Eine Rezension von Sabine Kaldemorgen

Die geraubte Identität - Elsa Osorio schreibt über ein dunkles Kapitel der argentinischen Geschichte

Elsa Osorio: Mein Name ist Luz
Roman.
Aus dem Spanischen von Christiane Barckhausen-Canale.
Insel Verlag, Frankfurt/M. 2000, 425 S.

Die Argentinierin Luz verabredet sich in einem Madrider Café mit einem Unbekannten, ihrem Vater. In langen Rückblicken erzählt sie ihm, dem einstigen politischen Flüchtling, von der Suche nach ihren leiblichen Eltern. Die Handlung von Mein Name ist Luz kreist um ein Thema von aktueller Brisanz, dem systematischen Kinderraub in Argentinien. Nach dem Militärputsch 1976 verschonten die neuen Machthaber inhaftierte Schwangere von der Folter, töteten sie nach der Geburt ihrer Kinder und übergaben diese regimetreuen Ehepaaren. Erst in den letzten Jahren kamen nach und nach einige Fälle ans Licht, nicht zuletzt durch das Schicksal bekannter Persönlichkeiten wie des Dichters Juan Gelman, der seine Enkelin nach 23jähriger Suche im Nachbarland Uruguay ausfindig machte. Die Argentinier Elsa Osorio war eine der ersten, die den planmäßigen Kindsraub in ihrem Roman öffentlich machte. Nüchtern beschreibt sie die Konsequenzen des unfaßbaren Schwindels für die Protagonistin Luz. Behütet wächst sie in der Familie eines ranghohen Militärs auf, bis sie erfährt, daß sie die Tochter einer „Verschwundenen“ ist. Allein auf sich gestellt, versucht sie, die Wahrheit über ihre Herkunft zu erfahren. Der spanische Titel - A veinte años, Luz - hat eine doppelte Bedeutung: „Luz, mit zwanzig Jahren“ oder „Nach zwanzig Jahren Licht“.

Das sechste Buch von Elsa Osorio ist weder Politthriller noch Kriminalroman. Die Autorin macht das Verbrechen in seiner menschlichen Dimension deutlich. Sie schneidet die Perspektiven von Tätern und Opfern gegeneinander, die wie ein Zeitdokument wirken. Gefühle sind ziemlich zurückgenommen, Schuldzuweisungen fehlen. Selbst „El Bestia“, oberster Folterknecht in einem Lager, wirkt bei dem Versuch rührend und fürsorglich, seiner Lebensgefährtin Miriam jeden Wunsch zu erfüllen, auch nach einem Kind. Elsa Osorio hebt einzelne Abschnitte aus dem Leben von Luz hervor: Die Umstände ihrer Geburt, die unbeschwerte Kindheit, die Bestrebungen ihres unfreiwilligen Adoptivvaters, die Wahrheit ans Licht zu bringen, die Loslösung von der Familie und die Nachforschungen nach den wahren Wurzeln. Das Verbrechen rumort in den Köpfen der Mitwisser und Mitläufer und führt dazu, daß einige schließlich über ihre dahinplätschernde Existenz hinaus wachsen.

Die gegensätzlichen Bemühungen von Aufklärern wie den Mütter der „Plaza de Mayo“, denen das Schicksal anderer nicht gleichgültig ist, und den Verbrechern der Militärdiktatur, die seit der Generalamnestie in den 80er Jahren geschützt sind, spaltet auch heute noch die Gesellschaft in Argentinien. Unter dem beachtlichen Figureninventar befinden sich keine authentischen Personen. Ebensowenig beinhaltet Mein Name ist Luz autobiographische Elemente. Elsa Osorio hat die Erlebnisse vieler Menschen in ein Romangeschehen umgesetzt, das sich so hätte ereignen können.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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