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Das Ich - seine Täuschungen und ErfindungenUrs Bircher: Mit Ausnahme der Freundschaft |
Urs Bircher hält sich mit eigenen Deutungen immer etwas zurück, er summiert die Stimmen der Zeit, der damaligen Kritik. Daß sich der nunmehr erfolgreiche Autor Frisch einen komfortablen Lebensstil leistete, ist die eine Seite. Auf der anderen Seite, und das ist heute kaum bekannt und für gegenwärtige literarische Verhältnisse auch nahezu märchenhaft, unterstützte Max Frisch zahlreiche Kollegen mit großzügigen Spenden. Dem Dichter Günter Eich beispielsweise ließ er anonym 30 000 Mark zukommen.
Übers Schreiben äußerte sich Frisch ganz und gar anders als Brecht. Nicht Verantwortungsgefühl gegenüber der Wirklichkeit, vielmehr galten ihm Lust am Schreiben, aus unbekümmertem Spieltrieb, aus natürlicher Machlust, naiv und rücksichtslos, verantwortungslos. Sich selbst wollte er in der Welt ertragen, um seine Dämonen zu bannen. Ein ausführliches Kapitel nimmt sich der Beziehung Frischs zu Ingeborg Bachmann an. Wie gelebtes Leben Literatur wird, wie unterschwellig die poetischen Gegensätze wirken, wie es zu Streit und Zerwürfnissen kommt, alles ist, soweit die Quellen es bis dato verraten, hier ausgebreitet und kommentiert. Urs Bircher räumt ein, daß die Beziehung Frisch-Bachmann vermutlich erst in den Jahren 2011 und 2025 genauer zu rekonstruieren sein wird, wenn die privaten Briefe der beiden entsiegelt werden. Dann, spätestens dann, wird es auch eine neue Frisch-Biographie geben. Noch muß sich der Leser mit dem gegenwärtigen neuesten Stand der Dinge begnügen. Und da ist Urs Bircher eine gute Quelle. Frisch hatte einst, wie eingangs bereits zitiert, Brecht die durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers attestiert. Mit dem Stück Andorra, lesen wir, holte sein kluges Bonmot ihn selber ein.
Das Ich und seine wandlungsreichen Erfindungen spielt für den Gantenbein eine große Rolle. In Lila, der Ehefrau Gantenbeins, sah sich Ingeborg Bachmann mißbraucht. Doch Frisch kommentierte: Lila ist überhaupt keine Figur. Und das ist ja der Jammer, der erzählt wird. Erlebnisse, Erfindungen und Täuschungen, der Autor Frisch hat regen Gebrauch von allem gemacht. Und nicht alles kann der Leser, auch nicht der Chronist und Historiker, aufklären. Wie gut auch, daß es so ist. Denn letztendlich steckt in jeder anspruchsvollen Literatur ein Körnchen Geheimnis, das nicht aufzuklären ist, nicht einmal der Aufklärung bedarf.
In einem Exkurs seines Buches versucht Bircher zu zeigen, daß der Intellektuelle als Kleinbürger des 20. Jahrhunderts schlechthin zu gelten habe. Und Max Frisch ist ihm dafür ein exemplarisches Beispiel. Vielleicht hat er recht, möglich aber auch, daß der Begriff des Kleinbürgers überzogen verwendet wird. Es kennzeichne, so der Autor, die Existenzerfahrung des intellektuellen Kleinbürgers, daß er sich im sozialen Rahmen als Gesteuerter erfährt, der nicht weiß, was ihn steuert, dem seine Lebenswirklichkeit daher undurchschaubar ist. Sind dann im modernen Leben alle Kleinbürger, oder durchschaut der Nicht-Kleinbürger, wer immer das auch sein mag, seine Lebenswirklichkeit besser? Es genügt sicher nicht, mehr den Kleinbürger als sozio-ökonomische Kategorie zu sehen, denn das sind läppische, überholte Muster, ideologisch verschwiemelt und mithin unbrauchbar.
Alles in allem ist dies eine lebendige Darstellung der Werk-, Lebens- und Wirkungsgeschichte von Max Frisch. Ihn einmal gar als Literaturstar zu bezeichnen ist der bisweilen saloppen Diktion von Urs Bircher geschuldet. Was bleibt von Max Frisch, wird der Leser der Zukunft beantworten. Frisch selbst war zuletzt skeptisch, wenn er schrieb: Man endet notwendigerweise damit, seinen Garten zu bestellen; alles übrige, mit Ausnahme der Freundschaft, hat wenig Bedeutung.