Eine Rezension von Bernd C. Hesslein

Vorwärts in die Vergangenheit oder
Die seltsame Abrechnung des Genossen Farthmann mit seiner Partei

Friedhelm Farthmann: Blick voraus im Zorn - Aufruf zu einem
radikalen Neubeginn der SPD
Econ-Verlag, Düsseldorf 1996, 240 S.


Als der prominente CDU-Politiker, Schatzmeister seiner Partei und erfolgreicher Geschäftsmann Walter Leisler Kiep sich aus dem Kabinett des wenig erfolgreichen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht überraschend zurückzog, war der Volksmund schnell mit einem treffenden Spottwort zur Hand. „Ein Edelnerz verläßt das sinkende Schiff“, nannte er einen solchen instinktsicheren Abgang von der politischen Bühne.

Zur Zeit ist es die SPD, die mit Abgängen und Abgesängen dieser Art auf sich aufmerksam macht. Kürzlich war es der in den Medien allgegenwärtige Peter Glotz, der seinen fluchtartigen Rückzug aus Bundestag und Parteiämtern weithin publizierte. Jetzt hat Friedhelm Farthmann seinem Abschied aus der Politik gleich ein Buch gewidmet.

Man nimmt es mit Interesse, ja gar mit Spannung in die Hand. Immerhin ist der Autor das, was Herbert Wehner als einen alten Fuhrmann der Partei bezeichnete: vierzig Jahre Parteimitglied, davon je zehn Jahre Minister und Fraktionschef im größten Land der Bundesrepublik, in Nordrhein-Westfalen.

Doch dann ist man leider schnell enttäuscht, denn schon auf den ersten Seiten zeigt sich, hier schreibt einer sich seine persönlichen Enttäuschungen von der Seele. So ist es kein fruchtbarer Zorn, der ihm die Feder führt, und leider auch kein Blick nach vorn, wie das Wortspiel des Titels verspricht. Eher sind es alte Kamellen. Und doch ist das Buch hochinteressant. Nicht in dem, was es verspricht oder was man von ihm erwartet. Um so mehr aber in dem, was der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Friedhelm Farthmann für die Ursachen der bestürzenden Formschwäche der SPD hält und durch seine massiven Abneigungen gegenüber Linken und Grünen, liberalem Strafrecht und öffentlicher Kontrolle der Wirtschaft manifestiert.

Farthmann leidet an der Inkonsequenz seiner Partei und predigt sie selber. Mal stimmt er dem deutsch-britischen Politologen Ralph Dahrendorf in seinem Diktum zu, daß das Jahrhundert der SPD zu Ende sei, weil sie den sozialen Staat durchgesetzt und damit sich selber überflüssig gemacht habe. Dann aber sieht er die Sozialdemokratie als notwendiges Korrektiv in seiner marktwirtschaftlich orientierten Wettbewerbsgesellschaft. Mal preist er den endgültigen Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus und sieht, wie Helmut Kohl, nur noch blühende Landschaften. Dann aber warnt er vor der Wachstumsideologie auf eine für einen Sozialdemokraten doch befremdliche Weise: Wachstum war gut für uns, die westdeutsche Gesellschaft; nun aber muß Schluß sein, denn Wohlstand und Überfluß für alle, für demnächst rund sieben Milliarden Menschen, ruiniert diesen Planeten. Wohl wahr, darum auch wird die Ausbeutungs- und Abgrenzungs-Ökonomie der Globalisierung in Gang gesetzt.

Wie es nun anders gehen soll, weiß Farthmann weder in den schmalen 102 Seiten seines recht summarischen Zorns, noch in den folgenden 114 Seiten seines Interviews mit dem stellvertretenden WOCHE-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges zu sagen.

Doch eines wird aus diesem schlichten Buch klarer als etwa in den manchmal übergescheiten Analysen des Peter Glotz: Der SPD geht es wie Buridans Esel. Unfähig, zwischen eigner Überzeugung und politisch Opportunem eindeutig zu wählen und auch dafür zu kämpfen, hungert sie sich politisch selber aus. So weiß man auch nie so richtig, wofür man ist, wenn man der SPD seine Stimme gibt. Als man sie wählte, weil sie gegen Wiederaufrüstung und NATO war, befand man sich plötzlich mit ihr auf der Gegenseite.

Immer wieder haben die Sozialdemokraten diesen Spagat des Dagegen und doch Dabeisein vollbracht: in der Wiedervereinigung wie im UNO-Engagement der Bundeswehr und schließlich auch beim Asylrecht.

Charismatische Parteiführer wie Kurt Schumacher und Willy Brandt, aber auch der resolute und machtbewußte Helmut Schmidt haben diesen politischen Webfehler der Partei sowohl durch ihre Persönlichkeit als auch mit Hilfe der legendären Parteidisziplin überdeckt. Doch nun gibt es weder ausreichende Persönlichkeiten noch Parteidisziplin, und die große Volkspartei steht da wie in des Kaisers neuen Kleidern.

Dieses ungewollt sichtbar gemacht zu haben ist das Verdienst dieses Buches.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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