Eine Rezension von Bernd Heimberger

Verdis Vita

Alfred Marquardt: Flieg, Gedanke ... Guiseppe Verdi – sein Leben, sein
Schaffen, seine Zeit
Parthas Verlag, Berlin 2000, 295 S.

Italiener und DDRler hatten manches gemeinsam. Viel Polizei, billige Bahntarife, baufällige Städte und enormes Improvisationstalent. Gemeinsam hatten sie auch eine heimliche Nationalhymne: den Gefangenenchor aus „Nabucco“. Als Hymne aller Nationen wäre der Gefangenenchor gut geeignet, nähme den Platz nicht bereits Beethovens feierlichere „Ode an die Freude“ ein. Was Beethoven nie hatte, Wagner sich reichlich spät in Bayreuth einrichtete, lebte Guiseppe Verdi (1813-1901) lebenslang: die Verdi-Hauptstadt Busseto. Verehrern ist Busseto der Vatikan der Verdi-Welt.

Der Publizist Alfred Marquardt, der eine Verdi-Vita verfaßte, empfiehlt sich zuerst als ortskundiger Führer durch die Verdi-Hauptstadt und belesener Kenner der italienischen Geschichte, ehe er sich direkt der Hauptperson zuwendet. Bevor die Leser mitgenommen werden in die Verdi-Welt, geht’s im Eiltempo durch die Welt, die die Welt für Verdi gewesen ist. Der Komponist, der zur Person der Zeit wurde, wird in der Zeit und der Wirkung über die Zeit hinaus gezeigt. Die Wachsamkeit des Historikers Marquardt fürs Gewesene macht die Betrachtungen und Beschreibungen reicher und lebhafter, so konzentriert sie zudem sind. Da die Betrachtungen und Beschreibungen die Gegenwart nicht ausschließen, weiten sie den Blick auf den Komponisten. Der Autor hat sichtlich Spaß daran, augenzwinkernd vom widersprüchlichen Lassen und Tun des Guiseppe Verdi zu erzählen. Der verbreiteten Verdi-Verliebtheit ist der Verfasser kaum zu verdächtigen. Zu spüren ist Marquardts Vergnügen, seine Liebe zu Verdi zu kritisieren, damit sich die Leser nie belästigt fühlen. So wenig der Biograph bedrängt, so wenig belehrt er. Es drängt ihn nicht zu überzeugen, denn die Biographie des Guiseppe Verdi hat genug Überzeugendes. Wie das immer so ist, wenn einer der Großen nicht als ewiger Gewinner dasteht.

Marquardts Lebensbild Verdis ist das eines Musikers, dessen Musik alle Welt liebt und das eines Menschen, der sich nicht immer liebenswert benahm. Letztendlich sorgt der Biograph dafür, daß Verdi als ein Gütiger gesehen wird, der ein Genius der Musikgeschichte ist. Mit innerer Anteilnahme und Verständnis hat Alfred Marquardt eine Verdi-Biographie geschrieben, die Anteilnahme und Verständnis will – Guiseppe Verdi und seiner Musik zuliebe.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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