Eine Rezension von Volker Strebel

Die ungeheure Gelegenheit, sich zu entscheiden

Ján Ondruš: Ein Hut voll Wein
Ausgewählt, aus dem Slowakischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Angela Repka.
Mit Illustrationen von Ludovít Hološka.
Buchwerkstatt Thanhäuser, Ottensheim an der Donau 2000, 128 S.

Ján Ondruš, dieser Name steht für einen einsamen Wortschöpfer aus einer Zeit der Phrasendrescher und deren Hohngelächter. Aussicht auf Änderung hatte es aus seiner Sicht damals nicht geben können. Ján Ondruš' Energien waren dementsprechend rationiert. Nachdem 1972 sein in Prag erschienener Gedichtband Das Männergewürz nicht mehr in der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen worden war, hatte auch Ondruš die Zeichen der Zeit erkannt: Das Schweigen. Unwillkürlich stellen sich beim Nachdenken über diesen Lebenslauf Verse von Ján Ondruš ein: „Und der lärmende rauhe Baum, der Nußbaum, / lebt fort in meiner Gedankenwelt, in der ich heut' / schlage mit der langen Stange der Erinnerung.„ Im Falle Ján Ondruš hatte sich eine Sonderform der Zensierung entwickelt, da er weder zu ideologischen Zugeständnissen noch zu Eingriffen in sein Schaffen bereit war. Samt seiner schöpferischen Energie blieb für ihn nur noch die innere Emigration. Dieser Werdegang ist um so tragischer, wenn man seinen Vers bedenkt, in welchem er „diese ungeheure Gelegenheit, sich zu entscheiden“ besingt. Ján Ondruš wurde 1981 in ein Heim gegeben, nachdem sein Bruder bereits 1976 die Vormundschaft übernommen hatte. 1987 war Ján Ondruš in ein Altersheim nach Bratislava überführt worden, in welchem er auch am 7. November 2000 im Alter von 68 Jahren verstarb.

Die Beeinflussung des poetischen Schaffens von Ján Ondruš durch die surrealistische Strömung, die vor allem im Böhmen der späten 20er Jahre eine selbständige Tradition entwickelt hatte, liegt auf der Hand.

Allerdings schrieb Ondruš in einer anderen Zeit. Der Gedichtzyklus Im Zustand der Galle erlaubt Aufschluß über die Verfaßtheit der Lebensverhältnisse: „ICH ATME AUS / UND ES IST GALLE, // ES KAM ZUR GALLE / ZWISCHEN UNS ZWEI // ES KAM ZUR GALLE / ZWISCHEN MIR UND MIR. „Es geht nicht um den Essigschwamm, welcher dem sterbenden Christus auf einem Spieß gegen den Durst gereicht wurde. Das Kreuz selbst - ohne daß es religiös überhöht wird - steht im Mittelpunkt dieses lyrischen Zirkels. Jetzt ist alles Galle! Ein irritierender Garten widerstrebender Möglichkeiten bietet sich - auf den ersten Blick - dem Leser dar. Der Düsseldorfer Maler Karl Ritterbusch hatte ähnliches in einer treffenden Beobachtung zusammengefaßt: „So wie unser faziales Gedächtnis zunächst nur die eigene Rasse umfaßt und alle Chinesen gleich aussehen, so bedarf es auch in der Kunst zuerst eines Sich-Einsehens und der Fähigkeit des Wiedererkennens, worin für die meisten bereits der größte Gewinn ihres Museumsbesuches besteht.“ Weder werden bei Ján Ondruš hehre Ideale eingeklagt, noch finden sich rebellische Provokationen. Die Wirklichkeit selbst ist ausgedörrt und gibt nichts mehr her.

„Ohne Hoffnung, ohne Skepsis“ lautete in den 70er Jahren die Widmung des mährischen Philosophen Vítìzslav Gardavský in seinem Büchlein, welches den Titel Hoffnung aus der Skepsis getragen hatte. Ein Nullpunkt der Existenz war erreicht worden, der Ján Ondruš zu den Versen verleitete: „Am Kreuz, im Maß des Schreis, / im Zustand der Galle und im Maß des Knäuels.“ Es kündigt sich das Ausweichen in den surrealen Raum der Phantasie an. Hier werden Träume zur Wirklichkeit, ein Durchqueren der Verhältnisse - mit dem Kopf durch die Wand - zur echten Möglichkeit. Was aber letztendlich bleibt, ist dann schließlich: „Doch ich schreie tonlos und Stille / herrscht und Leere im Mund wie auf der Straße.“

In ihrem aufschlußreichen Nachwort schreibt Angela Repka: „Wenn sich der Wert eines Literarischen Werks danach bemißt, wie weit es sich in seinem Erkenntnisdrang an die äußerste Grenze wagt, dann ist die Lyrik Ján Ondruš' besonders wertvoll“.

Die vorliegende Sammlung entspricht der von Ján Ondruš 1996 veröffentlichten und autorisierten Gedichtsammlung, welcher insgesamt fünf neu überarbeitete Gedichtbände zugrunde liegen. In den Jahren 1994, 1999 und 2000 war Ján Ondruš vergeblich vom slowakischen PEN-Zentrum als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis nominiert worden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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