Eine Rezension von Gerhard Keiderling
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„Blick in das Innenleben der SED“

Andreas Malycha: Die SED
Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2000, 541 S.

Das Buch ist eine Fortschreibung von „Auf dem Weg zur SED“ (Bonn 1996) und eine Erweiterung von „Partei von Gottes Gnaden? Die Entwicklung der SED zur Partei neuen Typs in den Jahren 1946 bis 1950“ (Berlin 1996), mit denen sich der Autor als Kenner der Frühgeschichte der SED ausgewiesen hat. Von den umfangreichen Recherchen, die er nicht nur im Zentralen Parteiarchiv der SED, sondern auch in den Archiven ihrer fünf Zonen-Landesverbände angestellt hat, profitiert der vorliegende Titel. Malycha bietet einen - wie er es selbst nennt - „Blick in das Innenleben der SED“ zu einer Zeit, als diese sich nach dem Vereinigungsdrama von 1945/46 zu einer „Staatspartei“ unter sowjetischer Ägide wandelte.

Unter Stalinisierung versteht der Verfasser in Anlehnung an Hermann Weber „die Beschreibung der politischen Herrschaftsmechanismen eines diktatorischen Systems sowjetischer Prägung, das im Osten Deutschlands unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzungsherrschaft schrittweise installiert wurde“. Demzufolge hat er innerparteiliche Entwicklungen im Blick, wie Organisationsgefüge, Führungsstrukturen, innerparteiliche Konflikte, Gleichschaltungsprozesse und Parteisäuberungen; „die Geschichte der SED mit all ihren Politikfeldern umfassend darzustellen“, nennt er nicht sein Anliegen.

Den ausgemachten Phasen der Stalinisierung zwischen 1946 und 1953 entspricht der Aufbau des Buches. Das einleitende Kapitel „Die Gründung der SED 1945/46“ referiert im wesentlichen den gegebenen Forschungsstand. Die kommunistische Dominanz beim Zusammenschluß von KPD und SPD schuf politisch-ideologische, personalpolitische und organisatorische Voraussetzungen für eine Entwicklung der Einheitspartei zu einem stalinistisch geformten Parteimodell. Während die Kommunisten in der Strategiedebatte über den „deutschen Weg zum Sozialismus“ vom Frühjahr 1946 sich aus Zeitgründen damit begnügten, die Sozialdemokraten erst einmal zum „revolutionären Marxismus“ zu bewegen, stellten sie schon ein Jahr später die Anerkennung des „Leninimus als den Marxismus der Gegenwart“ auf die Tagesordnung.

In Anlehnung an Harold Hurwitz („Die Stalinisierung der SED“, 1997) charakterisiert Malycha im folgenden Kapitel den Zeitraum vom Frühjahr 1946 bis Sommer/Herbst 1948 als einen „Prozeß der schleichenden Stalinisierung“ unterhalb der zentralen Ebene. Zu seinen Indizien gehörten die Einschränkung der innerparteilichen Demokratie, die Unterlaufung des Paritätsprinzips, die Beschneidung des sozialdemokratischen Anteils in den mittleren und unteren Parteiebenen und ein autoritärer Führungsstil der Spitzenfunktionäre kommunistischer Herkunft. Widerstand aus ehemals sozialdemokratischen Kreisen wurde mit Brachialgewalt („Kampf gegen Schumacher-Agenten“) gebrochen. Ex-Sozialdemokraten wie Neumitglieder paßten sich mehrheitlich dem neuen Parteistil an. Malycha bringt dafür prägnante Beispiele aus den Landesverbänden und zeigt zugleich, wie auf regionaler und lokaler Ebene die sowjetische Besatzungsmacht in die innerparteilichen Konflikte eingriff. Der II. Parteitag der SED im September 1947 enthüllte das Dilemma der noch jungen Partei: Der Ausbruch des Kalten Krieges zwang sie in das von Moskau verordnete Korsett der Zwei-Lager-Ideologie; für eine offene Debatte über die realpolitische Situation in der SBZ, über gesamtdeutsche Perspektiven und die Programmatik der Partei gab es keinen Raum mehr. Malycha zeichnet ein Bild vom inneren Zustand der SED, von der Brüchigkeit ihrer lauthals beschworenen Einheit und Kampfkraft und von der allseits beklagten Apathie und Resignation an der Parteibasis, das in seiner Schärfe überrascht.

Das nächste Kapitel behandelt den „Prozeß der forcierten Stalinisierung von oben“ in den Jahren 1948-1950. Er begann mit der 11. (25.) Tagung des SED-Parteivorstandes Ende Juni 1948 und endete im Prinzip schon mit der 1. Parteikonferenz Ende Januar 1949. Es war die Zeit, in der die SED auf Verlangen Stalins, der die Schaffung eines westdeutschen Staates durch die Westmächte mit der Ausrufung eines Oststaates beantwortete, endgültig zur „Staatspartei“ und somit zu einem Vollzugsinstrument des Sowjetmodells wurde. Als „marxistisch-leninistische Avantgarde“ ordnete sich die SED vollends der omnipotenten Hierarchie der KPdSU (B) unter, die Stalinisierung wurde zur „Generallinie“ der SED für die Überführung der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ in die „Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“.

In einem besonderen Kapitel werden die Parteisäuberungen von 1948 bis 1951 behandelt, die „einen inneren Disziplinierungsmechanismus zur Eliminierung potentieller funktionshemmender Organisationselemente und Personen“ bildeten. Davon betroffen waren nicht nur Sozialdemokraten, die als imperialistische „Schumacher-Agenten“ verfolgt wurden, sondern auch Alt-Kommunisten, die im KZ, in der Emigration oder in westlicher Kriegsgefangenschaft zu alternativen Gesellschaftskonzepten gelangt waren oder generell als „Sektierer“ und „imperialistische Söldlinge“ verdächtigt wurden. Der bedrückende Stalin-Kult jener Jahre findet in diesem Zusammenhang nur eine marginale Betrachtung.

Als „vollendete Stalinisierung“ markiert Malycha „Umbrüche in der Kaderpolitik“, gemeint ist die Einführung der „Nomenklatura“ nach sowjetischem Muster, die Auflösung der SED-Landesverbände 1952, die sich aus der Umwandlung der fünf Länder in 14 Bezirke ergab, und den Beschluß der 2. SED-Parteikonferenz vom Juli 1952 über die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus. Als Schlußpunkt erscheint der 17. Juni 1953 als Schockerlebnis: „Desillusionierung und Verbitterung“. Etwas ratlos wirkt der letzte Abschnitt: „Erneuerung der Partei?“ Wie hätte sich die mit allen Mitteln stalinisierte SED erneuern können? Vermutlich nur durch eine radikale Entstalinisierung, aber auf den XX. Parteitag der KPdSU (B) vom Februar 1956 und seine Auswirkungen auf die SED geht Malycha nicht mehr ein.

Die Stärke der Untersuchung liegt im Zeitraum 1946-1949, wo sich der Verfasser auf seine umfangreichen Quellenstudien stützt. Sein Anspruch, die erste „eigentliche Organisationsgeschichte“ der SED verfaßt zu haben, überzeugt nicht, denn dazu fehlt es an vielem. Zwar wird am Ende des Buches ein knapper Abschnitt „Mitgliederbewegungen von 1946 bis 1953“ nachgereicht, doch gerade unter dem Stalinisierungsaspekt so wichtige organisations-, personal- und leitungspolitische Themen wie Gewerkschafts-, Frauen- und Jugendpolitik, die Mechanismen der Beherrschung der Blockparteien und der Massenorganisationen und anderes mehr finden - wenn überhaupt - nur eine marginale Betrachtung. Die Entwicklung der SED zu einer „Staatspartei“ - bekanntlich der Zweck der Stalinisierung - vollzog sich als ein komplexer organisations- und aktionspolitischer Prozeß. Malycha blendet aber das, was er „Politikfelder der SED“ nennt, weitgehend aus. Für ihn ist die Stalinisierung der SED weniger eine Reaktion auf den Kalten Krieg, als vielmehr eine systemimmanente Erscheinung, was sicherlich zutreffend ist. Doch vollzogen sich Gründung und Stalinisierung der SED in einer konkret-historischen Situation, die sowohl auslösend wie prägend war.

Die Vernachlässigung dieser Relationen und Interaktionen mindert an vielen Stellen den sachlichen Tiefgang. So liest man, daß „der Charakter der SED bei ihrer Gründung noch nicht endgültig geprägt“ gewesen sei. Ja, wie hätte dies bei einer Zwangsvereinigung auch anders sein können? Die Feststellung: „Die Spaltung der Arbeiterbewegung wurde entgegen allen damaligen Bekundungen auch nicht aufgehoben, sondern mit der Existenz von nunmehr drei Parteien in Deutschland (KPD und SPD im Westen, SED im Osten) nur noch vertieft“, kann man wohl der SED nicht allein anlasten. Man vermißt auch einen Hinweis auf die rigide Haltung Kurt Schumachers, wenn es heißt, „mit dem Ende der ostzonalen Sozialdemokratie [sei] die stärkste Klammer und damit der wichtigste innenpolitische Faktor für ein einiges Nachkriegsdeutschland zerstört worden“. Übrigens nahm die Ost-CDU unter Kaiser und Lemmer nach der SED-Gründung diese Klammerfunktion für sich in Anspruch, scheiterte aber an der nicht minder rigiden Haltung Konrad Adenauers. Auf diese Fakten müßte der Verfasser in den Archiven eigentlich gestoßen sein.

Es erstaunt, daß Malycha weder unter „Forschungsstand und offene Fragen“ noch im laufenden Text auf die Selbstdarstellung der SED eingeht, die diese Zeit in ihren für die DDR-Historiographie grundlegenden Publikationen - „Grundriß“ von 1963 und „Abriß“ von 1978 - als „beschleunigte Entwicklung der SED auf marxistisch-leninistischer Grundlage, die unter der Losung ‚Entwicklung zur Partei neuen Typus‘ erfolgte“, bezeichnete. Malycha, der mit einer Promotion zur Geschichte der SPD am Institut für Marxismus-Leninismus des ZK der SED, der Leiteinrichtung für Parteigeschichte von KPD/SED, 1988 debütierte, hätte gewißlich über die seinerzeitigen teilweise hitzigen Debatten über die verschiedenen Fassungen zum Band 4 der „Geschichte der SED“, den die Wende 1989/90 zur Makulatur machte, informieren können. Es sei noch erwähnt, daß Grundlagen- und Spezialliteratur aus SED-Provenienz zu dieser Frage im umfangreichen Anmerkungsapparat nicht erwähnt wird.

Abschließend sei angemerkt, daß Malycha in seiner „eigentlichen Organisationsgeschichte“ den sechsten Landesverband der SED, nämlich den von Groß-Berlin, aus seiner Untersuchung ohne Nennung eines Grundes völlig ausgeklammert hat. Man könnte meinen, die Sonderheit des Viermächtestatus der Stadt hätte eine Stalinisierung erschwert oder gar verhindert. Mitnichten, Malycha hat dazu einfach nicht geforscht. Es bleibt also noch viel zu tun, um eine „eigentliche Organisationsgeschichte“ der SED vorzulegen. Das hier besprochene Buch ist zweifellos ein gewichtiger Beitrag.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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