedenen Orientierungen und die innerhalb dieser Jugendszene - selbst zwischen den einzelnen „Fraktionen“ - untereinander gepflegten Feindbilder, so erhebt sich die Frage, ob es sich bei den Skinheads überhaupt um eine einheitliche Subkultur handelt. Ein gemeinsamer Nenner scheint in der ablehnenden Haltung gegenüber der „Bonzen- und Spießergesellschaft“ bei gleichzeitiger Lebens- und Zukunftsbejahung (was sie von den Punks unterscheidet) zu bestehen, doch könnten Aussagen wie z. B. Skinhead sein bedeutet „ein Lebensgefühl, das nie einer verstehen wird, der nicht dabei gewesen ist“ (S. 13) auch mit jeder anderen Jugendkultur seit der Wandervogelzeit in Verbindung gebracht werden. Das Geheimnis dieser heterogenen und auf partielle Abgrenzung zur Großgesellschaft bedachten Subkultur scheint demnach mit dem diffusen Begriff „Lebensgefühl“ noch nicht ausreichend beschrieben zu sein, also auf einer ganz anderen Ebene zu liegen. Offensichtlich dient der Skinhead-Kult, wie die anderen Jugendkulturen auch, als ideelle Basis und zur Legitimation eines Bedürfnisses nach Überschaubarkeit und Geborgenheit in der Kleingruppe (Clique). Dieses Bedürfnis, das nach den Auffassungen des österreichischen Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt zu unserem steinzeitlichen Erbe gehören soll, äußert sich offensichtlich in der Suche nach dem Kontrasterleben von Anonymität, das der Suchende bei verschiedenen Subkulturen zu finden glaubt, die aber lediglich einen je nach sozialer Stellung und Mentalität gewählten kulturellen Rahmen dazu abgeben. Dieses Bedürfnis zeigt an, daß die moderne anonyme Großgesellschaft noch nicht bzw. nicht mehr durchgehend als identitätsstiftende Institution angenommen wird.

Auffallend ist in diesem reich mit Photos versehenen Buch auch die Mode der Skins, die sich mehrheitlich am englischen Vorbild orientiert und Außenstehende an die 60er und 70er Jahre erinnert, also irgendwie altmodisch erscheint. Der Skin Andreas äußert sich dazu im Buch wie folgt: „Das Skinhead-tum ist wohl eine eindeutig konservative Strömung, wobei dies nicht heißt, daß ich politisch konservativ gesinnt bin. ... Meine Sympathien gelten dem konservativ-britischen Stil. Einfache, aber sehr elegante Kleidung aus gutem Material, polierte Schuhe, einen schicken Kurzhaarschnitt, die Liebe zu England, mit allem, was dazugehört, sei es jetzt Whisky oder Porridge, Britisch Soul oder die alten ‚Mit Schirm, Charme und Melone‘-Folgen.“(S. 29)

Handelt es sich bei diesen Skinheads mit ihrem eindeutigen Bekenntnis zu britischen Kulturäußerungen einfach nur um „konservative“ Persönlichkeitstypen, die sich nur in einer englischen Formensprache zu artikulieren wissen, oder haben wir es hierbei mit einer Verirrung des ethnischen Selbstbewußtseins zu tun? Im Kopieren englischer Vorbilder tritt wohl auch ein Teil des Irrationalismus der gegenwärtigen deutschen Skinhead-Bewegung deutlich zutage, denn es mutet schon etwas eigenartig an, deutsche Skinheads, ihre englischen Vorbilder nachahmend, mit britischen Symbolen ausgestattet zu sehen. Es ist vom Inhalt her betrachtet eben etwas anderes, ob ein englischer Skin den Union Jack (britische Nationalflagge) zu einem Symbol seiner Bewegung erklärt oder ob dies ein deutscher Jugendlicher tut. Über die Ursachen der Herausbildung solcher irrationaler Identitäten bei deutschen Jugendlichen müßte stärker nachgedacht werden, wozu das Buch dem kritischen Betrachter interessante Anregungen liefert.

Trotz dieser Irritationen, denen vieleicht der Leser ausgesetzt sein könnte, ist das Nachdenken über die eigene Bewegung, die Selbstreflexion bei Angehörigen der Skinhead-Bewegung wahrscheinlich weit stärker ausgebildet als in vergleichbaren Jugendkulturen. Das läßt sich jedenfalls den in diesem Buch dokumentierten Aussagen der Skins entnehmen. Der permanente Rechtfertigungsdruck, dem Skinheads in allen Lebensbereichen ausgesetzt sind, zwingt viele Angehörigen dieser Subkultur dazu, sich stärker auch über ihr eigenes Denken und Handeln Klarheit zu verschaffen. Schließlich geht es ihnen darum, sich selbst und der Gesellschaft zu beweisen, daß die Skinhead-Bewegung mehr ist, als nur „Saufen und Randale“, - als eine irrationale Subkultur mit antigesellschaftlicher Tendenz.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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