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Joachim Kleine

Friedrich Fontane Verleger und Nachlaßverwalter seines Vaters

 

Prolog

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze - meinte Schiller. Und wie ergeht es dem, der hinter den Kulissen einem großen Werk zum Ruhm verhilft? Ihm weiß oft nicht einmal die Mitwelt rechten Dank. - Auch in Friedrich Fontanes Leben und Wirken - und was darüber bekannt geworden ist - scheint sich das zu bestätigen.

Seine Persönlichkeit und sein Bemühen um das literarische Werk seines Vaters sind schon im Familienkreise eher abschätzig beurteilt worden. Spätere Betrachtungen beschränkten sich zumeist auf knappe Information und lassen Wertschätzung oft nur unter Vorbehalt erkennen. Verglichen mit seiner Schwester Mete blieb Friedrich Fontane gewissermaßen ein Stiefkind der Forschung, auch der großen Fontane-Liebhaber-Gemeinde. Allerdings fällt ein eigentümlicher Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf: Vom ersten Dezennium an bis gegen Ende der 30er Jahre galt Friedrich Fontanes Adresse geradezu als ein Mekka für Fontaneforscher, -herausgeber, -übersetzer und -verehrer aus aller Welt. Unterbrochen wurde die rege Kommunikation mit ihm lediglich in den für Literatur verderblichen Zeiten des Weltkrieges und der kritischen Jahre danach, dann noch einmal zwischen 1928 und 1933, als die Erben den Fontane-Nachlaß für die Öffentlichkeit schlossen und seinen Verkauf betrieben. Dann überzog der Zweite Weltkrieg Europa. Am 22. September 1941 starb Friedrich Fontane, 77 Jahre alt, in Neuruppin. Danach wurde und blieb es lange still um ihn. Erst nach dem Wiederaufbau des Potsdamer Fontane-Archivs, etwa ab Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre, dann erneut seit 1995 begann sich die Forschung wieder seiner zu erinnern, meist im Zusammenhang mit den Schicksalen von Theodor Fontanes literarischem Nachlaß und des Fontane-Archivs. Aufsätze von Hermann Fricke (1964 und 1966), später von Christel Laufer (1974) würdigten mehr oder weniger auch das Wollen und Wirken Friedrich Fontanes. Als bisher gründlichste und aufschlußreichste Arbeit darüber empfand ich den Essay und die Dokumentation von Manfred Horlitz im Archiv-Gedenkbuch 1995. Dank schulden wir Helmuth Nürnberger für die erstmalige Publikation des jahrzehntelangen, vergeblichen Bemühens um Legitimation zweier unehelicher Kinder Friedrich Fontanes im Band 46/95 des Jahrbuchs für Brandenburgische Landesgeschichte. Dieses Familiendrama ist erst seit der Übergabe von Briefen und Erinnerungen Friedrich Fontanes und einiger seiner Nachkommen durch die inzwischen verstorbene Enkelin Margret Hofmann (sie wohnte in Reutlingen und gehörte bis zu ihrem Tod unserer Gesellschaft an) bekannt geworden. - Nicht zuletzt seien der Kommentar Kurt Schreinerts zu Briefen Georg und Hans Friedlaenders an Friedrich Fontane in Heft 4/67, Gotthard Erlers Bemerkungen zur Dominik-Ausgabe in H. 7/68 der Fontane Blätter, neuerdings schließlich Gabriele Radeckes schöne Präsentation bisher unbekannter oder nur teilweise veröffentlichter Briefe Theodor Fontanes an seinen Jüngsten in den Fontane Blättern Nr. 64/97 hervorgehoben. - Alle diese Abhandlungen beschränken sich freilich auf einzelne Aspekte. Noch fehlt es an einer umfassenden Biographie und an einer zusammenhängenden Darstellung der Geschichte des Verlages F. Fontane & Co. Die Korrespondenz des Verlages und mancherlei andere Zeugnisse seiner Tätigkeit - vor einigen Jahren sind sie erst einmal gesichtet und geordnet worden, obgleich sie sich vermutlich schon seit 1935 oder 1936 im Fontane-Archiv befinden. Mit einer ausführlichen Kommentierung der Verlagsverträge im Heft 68 der Fontane Blätter ging Klaus-Peter Möller daran, dieses beträchtliche Stück Neuland unter den Pflug zu nehmen. Auf diesem Feld wird man zwar - ich sage es ein bißchen boshaft - kaum kapriziöse oder abartige Sensatiönchen züchten können. Um so mehr aber dürfte sich dadurch das Urteil stärken lassen - und das sei meine Ausgangsthese: Dieser Friedrich Fontane, er hat sich um die Bewahrung und Verbreitung des literarischen Vermächtnisses seines Vaters verdienter gemacht als alle anderen Hinterbliebenen. Friedrich Fontane war es, der zum ersten Hauptverleger des gesamten Alterswerkes Theodor Fontanes wurde und die ersten Gesamtausgaben veranstaltete. Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat er dieses Werk als „Nummer-1-Verleger“ nach seinem besten Wissen und Können editorisch betreut. Was im Laufe der Zeit vom Nachlaß des Dichters vernichtet, was daran verdorben, entstellt, verfälscht oder in alle Winde verstreut wurde - er verschuldete es am wenigsten. Zum weitaus größeren Teil war das der Ungunst der Umstände und dem Versagen anderer zuzuschreiben - darunter seiner Schwester Mete; die wäre - von ihrem Verstand, ihrer Sachkenntnis und vom Vertrauen ihres Vaters her - zur eigentlichen Gralshüterin berufen gewesen. Leider wurde sie dieser Berufung - aus welchen Gründen auch immer - nicht gerecht. Dagegen war es Friedrich Fontane, der sich um den literarischen Nachlaß seines Vaters jahrzehntelang tätig bemühte, ihn verwahrte, ordnete und auf Tausenden Seiten kopieren ließ. Ohne diese Kopien, die sogar das Chaos von Kriegszerstörungen und Plünderungen von Restbeständen überdauerten, wären die reichhaltigen Fontane-Briefausgaben späterer Zeit nicht möglich gewesen; denn fast alle Originale wurden 1945/46 gestohlen. Sie konnten auf dem Autographenmarkt erst teilweise und für Unsummen Geldes zurückgekauft werden. - Es kann nicht deutlich genug gesagt werden: Die Erschließung und Publikation des väterlichen Gesamtwerkes betrieb Friedrich Fontane am energischsten, und er setzte sie gegen vielerlei Widerstände auch durch, soweit ihm das möglich war. Das tat er, obwohl ihm zunächst nicht einmal eine Mitentscheidungsbefugnis über den literarischen Nachlaß Theodor Fontanes zuerkannt worden war. Als 1928 die gesetzliche Schutzfrist für diesen Nachlaß endete, die beiden noch lebenden Erben seine weitere Verwertung finanziell nicht mehr tragen konnten und sich deshalb zu ersten Verkäufen, schließlich zu der verhängnisvollen Auktion von 1933 entschlossen, war es wiederum Friedrich Fontane, der die Aufsplitterung der Handschriften und alles übrigen Gesammelten mit seinen bescheidenen Mitteln durch Verkaufsangebote an die Preußische Staatsbibliothek - man kann sagen zum Schleuderpreis - mehrmals vergeblich zu vermeiden suchte. Schließlich fand er einen Weg, um die damals noch beträchtlichen Reste des Fontane-Nachlasses in öffentliche Hand zu geben und damit das Fontane-Archiv als staatliche Institution zu begründen. Mit einem Satz gesagt: Die Sorge um des Vaters Lebenswerk wurde zu Friedrich Fontanes eigenem Vermächtnis. Wer von den anderen Erben, frage ich Sie, hätte Gleiches von sich sagen können?

„... ein guter, lieber Junge, aber unbedeutend“

An der Wiege ist ihm das freilich nicht gesungen worden. - Am 5. Februar 1864 in der Berliner Hirschelstraße 14 als siebentes und letztes der Fontane-Kinder geboren, galt das Nesthäkchen in seinen ersten Lebensjahren den Eltern zwar als „allerliebst und eigentlich ... ein sehr artiges Kind“ (so der Vater am 30. Oktober 1868 an Schwester Elise), doch die bescheidenen Lernerfolge des kleinen Friedel in der Schule weckten Zweifel. „Der Kleinste läßt es an sich kommen“, schrieb Th. F. im März 1874 Mathilde v. Rohr: „Er ist weniger begabt wie die anderen und weniger ehrgeizig, wird aber wohl auch seine Meriten haben. Ganz leer läßt der liebe Gott keinen ausgehn; die Eltern und Erzieher müssen nur ausfindig machen, wo die Spezialbegabungen liegen.“ Damit sollte er am Ende recht behalten.

Das Lob von Friedels Güte und Liebenswürdigkeit wiederholt sich und markiert früh einen Charakterzug, den Zeitgenossen auch später an ihm priesen. Fricke zitiert einen Brief Emilies an Theodor. Da schreibt die Mutter: Luise - einst Friedels Amme und nun Hausgehilfin der Familie - sei durch die jüngsten Nachrichten über den Jungen sehr gerührt gewesen. Emilie wörtlich: „Sie konnte kaum sprechen, als ich ihr sagte, Friedel lege noch immer ein Stückchen Kuchen für sie beiseite.“ Andere Überlieferungen berichten: Bei einem „Zauberfest“ der Familie habe der kleine Mann „in vollen Zügen“ ein Glas Wein auf seiner Mutter Wohl ausgetrunken. (Fricke, 25) Während sich die Geschwister Martha und Theo selbst unter dem Weihnachtsbaum prügelten, sei Friedel lesend „glücklich in Indianer- und Entdeckungsgeschichten“ gewesen. (Fricke, 26)

Doch das Mißtrauen in die Anlagen und Fähigkeiten des Jungen wächst. Am 22. August 1876 - die tiefe Ehekrise nach Fontanes Kündigung bei der Preußischen Akademie der Künste war noch nicht überwunden - urteilt Theodor Fontane über den Zwölfjährigen in einem Brief an Mathilde v. Rohr: „Friedel ist ein guter, lieber Junge, aber unbedeutend.“ - Unbedeutend - ein hartes Wort! Die Eltern grämen und entzweien sich zuweilen darum: „In der Friedel-Frage“, schreibt Theodor am 15. Juni 1879 an Emilie, „denk ich doch sehr anders wie Du. Möglich, daß er wieder eine schlechte oder doch höchst mittelmäßige Censur bringt; aber um so nöthiger scheint es mir, daß Theo (der um nicht ganz acht Jahre ältere Bruder und Musterschüler - J.K.) ihn noch 4 Wochen lang in Zucht nimmt. Theo selbst ist auch ganz damit einverstanden.“

Wie dachte die Mutter darüber? Urteilte sie nachsichtiger? Nahm sie den Jungen einfach, wie er eben war? - Beim Vater jedenfalls scheint sich der Zweifel am Können des Jüngsten zu einer Voreingenommenheit ausgewachsen zu haben. Die machte sich sogar dann noch geltend, als der Sohn sich beruflich bereits etabliert und seine Tüchtigkeit bewiesen hatte.

1881 verließ Friedrich das Französische Gymnasium als Tertianer. Er entschied sich für eine Buchhändlerlaufbahn. Botendienste für den Vater scheinen ihm kindliche Einblicke in die Welt der Drucker und Metteure, der Buchbinderei und des Literaturvertriebs gewährt zu haben. Das weckte wohl sein Interesse. Am 2. Juni 1881 wendet sich Theodor Fontane mit sarkastischem Unterton an den befreundeten Herman Wichmann, sein dritter Sohn solle „zum Herbst als Buchhändler eintreten. Am liebsten in London. Oder es könnte auch Rom sein. Können Sie mir darin einen Rath oder Wink geben?“ Es findet sich dann doch eine näher gelegene Lehrstelle. Im Tagebuch vermerkt der Vater Ende Oktober: „Friedel, froh die Schule hinter sich zu haben, trat in das Geschäft Buchhändler Wilhelm´s ein, hielt aber nur zwei Tage aus, und ging dann in das Verlagsgeschäft von Prof. Langenscheidt. Dort gefällt es ihm.“ (TB 2/131)

Spätere Tagebuchnotizen Theodor Fontanes besagen: Die Ausbildung Friedrichs zum Sortimentsbuchhändler bei Langenscheidt endete am 1. Oktober 1884. Danach sammelte der 20jährige bei Buchhändlern in Jena, Oldenburg und Berlin Erfahrungen. In Berlin tritt er dann als Volontär in die Buchhandlung Seidel, schließlich in das Verlagsgeschäft von Emil Dominik ein. Er lernt viel in diesen Jahren, aber die subalternen Stellungen mißfallen ihm. Als das Militärpflichtjahr heranrückt, spielt er eine Zeitlang mit dem Entschluß, wie seine Brüder eine militärische Karriere zu suchen. Das erledigt sich von selbst: Man nimmt ihn nicht. Dafür wächst nun bei dem durchaus ehrgeizigen und strebsamen jungen Mann der Entschluß, sich selbständig zu machen. Später erinnert er sich, er habe zwischen der unsicheren Aussicht auf eine neue Anstellung und der Verwirklichung seiner Pläne auf Unabhängigkeit wählen müssen. Nicht schwer sei ihm das gefallen; denn es habe ihm einfach nicht mehr geschmeckt, „aufs Neue eine Stellung für 400 Thaler unter einem vielleicht wenig gebildeten Menschen“ anzunehmen. Gelegentlich eines Besuchs in Rostock offenbart er dem Patenonkel Witte, wie er sich seine Zukunft denke. Es scheint, Friedrich Witte, ein alter Freund der Familie, hat ihn darin bestärkt; denn Friedel, eben 24 Jahre alt geworden, betreibt nun sehr zielbewußt die Gründung einer eigenen Firma. In seiner Entschlossenheit läßt er sich auch vom Abraten des Vaters nicht beirren.

Verleger

Theodor Fontane warnt den Sohn eindringlich. In einer langen Epistel vom 30. August 1888 hält er ihm vor: „Du weißt, dass ich über alle diese Geschichten anders denke wie Du und es als ein Glück für Dich und uns ansehn würde, wenn Du warten und in bescheidenen aber so lange wir leben immerhin auskömmlichen Verhältnissen ausharren wolltest, gleichviel bei Dominik oder sonstwo, bis sich etwas Besseres findet. [...] Alles, was Du vorhast, ist kein Unsinn, ein Erfolg ist möglich, aber - er ist nicht wahrscheinlich. Wer an ein Roulette tritt und 10 Thaler auf eine bestimmte Nummer setzt, kann 1000 Thaler gewinnen oder vielleicht noch mehr, aber es ist so furchtbar selten, dass die Kugel gerade so absolut glücklich rollt, dass man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung annehmen darf: die 10 Thaler sind verloren. [...] Ein solcher Geldenergiemensch, der seiner Gier nach Erwerb auf viele Jahre hin jedes Opfer bringt, um zuletzt zu triumphieren, bist Du nicht, Du willst es von Anfang an nett und bequem haben, bei gutem Bier und guter Cigarre, und da gilt denn mein Beispiel von dem Roulette. Du gleichst einem, der ins Wasser springt, ohne seiner Schwimmkunst sicher zu sein. ,Warum nicht?‘ denkst Du, ,die Welle wird mich schon tragen‘. Aber die am Ufer stehn sagen: ,er wird wohl ertrinken‘.“ (bisher nicht veröffentlichte Stelle, Radecke-Hettche, 10/11)

Friedrich Fontane erinnert sich später, daß ihm auch andere Verwandte einem Erfolg nicht zutrauten: „Wie liebevoll sich die Verwandtschaft zu meiner Etablierung stellte“;, schreibt er, „illustriert folgender Ausspruch meiner Tante Jenny (Sommerfeld - J. K.). Als sie von meiner Mutter davon hörte, sagte sie nur: ,Wann ist er wohl pleite?‘“

Das waren wahrlich keine Ermutigungen, und nicht ohne Grund sieht Gabriele Radecke durch solche Umstände Frickes Behauptung widerlegt, Theodor Fontane selbst habe den Sohn angeregt, sich als Verleger zu versuchen. Dessen Skepsis dauerte - im Gegenteil - noch eine ganze Weile fort, wenngleich er andererseits Friedels eifriges Bemühen mit Sympathie verfolgte, ihm ehrlichen Herzens Glück wünschte und ihm - nach ersten verlegerischen Erfolgen - auch seine Zufriedenheit nicht verhehlte.

Am 1. Oktober 1888 wurde die Firma unter dem Namen Verlags- und Sortimentsbuchhandlung von Friedrich Fontane in Berlin W 35, Potsdamer Straße 122b, eröffnet.

Dort - um dies für alle, die es gern wissen wollen, einzuflechten - blieb sie nicht lange. Der Verlag änderte seinen Sitz im Laufe der Zeit mehrmals. Vielleicht hatte das mit dem Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und wechselnder Geschäftslage zu tun. Jedenfalls ergeben sich aus Adreßbüchern, hinterlassenen Kopfbögen und Notizen Friedrich Fontanes in den folgenden Jahren (die genauen Umzugsdaten konnte ich nicht feststellen) nacheinander sechs verschiedene Verlagsanschriften im gutbürgerlichen Westen und Südwesten der Stadt. Als letzter Sitz des Verlages bis zu seiner Tilgung aus dem Firmenregister 1928 wird Berlin SW 68, Markgrafenstraße 77 angegeben. Faktisch bestand er da nicht mehr, nachdem Samuel Fischer 1918 alle Rechte aufgekauft hatte.

Der junge Friedrich Fontane ging bedachtsam zu Werke und zeigte sich gutem Rat aufgeschlossen. Zunächst versicherte er sich mit Hilfe des väterlichen Bankiers Sternheim potenter und gutwilliger Geldgeber. Auf der Rückseite des väterlichen Briefes vom 30. August 1888 vermerkte er, er habe von Emil Dominik gelernt, „wie man sich fremde Betriebsmittel zu“ nutze „macht“;. Sein vermögender Schulfreund Louis Levy-Fengler trat als stiller Teilhaber in das Geschäft ein, schied allerdings bald wieder aus. Danach gewährleisteten die Kapitaleinlagen von Egon Fleischel und Friedrich Theodor Cohn der Kommanditgesellschaft Friedrich Fontane & Co. - so nannte sie sich ab 1891 - den nötigen Handlungsspielraum bis 1903. Danach blieb Friedrichs Gattin Dina geb. Toerpisch alleinige Kommanditistin.

Als kaufmännisch ebenso wichtig galten Friedrich das Bekanntmachen der Firma und der Aufbau von Geschäftsverbindungen. Schon im Frühjahr 1889 trat er dem Börsenverein des deutschen Buchhandels bei und erwarb so das Recht, für seine Erzeugnisse im täglich erscheinenden Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel zu werben. Bald hatte er Bemerkenswertes anzubieten: Er nahm Sachbücher und Zeitschriften, vor allem jedoch Belletristik in sein Verlagsprogramm. Und nicht irgendwelche: Von vornherein bemühte sich der junge Verleger nicht nur um neue Autoren, sondern auch um Titel von solchen, die auf dem Buchmarkt schon einen guten Ruf hatten. Er handelte anderen Firmen die Rechte für Neuauflagen gängiger Werke ab und wartete auf dem Markt mit gediegenen, preiswerten Romanen und Erzählungen einer ganzen Reihe damals gern gelesener Schriftsteller auf: Ida Boy-Ed, Cäsar Flaischlen, Ludwig Fulda, Arno Holz und Johannes Schlaf, Clara Viebig, Ernst von Wolzogen, Emile Zola - es waren klangvolle Namen. Was sie boten, konnte meist rasch und gut verkauft werden. Ein 1903 veröffentlichtes Lexikon der deutschen Buchhändler nennt unter dem Stichwort Fontane 32 Verlags-Autoren des In- und Auslandes. „Seit Oktober 1998“, heißt es dort, „erscheint bei Fontane die Halbmonatsschrift für Litteraturfreunde Das litterarische Echo, die sich als Sammelorgan für alle litterarischen Interessen bestens bewährt und ... zu einer unserer verbreitetsten Litteraturzeitungen entwickelt hat.“ (Schmidt, 200)

Klug, umsichtig und - solange es die Umstände erlaubten - mit Erfolg führte Friedrich Fontane sein Unternehmen, man kann sagen: bis zum Ersten Weltkrieg. Sein Gespür für die Marktlage, für gefragte und gewinnbringende Druckerzeugnisse sicherte der Firma trotz allem unvermeidlichen Auf und Ab im Geschäftsgang mehr als zwei Jahrzehnte lang eine feste Existenz und einen vorzüglichen Ruf in Fachkreisen.

Theodor Fontane freute sich über diesen kometenhaften Aufstieg. Freimütig gab er zu, die Klugheit und die Tatkraft seines Jüngsten unterschätzt zu haben. Am 6. Mai 1894 bekennt er dem Sohn Theo: „Ich war anfangs gegen diesen Großbetrieb und gegen den Wettbewerb mit den reichsten und angesehendsten Firmen. Er (Friedel - J. K.) hat aber in dieser Streitfrage recht behalten, und, wie ich hinzusetzen muß, nicht nur durch Glück, sondern auch durch Fleiß, Umsicht, Geschicklichkeit. Er hatte was von Großmannssucht, was mich störte; mausert sich aber jemand heraus und bringt es zu was, so kriegt das, was einem als Großmannssucht erschien, einen anderen Namen. Auf dem Gebiet der Belletristik ist er, nach meiner Kenntnis, Nummer-1-Verleger geworden. Selbst die großen, reichen Firmen stehen literarisch weit zurück und begnügen sich mit den Erträgen, die sie aus Freytag, Ebers, Dahn, Heyse ziehn. Jeder einzelne hat einen. Friedel hat nicht nur den hannöverschen Konditorsohn Tovote (allerdings die Hauptgeldnummer), sondern auch Rudolf Lindau, Wolzogen, Ompteda, Polenz, die, neben einigen jüngeren, jetzt so ziemlich als die besten gelten und es wohl auch sind.“

Der Ehrgeiz, auch die Werke seines Vaters in angemessener Form und Vollständigkeit herauszubringen, muß für Friedrich Fontane von vornherein ein wesentliches Motiv seiner Verlagsgründung gewesen sein. Darauf deuten die grundsätzlichen und heftigen Auseinandersetzungen zwischen beiden im Sommer 1888 hin. Noch am 30. August - vier Wochen ehe Friedrich sein Unternehmen ins Firmenregister eintragen läßt - weigert sich Theodor Fontane kategorisch, in irgendeine geschäftliche Verbindung mit dem Sohn einzuwilligen. Daß er Friedels Vorhaben zunächst nur geringe Chancen einräumte, dürfte ein gewichtiger Grund für seine Ablehnung gewesen sein. Doch es gab noch andere: „Geld nehmen von meinen Kindern, thu ich nicht und Dir 6 Bände zum Geschenk machen, wäre eine bis zur Ungerechtigkeit gesteigerte Bevorzugung.“ So bescheidet er Friedrich am 5. Februar 1890. Der beharrte jedoch auf seinem Willen und kriegte den Alten am Ende herum, ihn wenigstens Stine drucken zu lassen, den Roman, den mehrere Verleger schon als moralisch zu heikel abgelehnt hatten. Die peinliche Geldfrage umging Theodor Fontane, indem er das Manuskript dem älteren Sohn Theo schenkte, diesem einen Teil des Honorars zusprach, den Rest aber für „eine Art Familienfonds“ bestimmte. Dafür überließ Theo dem Bruder dann das verlegerische Nutzungsrecht. Noch im Februar 1890 konnte zwischen beiden der Verlagsvertrag geschlossen werden, und schon im April erschien Stine als erster Fontane-Titel bei F. Fontane & Co. Beinahe gleichzeitig brachte Friedrich die Restauflage von Irrungen, Wirrungen und nur wenig später eine zweite Auflage von L´Adultera heraus. Die Rechte dafür hatte er von Matz in Königsberg bzw. von Salo Schottländer in Breslau erworben.

Trotz alledem sträubte sich Theodor Fontane immer noch gegen Friedrichs editorische Pläne, insoweit sie sein eigenes Werk betrafen. Sie gingen ihm zu weit. Am 27. Januar 1891 entgegnete er dem Sohn schroff: „Es tut mir leid, daß ich diese Dinge, vor denen ich endlich Ruhe zu haben glaubte, immer wieder durchzabbern muß. Ich begreife, daß Du den Wunsch hast, meine Bücher zu verlegen; Du mußt aber auch begreifen, daß ich den Wunsch habe, bei meinem alten Verleger (er meinte Wilhelm Hertz - J. K.) zu bleiben. Ich will kein Geld von Dir oder irgendeinem meiner anderen Kinder in die Tasche stecken und kann andererseits die Geschichte mit dem Extrafonds nicht zur Norm und Regel erheben; dazu reicht mein sonstiger Etat nicht aus. All das habe ich Dir schon früher gesagt, und Du mußt mir, nachdem ich es unter Drangebung oder Beschneidung meiner Prinzipien an Entgegenkommen nicht habe fehlen lassen, eine fortgesetzte Debatte darüber ersparen.

Ich hatte Dir noch eine Berliner Geschichte zugedacht (die Rede war wohl von Frau Jenny Treibel - J. K.), aber dies ist auch das Äußerste, was ich leisten kann und will. Im übrigen nur das noch: Es wäre ja fürchterlich, wenn die gesunde Basis eines Verlagsgeschäfts immer ein bücherschreibender Vater sein müßte ...“

Erst allmählich stimmten die erstaunlichen Verkaufserfolge Friedels den Alten um. Mit Befriedigung teilte Emilie Fontane dem Sohn Theo mit: „Friedel ... ist sehr rührig und sehr gewandt. So hat er es doch ermöglicht, ... daß er jetzt fünf Werke seines Papa’s verlegt, alle waren in schlechten Händen und Friedels Umsicht und Rührigkeit ist es zu danken, daß diese Bücher (z.B. L’ Adultera, was ganz von der Bildfläche verschwunden war) wieder anfangen zu gehen. Papa sieht das nun auch ein und hat dem ,Kleinen‘ seine Anerkennung nicht vorenthalten... Du wirst auch froh sein, zu hören, daß wir mit Friedel wieder ganz ausgesöhnt sind und uns des Guten, was er hat, erfreuen und vom Dornenstrauch keine Trauben verlangen. Er ist eben eine ganz auf’s Praktische angelegte Natur und kann schließlich nichts dafür, daß ihm das geistige Plus seiner Herren Geschwister versagt worden ist (Mete“, fügte die Mutter in Klammern hinzu, „hier als ,männlich‘ mit eingerechnet).“ (Ziegler/Erler, 160) Vom Dornenstrauch keine Trauben verlangen. Kann nichts dafür, daß ihm „das geistige Plus seiner Herren Geschwister versagt worden ist ...“ - Empfinden Sie nicht auch, daß da bei aller Mutterliebe und allem mütterlichen Stolz auch so etwas wie Herablassung mitspricht? Emilies Urteil scheint mir zumindestens auf die Unterschiedlichkeit der Charaktere und auf die unterschwelligen Spannungen in dieser Familie hinzudeuten. Nach dem Tode Theodor Fontanes sollten daraus manche „Irrungen und Wirrungen“ entspringen und die tragischen Schicksale des literarischen Nachlasses mitverursachen.

Zunächst aber liefen die Fontane-Ausgaben des Verlages auf imponierende Weise erst einmal richtig an. Im Dezember 1891 konnte der junge Verleger Theodor Fontanes Gesammelte Romane und Novellen in 2. Auflage ankündigen. Die erste war - mehr schlecht als recht, wie Gotthard Erler nachwies - von Dominik fabriziert worden, und leider wurden dessen Schludereien nicht behoben. Bei Wilhelm Hertz erschien als Erstausgabe 1892 nur noch Unwiederbringlich. Alle Buchtitel, die Theodor Fontane danach noch verfaßte, kamen zuerst im Verlag seines Sohnes heraus. Als der Vater 1892 schwer an Gehirnanämie erkrankte, nahm sich Friedel bereitwillig seines Geschäftsverkehrs an. Überhaupt erwies er sich in jenen schwierigen Monaten einmal mehr als der liebevolle, zuverlässige Helfer in der Not, der er schon immer gewesen war. Das brachte die letzten Eisreste zwischen dem Alten und ihm zum Schmelzen: Väterliches Widerstreben schlug in Wohlwollen um. Eine bis dahin ungewohnte Herzlichkeit strahlte nun aus den Briefen an Friedrich. Der seinerseits rechtfertigte das Vertrauen, das er jetzt genoß: Sämtliche epischen Meisterwerke Theodor Fontanes, dazu die ersten autobiographischen Schriften, legte er rasch und in der von Theodor Fontane selbst gutgeheißenen Fassung und Form auf:

- 1893 - Frau Jenny Treibel;
- 1894 - Meine Kinderjahre;
- 1895 - Effi Briest;
- 1896 - Die Poggenpuhls;
- 1898 - Von Zwanzig bis Dreißig und schließlich im Oktober - den Stechlin.

Wie respektvoll sich der alte Fontane jetzt zu dem ihm unentbehrlich gewordenen Sohn verhielt, wie ernsthaft er sich ihm und seinen Verlagsinteressen verpflichtet fühlte, mag eine Episode veranschaulichen: Myriam Chapy, eine mit Theodor Fontane bekannte französische Übersetzerin, hatte dem Alten im Spätherbst 1894 mitgeteilt, sie habe einige Stücke aus Von, vor und nach der Reise übersetzt. Das Buch war im selben Jahr bei F. Fontane & Co. erschienen, und der Autor hatte ihr - die Rechtslage nicht bedenkend - freie Hand gegeben. Kurz darauf, am 11.Dezember 1894, bekannte er selbstkritisch: „Mein lieber Friedel, ... Ich habe da wieder einen Fehler gemacht, verspreche Dir aber, Dir und der Firma, daß es nicht wieder vorkommen soll. Ich habe Mama gebeten, daß sie bei jedem Briefe ... der von ,übersetzen wollen‘ spricht, mich darauf aufmerksam macht, daß ich darüber keine Bestimmung zu treffen habe. [...] Myriam Chapy schreibt mir auch von ,Cecile‘ ... und von ,Effi Briest‘. Auch daran bin ich leider schuld. [...] Ich werde ihr offen sagen, daß ich über meine Machtvollkommenheit hinausgegangen sei und daß sie sich an eure Firma wenden müsse.“ - Auch die für Theodor Fontane ein paar Jahre früher noch so leidige Geldfrage hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. In einem Brief aus Karlsbad vom 9. Juni 1896 - man hatte ihm da wohl gerade den Verlagsvertrag für Die Poggenpuhls übersandt - lesen wir: „Mein lieber Friedel, sei für drei Schriftstücke, die heute a tempo eingingen, schönstens bedankt. Alles, auch das Geschäftliche, ist mit soviel glücklichem Humor behandelt, daß ich, ganz abgesehen von den Baribus (scherzhafte Anspielung auf die in Aussicht gestellten Honorare - J. K.), auch literarisch meine Freude daran gehabt habe. [...] Das Geld und der Erfolg an sich sind mir gleich angenehm. Möchten die ,Poggenpuhls‘ so gute Tage haben wie Jenny Treibel. Empfiehl mich Fleischel. [...]“

Gralshüter

Wie man sieht, gestalteten sich die Beziehungen zwischen Vater und Sohn, Autor und Verleger in Theodor Fontanes letzten Lebensjahren recht erfreulich. Beide verstanden sich ohne Schwierigkeiten, nichts und niemand störte die direkte Kommunikation zwischen ihnen, man kannte und vertraute sich jetzt, gab sich großzügig und nahm, wie wenn es sich von selbst verstünde, auf Eigenheiten und Rechte des anderen Rücksicht. Zu nennenswerten Mißhelligkeiten zwischen beiden kam es nicht mehr - wenigstens sind mir keine bekannt geworden. - Dieses harmonische und produktive Verhältnis erklärt, warum Theodor Fontanes Meisterromane, kaum daß die Manuskripte vollendet waren, rasch und gediegen ediert werden konnten. Eine Gesamtausgabe aller Werke, wie sie Friedrich schon vorschwebte, schien in greifbare Nähe zu rücken.

Doch nach Theodor Fontanes Tod am 20. September 1898 schlug der Wind um. Spannungen zwischen den Hinterbliebenen, Kompetenzstreitigkeiten und wechselseitige Schuldzuweisungen traten zutage, verzögerten die Herausgabe der ersten Nachlaßpublikationen und schränkten - das gilt hauptsächlich für die Briefausgaben und das Romanfragment Mathilde Möhring - deren Authentizität und editorische Zuverlässigkeit erheblich ein.

Trotzdem wies die Verlagsproduktion bis zum Ersten Weltkrieg eine ansehnliche Reihe von Erstauflagen Fontanescher Bücher auf. Sie wurden mit größtem Interesse aufgenommen- denken wir nur an Thomas Manns berühmte Rezension der Fontanebriefe von 1910. Erstmals erschienen:

-1905 - , herausgegeben von Paul Schlenther. Dazu kamen im selben Jahr zwei Bände Briefe Theodor Fontanes an seine Familie, herausgegeben vom Schwiegersohn Karl Emil Otto Fritsch.

-1908 gab Josef Ettlinger in einem Sammelband verschiedene Schriften aus dem Nachlaß Theodor Fontanes heraus, darunter Mathilde Möhring in einer von ihm bearbeiteten, von der Urschrift abweichenden Fassung.

-1909 - zum 90. Geburtstag Theodor Fontanes - vollendeten Paul Schlenther und Otto Pniower die ersten zwei Bände Briefe Theodor Fontanes an die Freunde.

-1910 publizierte Friedrich Fontane die einzige illustrierte Ausgabe Von Zwanzig bis Dreißig - mit 41 Bildnissen von Freunden der Familie. 1913 gab es davon schon die 5. Auflage.

Dies alles konzipierte Friedrich Fontane mit Blick auf das große Ziel: die Gesamtausgabe der Werke des Vaters. Er brachte sie auf insgesamt 21 Bände. 1904 hatte er sie mit einer ersten Serie - Romane und Novellen Theodor Fontanes in 10 Bänden - eröffnet. Dieser folgte 1910 eine zweite Serie von 11 Bänden. Sie enthielt Gedichte, Autobiographisches, Reisebücher, Briefe, Theaterkritiken und Schriften aus dem Nachlaß.

Mitunter ist behauptet worden, Friedrich Fontane habe nur kaufmännisch gedacht, das Verlagsinteresse sei für ihn bestimmend gewesen. Ich finde, solche Urteile greifen etwas zu kurz: Sie lassen das von Verantwortungsbewußtsein für das Gesamtwerk des Vaters geleitete konzeptionelle Denken des Verlegers außer acht, unterschätzen es wenigstens. Sie lassen auch die unsägliche Mühe unbeachtet, die Friedrich Fontane mit der Einwerbung, Registrierung, Abschrift und Aufbereitung all der vielen tausend Briefe auf sich nahm, die Theodor Fontane im Verlaufe von sechs Jahrzehnten an Hunderte von Korrespondenzpartnern gerichtet hatte. Da mußte über Jahre hinweg und oft in mehreren Anläufen verhandelt werden. Teils widersetzten sich die Adressaten oder ihre Rechtsnachfolger dem Ansinnen, teils waren die Briefe unvollständig oder nicht mehr auffindbar. Später, bei der Sichtung, Übertragung und Druckvorbereitung der Briefe richteten die Herausgeber, besonders Otto Pniower, beinahe täglich Anfragen an Friedrich Fontane: Bitten um Recherchen, um die Aufklärung von Sachverhalten, um Vergleiche von Textstellen mit der Urschrift usw. usw. Nicht selten gab es an einem Tag mehrere solcher Anfragen. Und Friedrich Fontane - geduldig, jederzeit ansprechbar - beantwortete sie samt und sonders. Solche „Geschäftskorrespondenzen“ - man sollte eher einen philologischen Briefwechsel in ihnen sehen - füllen ganze Kästen.

Zu welchen mitunter auch amüsanten Mißverständnissen es dabei kam, hat Edith Krauß in der hübschen Miniatur Dundee ballodesk? Wo liegt das? in den Mitteilungen unserer Gesellschaft Nr. 11/96 geschildert: Pniower war beim Korrekturlesen eines Brieftextes auf eine, wie ihm schien, unklare Ortsbezeichnung gestoßen. Fontane habe da Frau v. Rohr über sein Gedicht Die Brück am Tay mitgeteilt, er habe darin das Eisenbahnunglück bei Dundee ballodesk behandelt. „Dundee ballodesk“ - so nun Pniower, komme ihm „unbritisch“ vor. Er habe schon Atlanten und geographische Werke gewälzt, alle Berichte über den Einsturz der Brücke gelesen, auch den Dr. Meyerfeld um Auskunft gebeten - vergeblich, der Name sei nicht zu finden gewesen. „Möchten Sie nun die Güte haben, einen zuverlässigen Mann Ihres Bureaus nach einem der Reisebureaus Unter den Linden zu schicken? Im Fahrplan der North British railway muß die Station (zu finden sein) ... Vielleicht ist aber auch das Original des Briefes ... in Ihrem Besitz, und Sie sehen dort nach. Sie würden sich um unser Werk verdient machen, wenn Sie mir hülfen.“ Postscriptum: „... Selbst Ihr alles wissender Schwager konnte mir nicht helfen.“ Im Original las dann Friedrich des Vaters Mitteilung, er habe in dem Gedicht „den furchtbaren Eisenbahnunfall bei Dundee balladesk - in Gestalt einer Ballade also - behandelt, und Pniower bedankte sich überschwenglich: „Ein wahres Glück, daß wir vor der kolossalen Blamage bewahrt blieben ...“

Noch einmal sei aber betont - nicht Kurzweil bestimmte diese Kärrnerarbeit, sondern unsägliche Mühsal. Und Friedrich Fontane hat sie geleistet, ohne viel Aufhebens davon zu machen.

Zwischendurch brachte sein Verlag auch einige originelle, noch heute kostbare familiengeschichtliche Titel auf den Markt: das Kochbuch der Urgroßmutter Wie man in Berlin zur Zeit der Königin Luise kochte, herausgegeben von den Tanten Jenny Sommerfeldt und Elise Weber; die Lebenserinnerungen des Urgroßvaters Jean Pierre Barthélemy Rouanet Von Toulouse bis Beeskow - dieses Buch blieb, nebenbei bemerkt, der einzige von Martha Fontane herausgegebene Titel. Schließlich die Briefe Bernhard v. Lepels an Theodor Fontane, ediert durch Eva v. Arnim.

So eine Bilanz konnte sich sehen lassen. Woher rührten da die sich über Jahre hinziehenden Probleme, und welcher Art waren sie? - Zur Quelle des Übels, so seltsam es scheinen mag, wurde das Testament Theodor Fontanes von 1892, namentlich sein fünfter Abschnitt. Der übertrug die Verfügung über alles, „was sich an ungedruckten Schriftstücken und Schriftwerken nach dem Tode des Letztlebenden“ der Eheleute Fontane vorfinden würde: „1. unserer Tochter Martha, 2. dem Schriftsteller Dr. Paul Schlenther, 3. dem Rechtsanwalt Paul Meyer,...“

„Diese drei“, hieß es dann, „sollen“; (und zwar, wenn sie sich nicht einigen können, durch Mehrheitsbeschluß - J.K.) unbeschränkt entscheiden, was mit den Schriften geschehen soll, sie haben auch über die Art der Verwerthung oder Vernichtung (!) zu bestimmen ... Die ernannte Kommission ersuche ich, Theodor Fontane, für den Fall, daß ich zuerst sterben sollte, meiner Ehefrau mit Rath und Tath zur Seite zu stehen und falls meine Frau es verlangt, sofort ihr Amt anzutreten ...“

Damit enthielt sich Theodor Fontane jeder direkten Bestimmung über die hinterlassenen unveröffentlichten Schriften - mit einer Ausnahme: Er räumte die Vernichtung eines unbestimmten Teils seines Nachlasses selbst ein. Das Entscheidungsrecht darüber fiel zunächst seiner Witwe Emilie zu, nach deren Ableben dem Dreierkonsortium mit Tochter Mete an der Spitze, sonst niemandem. Dies gab willkürlichen Entscheidungen Spielraum.

Wie wir wissen, ging Frau Emilie sogleich daran, die „unterm Dach, in Kisten und Kasten und oft auch ohne diese“ lagernden, prall gefüllten Mappen zu revidieren und schon bei der ersten Sichtung alles, was ihr ohne literarischen Wert oder nicht für andere bestimmt schien, auszusondern und zu verbrennen. Wie dann auch ihre Nachfolger, tat sie das in der guten Absicht, nichts bekannt werden zu lassen, was dem „guten Ruf“ des Verstorbenen oder seiner Hinterbliebenen hätte schaden können. Daß daraus für die Fontanistik späterer Generationen unersetzliche Verluste entstanden, bedachte sie nicht, konnte sie gar nicht bedenken; denn dieser Gesichtspunkt war vor 100 Jahren noch nicht relevant: So wie sie dachte und handelte, war es damals allgemein üblich. - Kurz nach der Jahrhundertwende kam es zunächst zu Rangstreitigkeiten und Zerwürfnissen zwischen Mutter und Tochter, die sich in Sachen literarischer Nachlaß übergangen und zurückgesetzt fühlte. Emilies Tod im Februar 1902 beendete dieses Scharmützel.

Spätestens jetzt hätte die Nachlaßkommission tätig werden müssen. Die stand aber bis dahin nur auf dem Papier, und es bedurfte einer ganzen Weile Friedrich Fontanes energischen Drängens und Mahnens, bis sie sich erst einmal konstituierte. Da fielen - der „Geschäftsbriefwechsel“ weist es aus - scharfe Worte. Haus Fritsch verwahrte sich gegen Vorwürfe der Untätigkeit, lenkte sie auf Schlenther und Pniower und drohte mehrmals mit Ausstieg, wenn sich der Ton in Friedels Ultimaten nicht ändere. Als Mete und ihr Mann die Kommission gar zu dem Beschluß bewogen, den Nachlaß Theodor Fontanes aus den Räumen der Firma auszulagern und ihn an „einen neutralen Ort“ zu verbringen, hätte das um ein Haar zum endgültigen Bruch geführt. Doch man lenkte ein.

Zum besseren Verständnis dieser Groteske muß gesagt werden: Friedrich war in dem Dreiergremium kein Mitspracherecht zuerkannt worden. Warum? Edda Ziegler deutet diese Testamentsentscheidung der Eltern als Versuch, „die Rechte unter den Kindern gleichwertig zu verteilen und Friedel durch seine Mehrfachfunktion als Nachlaßverwalter, Erbe und Verleger nicht zuviel Entscheidungskompetenz einzuräumen“ (Ziegler/Erler, 161). Mag sein. Doch zu bedenken sind meines Erachtens weniger die Motive für Friedrichs Ausschließung, als vielmehr ihre Folgen: Friedrich sah sich in sämtlichen Nachlaßangelegenheiten - von der Genehmigung einer Schreibmaschine für Manuskriptabschriften, bis zur Freigabe von Ungedrucktem aus dem Nachlaß Theodor Fontanes - von Entscheidungen der Kommission abhängig. Deren Mitglieder aber hatten eigene Sorgen: Mete - dem Vermächtnis ihres Vaters durchaus verbunden und seines besonderen Vertrauens bewußt, tat nicht viel. Sie hielt bald in Berlin, bald in Waren Haus, kränkelte oft und sah sich immer öfter überfordert. In einem Rundschreiben an Miterben und Kommissionsmitglieder vom 24. April 1905 ersuchte sie darum, aus Gesundheits- und Altersgründen (sie zählte damals 45 Jahre) alle ihre und ihres Gatten Funktionen bei der Aufbereitung, Beschaffung und Publikation des Nachlasses abzugeben. Nur sich gutachterlich äußern und mitentscheiden wollte sie noch. Es spricht für sich, daß Mete kein einziges Buch ihres Vaters herausgegeben hat. Sie bestand nur auf dem „letzten Wort“. Das aber lautete vielfach: Nein zur Veröffentlichung, ja zur Unterdrückung oder Veränderung ganzer Textabschnitte. - Manfred Horlitz erinnerte mich daran, daß etwa die Hälfte der für die ersten Ausgaben „genehmigten“ Briefe Theodor Fontanes verstümmelt wiedergegeben wurden. -

Das zweite Kommissionsmitglied Paul Schlenther, einst Nachfolger Theodor Fontanes in der Theaterkritik der Vossischen Zeitung, ging noch im Todesjahr Fontanes als Burgtheater-Direktor nach Wien. Dort blieb er bis 1910, war auch oft krank und meist nur postalisch erreichbar. Paul Meyer, mit den Fontane-Söhnen befreundet, Advokat und Dritter im Bunde, blieb zwar in Berlin, hielt sich aber in literarischen und editorischen Angelegenheiten zurück. Als Vierter schließlich war der Bruder und Miterbe, der Armeekorps-Intendant und - ab 1907 - Wirkliche Geheime Kriegsrat Theo Fontane, zu berücksichtigen. Ihm hatten die Eltern bei der Nachlaßbewältigung keine Funktion zugedacht. Eine solche zu übernehmen, fühlte er sich weder während seines aktiven Dienstes in Kassel, noch nach seinem krankheitsbedingten Ausscheiden aus dem Staatsdienst imstande. Metes Ansinnen etwa, er möge die Briefsammlung übernehmen, wies er strikt ab. Weil er aber als einstiger Korrespondenzpartner seines Vaters dessen Briefe - oder was er daraus für mitteilenswert hielt - freigeben mußte, als Miterbe auch an den Ergebnissen des Verlages beteiligt war, wollte- und sollte - auch er gefragt werden.

Sobald sich erwiesen hatte, wieviel akribische Kleinarbeit die Durchsicht, Systematisierung, Übertragung und literarische Bewertung der hinterlassenen Manuskripte Theodor Fontanes kostete, entschlossen sich die Hinterbliebenen, den Literaturhistoriker Dr. Otto Pniower - Assistent, später Direktor des Märkischen Museums - in diese Aufgabe einzubeziehen. Einbezogen wurden dann auch die Schriftsteller Cäsar Flaischlen, Josef Ettlinger und weitere hinlänglich dafür qualifiziert scheinende Helfer. - Zwischen diesen unterschiedlichen, mit anderen Verpflichtungen oder auch Leiden beladenen Persönlichkeiten hatte Friedrich Fontane zu vermitteln. Auf ihre Möglichkeiten und Schranken, Vorstellungen und auch Launen mußte er Rücksicht nehmen. Vor allem jedoch mußte er sie immer von neuem ermahnen, überfällige Entscheidungen endlich zu treffen, offene Fragen endlich zu beantworten; denn für sie - vergessen wir das nicht - war die Aufarbeitung des Schriftstellernachlasses nur ein Ehrenamt, allenfalls eine spärlich honorierte Freizeitbeschäftigung.

Ich möchte Ihnen die heikle und undankbare Mittlerfunktion Friedrich Fontanes an zwei typischen Beispielen veranschaulichen: am „Fall“ Friedlaender und am Tauziehen um die Erstveröffentlichung des Briefwechsels zwischen Theodor Fontane und seinem Jugendfreund Wolfsohn.

Viele von Ihnen wissen, daß zu den wichtigsten Briefpartnern Theodor Fontanes zwischen 1884 und 1898 der um 24 Jahre jüngere Amtsgerichtsrat Dr. Georg Friedlaender aus Schmiedeberg im Riesengebirge zählte. Als Kurt Schreinert 1954 insgesamt 276 Briefe Fontanes an Friedlaender veröffentlichte, führte deren scharfe gesellschaftskritische Tendenz zu einer Neubewertung Fontanes durch die Literaturwissenschaft. Einige wenige dieser aufschlußreichen Selbstzeugnisse des alten Fontane fanden - mit Auslassungen - auch in die ersten Ausgaben der „Freundesbriefe“ Aufnahme. Warum aber wurden sie in ihrer Gesamtheit erst ein halbes Jahrhundert später bekannt? - Friedlaender hatte das gesamte Briefkonvolut kurz nach Theodor Fontanes Tod den Erben für Abschriften zur Verfügung gestellt. Es waren auch einige Dutzend kopiert, die Originale dann nach Schmiedeberg zurückgesandt worden. Sie insgesamt zu veröffentlichen, schlossen alle Beteiligten - auch Friedlaender selbst - aus; nur eine strenge Auswahl wurde in Betracht gezogen, diese allerdings ernsthaft; denn - so urteilte Paul Schlenther - von Theodor Fontane seien auch „vor Friedlaenders Schmiedeberger Säue (!) einige echte Perlen geworfen“ worden. (Schlenther am 19. 8. 1905 an Friedrich Fontane, unveröffentlicht) Friedlaenders Gegenbriefe existierten da schon nicht mehr; Emilie Fontane hatte sie verbrannt.

Bereits im September 1902 brachte sich Georg Friedlaender bei Friedrich Fontane mit dem Ersuchen in Erinnerung - erstens - Fontanes Briefe an ihn in Friedrichs Verlag selbst herausgeben zu dürfen; - zweitens - als „der getreue Eckermann“ Theodor Fontanes, für den er sich hielt, die Begegnungen, den Briefwechsel mit ihm zu schildern und - mit einzelnen Briefen oder Zitaten daraus durchsetzt - ebenfalls drucken zu lassen. Friedrich unterbreitete das Ansinnen pflichtgemäß der Kommission. Mete und Schlenther reagierten schroff abweisend. Zwar konnten sie gegen Friedlaenders eigene Schreibepläne nichts einwenden, die Briefpublikation aber sollte nicht geduldet werden. Ein klarer Bescheid an Friedlaender unterblieb indessen.

Am 25. Juli 1903, dann noch einmal am 12. August, drückte Friedrich der Schwester sein Unverständnis für die Verzögerung der Angelegenheit aus: Längst sei doch klar, daß vorerst nur die Freigabe einiger Briefe für Friedlaenders eigenes Buch in Betracht käme. Doch der Schmiedeberger Gerichtsrat wurde weiter hingehalten.

Ein Jahr darauf erneuerte Friedlaender sein Anliegen und wandte sich damit - Friedrichs Empfehlung folgend - direkt an Mete. Er beteuerte - man möchte sagen händeringend -, sich allen Auflagen, Bedingungen und Einschränkungen der Kommission gern fügen zu wollen. Umsonst. Am 26. Januar 1905 beschied ihn Mete - unter Hinweis auf ihre angegriffenen Nerven und darauf, daß sie ja nur „ein Drittel“ der Erben und der Kommission repräsentiere, sie habe Friedlaenders Ansinnen an Schlenther gegeben, „dessen Meinung“, so Martha Fritsch wörtlich, „bei Bruder Theo, mir u. Herrn P. Meyer fast immer als maßgebend gilt“. Der werde ihr oder ihm sicher bald antworten. Das tat Schlenther dann auch, indem er Friedlaender nahelegte, „aus Freundesrücksichten“ und im Hinblick auf die von den Erben und der Kommission geplante Briefsammlung auf sein Vorhaben zu verzichten.

Friedrich Fontane hat Friedlaender einige Male zu ermutigen versucht, doch „eckermännisch“ zu handeln, zu sammeln, zu sichten und sein Buch zu schreiben. Doch der war nicht der Mann, sich über ablehnende Bescheide hinwegzusetzen. Es fehlte ihm offenbar an Tatkraft und Fähigkeit dazu. Seine Briefe erwecken den Eindruck: Er gefiel sich im Selbstmitleid, sein Vorhaben „in magnam fontanis gloriam“ nicht verwirklichen zu dürfen. Das Buch wurde nicht geschrieben, Fontanes Friedlaender-Briefe blieben unter Verschluß und auf 50 Jahre größtenteils ungedruckt.

Jahrzehnte später teilte Friedrich Fontane Hans Friedlaender, dem Sohn mit, was ihn seinerzeit davon abgehalten hatte, Friedlaenders Antrag aufzugreifen: „Ich entsinne mich“, schrieb er am 29. August 1930, „u. finde auch in alten Korrespondenz/Aktenstücken Belege dafür, dass man meinem Verlage androhte, die Veröffentlichung der beiden Briefbände zu entziehen, wenn ich das freundliche Anerbieten Ihres seligen Vaters, eine von ihm selbst edierte Sammlung der an ihn gerichteten F.-Briefe zu verlegen, akzeptiert hätte.“ (FB 4/127) Wie sich dann freilich im Fall Wolters zeigte, hegte auch er Vorbehalte und teilte die Befürchtung der Troika, eine solche von anderer Hand besorgte Briefpublikation könne einen unerwünschten Präzedenzfall schaffen und eigenen Vorhaben - nicht zuletzt der Gesamtausgabe - abträglich sein. Der befürchtete „Dammbruch“ ließ denn auch nicht lange auf sich warten; denn Wilhelm Wolters, der älteste Sproß Wilhelm Wolfsohns, war - bildlich gesprochen - von kräftigerer Statur.

Das achtjährige Ringen zwischen den Fontaneschen Erben, der Nachlaßkommission und dem Erstherausgeber von Theodor Fontanes Briefwechsel mit seinem Jugendfreund Wolfsohn hat Christa Schultze im Anhang zur schönen Neuausgabe des Aufbau-Verlages von 1988 nachgezeichnet. Als erste hatten sich 1902 das Berliner Tageblatt, später auch Westermanns Monatshefte bei den Erben Theodor Fontanes um das Erstabdrucksrecht dieser frühen Briefe Fontanes beworben. Sie waren aber - mit Rücksicht auf die noch lebende Emilie - abgewiesen worden. Im Oktober 1905 kam nun Wilhelm Wolters selbst um die Erlaubnis ein, obwohl er sich da schon für berechtigt hielt, diese Korrespondenz auch ohne Einverständnis der Fontane-Erben zu publizieren. Er sandte Abschriften einiger Fontane-Briefe an Friedrich, der unterbreitete sie der Kommission, und diese entschied am 17. Februar 1906 - Zitat - „ihren bisherigen prinzipiellen Entscheidungen ... entsprechend, ... eine Genehmigung zu einer gesonderten Herausgabe des Briefwechsels Fontane - Wolfsohn nicht zu erteilen. (Schultze, 197) Nun untersagte Wolters die Aufnahme von an seinen Vater gerichteten Fontane-Briefen in die von Schlenther und Pniower vorbereitete Sammlung. Dabei blieb es fürs erste.

Vier Jahre später aber, am 1. Januar 1910, ließ Wolters einige der umstrittenen Briefe Theodor Fontanes in den Dresdener Neuesten Nachrichten abdrucken. Im Auftrag der Erben und der Kommission verwahrte sich Friedrich Fontane dagegen. Er verwies auf das generelle Veröffentlichungsverbot, das - als Impressum den „Briefen Zweite Sammlung“ beigegeben- von den Erben und Herausgebern an alle Besitzer von Fontane-Briefen gerichtet worden war. Wolters kümmerte sich nicht darum. Man erwog nun rechtliche Schritte gegen ihn. Nachdem Wolters seinerseits mit einem Prozeß gedroht hatte, sah man aber ein, daß „die Sache für die Erben nicht so günstig liegt, wie es äußerlich vielleicht den Anschein hat. Wir raten deshalb dringend zu einer entgegenkommenden Haltung.“ So Friedrich Fontane an seine Geschwister. Wohl oder übel arrangierte man sich. So konnte im Oktober 1910 Theodor Fontanes Briefwechsel mit Wilhelm Wolfsohn als erste nicht von den Fontane-Erben und der Nachlaßkommission besorgte oder in Auftrag gegebene Fontane-Publikation bei Georg Bondi in Berlin erscheinen. Schlenther - man höre und staune - lobte nun das „schlanke Büchlein“ im Berliner Tageblatt über den grünen Klee. Es habe vor den großen, umfassenden Sammlungen einen Vorteil: man höre nicht nur den Hall, sondern bisweilen auch den Widerhall. „Aus dem Solo wird manchmal ein Duett. Neben Orest vernimmt man Pylades.“ (Schultze, 199) Wolters wiederum rühmte im Vorwort die „Liebenswürdigkeit der Erben Fontanes“, denen er die Benutzung der Antwortbriefe seines Vaters verdanke. - Es ging also auch so.

1910 erweiterte Friedrich Fontane - ich deutete es schon an - die Gesamtausgabe der Werke seines Vaters um 11 auf insgesamt 21 Bände. Es blieb dies bis zum Erscheinen der Sämtlichen Werke in der Nymphenburger Verlagshandlung ab 1959 und bei Hanser ab 1962 die umfangreichste, wenn auch unvollständige und in einzelnen Teilen leider fragwürdige Fontane-Ausgabe. Danach begann der Stern des Verlages F. Fontane & Co. zu verblassen. 1911 wurden noch einmal Fontanes Berliner Romane in 3 Bänden aufgelegt, im Oktober 1914 -das Land schwelgte noch in seiner Kriegsbegeisterung - gab Friedrich die Feldpostbriefe 1870/71 seines Bruders George heraus. 1915 ließ er ihnen Kriegsgefangen folgen. Doch immer schlechter gingen die Geschäfte, und den Krieg überstand der Verlag nicht. Samuel Fischer hatte schon 1908 und 1910 eine Anzahl Fontane-Titel für seine Romanbibliothek erworben. Nun kaufte er Friedrich Fontane zum 1. November 1918 sämtliche Urheberrechte am Fontane-Corpus ab. 1925 übernahm er auch noch die letzten Romantitel. Unter dem Firmenzeichen F. Fontane & Co. wurde als letztes Fontane-Buch 1926 nur noch eine von Theo junior und Friedrich besorgte erweiterte Fassung der Theaterkritiken verbreitet. Zwei Jahre später gab es den Verlag nicht mehr.

Friedrich Fontane war 1918 schwer an der Lunge erkrankt. Im Frühjahr 1919 übersiedelte er - unter Mitnahme des von ihm bis dahin schon aufgebauten Archivs - nach Neuruppin, in die Fontanestraße 1. Einige Zeit später (wann genau, ist nicht bekannt) zog er von dort in die Kurfürstenstraße 2 um. Dieses Haus in der heutigen Heinrich-Heine-Straße ist bei einem Bombenangriff im April 1945 zerstört worden. Beide Wohnungen lagen ziemlich nahe beieinander in einem der damals vornehmen Viertel westlich der Ringwall-Anlagen.

Welchen Schatz Fontane-Forscher und -Liebhaber aus aller Welt, stets freundlich empfangen und zuvorkommend bedient, damals dort vorfinden konnten - Friedrich Fontane umriß es Pfingsten 1935 in einem Rundbrief an seine Freunde und Bekannten: an die 1800 Originalbriefe Theodor Fontanes mit rund 7500 Seiten, alle übrigen Originale - Material zu etwa 10 stattlichen Bänden mit insgesamt 20 000 Seiten, dazu eine Sammlung von Originalbriefen oder Briefabschriften geistiger Partner Theodor Fontanes, zum Nachlaß gehörende oder inzwischen beschaffte Bücher, Bildnisse, Zeitungsbeiträge, persönliche Gegenstände, nicht zuletzt die erarbeiteten Nachweise, „Material einer 15jährigen, dem Nachlaß ausschließlich gewidmeten Arbeit, die“ schrieb Friedrich Fontane, „bei weitem zum größten Teil von mir, zum kleineren von meinem Bruder (Theo - J.K.) geleistet worden ist.“ (Gedenkbuch, 202/03)

Erst als 1928 die Schutzfrist für den Nachlaß abgelaufen war und beide Brüder in den folgenden schweren Krisenjahren die Mittel für die Unterhaltung und Erschließung dieses „Grals“ nicht mehr aufbringen konnten, endete dieser freigiebige Dienst an der Allgemeinheit. Die Brüder entschlossen sich zum Verkauf des Nachlasses. Jahrelang, bis zum Frühjahr 1933, bemühte sich namentlich Friedrich um komplette Übernahme der Sammlung durch die Preußische Staatsbibliothek. Den Geldwert des Nachlasses - heute wäre er nur mit -zig Millionen zu beziffern - hatte man amtlich auf 100 000 Reichsmark taxiert. Doch selbst als die Erben mit ihrer Forderung um 80% (!) auf 20 000 Mark heruntergingen, lehnte die Preußische Staatsbibliothek ab: Sie bot 8000 Mark, zahlbar in zehn Jahresraten. Für jeden der beiden Brüder hätte das einen monatlichen Erlös von 35 Mark bedeutet. Das lehnten sie ab und gingen auf den Markt. Aber der Verkauf von 280 Nachlaßteilen auf der Auktion im Oktober 1933 erbrachte nur wenig mehr - freilich für nur etwa ein Viertel der angebotenen Autographe. Zwei Jahre später, im Dezember 1935, war der mittlerweile fast 72jährige Friedrich Fontane dankbar, die noch immer beträchtlichen Archivbestände für 7000 Reichsmark in bar in die Obhut der brandenburgischen Provinzialverwaltung geben zu können. Als Draufgabe gestand ihm Landeshauptmann Dietloff v. Arnim eine einmalige „Ehrengabe“ zu und gewährte ihm bis ans Ende seiner Tage eine bescheidene monatliche Leibrente. Honoriert wurde auch seine Mitarbeit an den von Hermann Fricke während des Krieges besorgten Fontane-Publikationen „letzter Auslese“.

Was im einzelnen zu diesem Niedergang führte, inwieweit - neben der Ungunst der Zeitläufte - auch eine gewisse, Friedrich Fontane nachgesagte Leichtlebigkeit eine Rolle spielte; was Friedrich Fontane veranlaßte, sich gelegentlich der Sprache und Medien der Parteigänger Hitlers zu bedienen - dies und manches andere wird noch genauer aufzuhellen und zueinander ins rechte Verhältnis zu setzen sein. Vereinfachte Darstellungen wie etwa die von Michael Fleischer (der betont - in Anlehnung an Frickes Erinnerung - lediglich Friedrichs Neigung zu Großspurigkeit und kostspieligen Gastereien und stellt einen nicht gehaltenen Vortrag Friedrich Fontanes über seines Vaters Einstellung zur Judenfrage heraus, dessen Wortlaut - oder dessen redigierte Fassung? - im Neuruppiner SA-Blatt vom 8.Juli 1933 veröffentlicht worden war), verzerren meines Erachtens die Realität und werden der Persönlichkeit und Lebensleistung dieses Fontane-Verlegers und -Archivbegründers nicht gerecht. Wer glaubt, sich heute über ihn erheben und ihn moralisch richten zu können, der sollte sich im stillen fragen: wie hättest d u an seiner Stelle gehandelt, was anders wäre d i r zu tun übrig geblieben?

Als wir Fontane-Freunde uns im September 1998 in Neuruppin versammelten, gedachten wir nicht nur des 100. Todestages Theodor Fontanes; auch eine Ehrung seiner Mutter und seiner Schwester Lise gab es an der würdig gestalteten Ruhestätte am Alten Friedhof. Friedrich Fontanes Grab aber - einige hundert Meter weiter - blieb abseits und leer, nur wenige fanden hin. Holen wir in kommenden Jahren nach, was wir da versäumten! Friedrich Fontane - er hat es verdient, daß wir seiner in Dankbarkeit und Hochachtung gedenken.

Quellen

Theodor Fontane: Briefe. Bände II-IV. Carl Hanser Verlag, München 1982

Theodor Fontane: Tagebücher 1866-1882/1884-1898. Aufbau-Verlag, Berlin 1994

Hermann Fricke: Das Theodor-Fontane-Archiv einst und jetzt. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte, Band 15, Berlin-West 1964

Hermann Fricke: Der Sohn des Dichters. In Memoriam Friedrich Fontane. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte, Band 17, Berlin-West 1966

Christel Laufer: Der handschriftliche Nachlaß Theodor Fontanes. In: Fontane Blätter, H. 20, Potsdam 1974

Theodor-Fontane-Archiv Potsdam 1935-1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Hrsg. Manfred Horlitz, Berlin 1995

Helmuth Nürnberger: Georg Hett (1892-1956) und Thea Zimmermann-de Terra (1901-1939),

zwei Enkel Theodor Fontanes. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte, Band 46, Berlin 1995

Kurt Schreinert: Briefe von Georg und Hans Friedlaender an Friedrich Fontane. In: Fontane Blätter, H. 4, Potsdam 1964

Gotthard Erler: Die Dominik-Ausgabe. Eine notwendige Anmerkung. In: Fontane Blätter, H. 7, Potsdam 1968

Gabriele Radecke-Hettche: „... möge die Firma grünen und blühn“. Theodor Fontane: Briefe an den Sohn Friedrich. In. Fontane Blätter, H. 64, Potsdam 1997

Klaus-Peter Möller: Die Verlagsverträge im Theodor-Fontane-Archiv (1. Teil). Sowie: Der vorgetäuschte Erfolg. Zum Problem der Erstausgaben, Neuauflagen, Neudrucke bei Theodor Fontane. In: Fontane Blätter, H. 68, Potsdam 1999

Edda Ziegler und Gotthard Erler: Theodor Fontane. Lebensraum und Phantasiewelt. Eine Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 1996

Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler, deutsche Buchdrucker. Berlin 1903

Unveröffentlichter Schriftverkehr des Verlages F. Fontane & Co. Theodor-Fontane-Archiv Potsdam, Signatur W.

Edith Krauß: Dundee ballodesk? Wo liegt das? In: Mitteilungen der Theodor Fontane Gesellschaft e. V., Nr. 11, Potsdam 1996

Christa Schultze: Theodor Fontanes Briefwechsel mit Wilhelm Wolfsohn. Aufbau-Verlag. Berlin und Weimar 1988

Michael Fleischer: „Kommen Sie, Cohn.“ Fontane und die Judenfrage. Berlin 1998


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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