Eine Rezension von Peter Freese

Literarische Gesellschaften in Deutschland. Ein Handbuch.

Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Literarischer
Gesellschaften e. V. Bearbeitet von Christiane Kussin.
Aufbau-Verlag, Berlin 1995, 390 S.

Zu den Dingen, die Deutschlands Ruhm in Geschichte und Gegenwart ausmachen, gehören dessen Dichter und Denker und die zwar oft spöttisch belächelte, dabei jedoch unverdrossen betriebene Vereinsmeierei. Dabei kommt Ersprießliches heraus, wenn Deutsche sich zusammenfinden, um zum eigenen und zum Ruhme deutschen Geistes sich eine dafür geeignete Organisationsform zu geben: die literarische Gesellschaft. Wer allerdings bisher angenommen hatte, der unauslöschliche Drang der Deutschen, sich in einem Verein zusammenzuschließen, und die schier unüberschaubare Menge deutscher Denker und Dichter von gestern und heute würde zu einem tausende literarische Gesellschaften umfassenden Nachschlagewerk gerinnen, wird enttäuscht sein, wenn er feststellen muß, daß es gegenwärtig nur ganze 106 von ihnen gibt. Soviele sind es zumindest, die sich 1986 zum Oberverein Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften zusammengeschlossen haben und in diesem Handbuch vorgestellt werden. Wie es sich für ein übersichtliches Handbuch gehört, sind die Vereine alphabetisch geordnet und mit Bild-Text-Porträts versehen, die in unterschiedlicher literarischer Qualität die Gesellschaft (Verein, Stiftung, usw) vorstellen. Bei einigen Vereinen zeigt sich, daß ein Verein eben eine übergeordnete Sprachform besitzt, die sich von der Sprache des verehrten Denkers und Dichters wenig irritieren läßt. Verblüfft nimmt der Rezensent jedoch zur Kenntnis, daß es nicht wenige Vereine gibt, in denen sich unter den Vorstandsmitgliedern oder Mitgliedern offensichtlich keiner fand, der geeignete Worte zur Porträtierung seiner literarischen Gesellschaft fand. Diesen Part übernahm dann meist Sven Arnold, den er, dies sei gelobt, mit Bravur meisterte. In einer informativen Einführung wird der Nutzer dieses Handbuches darauf eingestimmt, daß die literarischen Gesellschaften keinesfalls einem gleichen Strickmuster folgen, sondern sich unterscheiden nach Arbeitsschwerpunkten, Wirkungsbereichen, rechtlicher Konstruktion, nach regionalem und überregionalem Anspruch, nach Themen oder individuellem Werk, in Mitgliederzahl und Gründungsdatum, in Arbeitsweise und öffentlicher Wirkung. Darüber geben nicht nur die Porträts Auskunft, sondern auch eine angefügte Statistik, die dem Unkundigen manche Überraschung bietet. Das beginnt bereits hinsichtlich der Größe: Die Ortsvereinigungen der Goethe-Gesellschaft zählen rund 10 000 Mitglieder, die Goethe-Gesellschaft in Weimer 4 500, gefolgt von der Literarischen Gesellschaft (Scheffelbund) mit 5 000 Mitgliedern und der Deutschen Schillergesellschaft mit 3 700 Mitgliedern. Während die Position Goethes und Schillers an der Spitze niemanden verwundert, überrascht auf den ersten Blick die des Scheffelbundes. Es reicht also nicht, allein in die Statistik zu tauchen. Erst in den Porträts erfährt der Nutzer etwas über Anliegen und Wirkung solcher literarischen Gesellschaften, wie der Europäischen Märchengesellschaft, der Fehrs-Gilde, der Inklings-Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Westerns und des Literarischen Colloquiums, das von der Mitgliederstärke her gesehen mit 14 an letzter Stelle steht, was jedoch der nachhaltigen Wirkung dieser als auch anderer kleiner Gesellschaften keinen Abbruch tut. Die detaillierte statistische Übersicht über die Periodika, Publikationen, Veranstaltungen, Museen, Galerien, Institutionen, Preise, Stipendien usw. der literarischen Gesellschaften beweist dies. Die älteste noch existierende literarische Gesellschaft ist das Freie Deutsche Hochstift/Frankfurter Goethemuseum (gegr. 1859), die jüngste die Forum Vormärz Forschung (1994). Wer sich nach dem Studium dieses Handbuches schließlich animiert fühlt, endlich Mitglied einer literarischen Gesellschaft zu werden, dem wird der Schritt insofern erleichtert, als er hier auch die Anschrift, die Höhe der Mitgliedsbeiträge, die Namen und die öffentliche Stellung sowie den wissenschaftlichen Rang der Vorstandsmitglieder erfährt. Doch Vorsicht, nicht in jedem Verein kann man so einfach Mitglied werden, auch unter den literarischen Gesellschaften gilt Exklusivität. Klein, aber fein ist die Zahl der Mitglieder des Literarischen Colloquiums, die mit 14 nicht überschritten werden darf, sind diese doch „allesamt namhafte Vertreter des Berliner Kulturlebens, der Literaturwissenschaft sowie verschiedener künstlerischer Bereiche, ... die nur berufen werden können“ . Daß Deutschlands Dichter und Denker vor allem männlichen Geschlechts waren und zu seien scheinen, bestätigen einmal mehr die hier vorgestellten deutschen Literaturvereinigungen, von denen ganze acht eine Dichterin zu ihrer Namensgeberin auserkoren haben. Doch dafür sind Herausgeber und Verlag dieses für die Orientierung im Leseland Deutschland wichtigen Handbuches nicht verantwortlich.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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