Eine Rezension von Gerhard Keiderling

Zur Geschichte des deutschen Friedensvertrages nach 1945

Hanns Jürgen Küsters: Der Integrationsfriede
Viermächte-Verhandlungen über die Friedensregelung mit Deutschland 1945 - 1990.
R. Oldenbourg Verlag, München 2000, 1026 S.

Die Ereignisse und Entscheidungsprozesse, die 1989/90 zur Wiedervereinigung Deutschlands führten, sind anderenorts bereits ausführlich dargestellt worden. Eine Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90 „Deutsche Einheit“ brachte Hanns Jürgen Küster, Leiter der Edition „Dokumente zur Deutschlandpolitik“, bereits 1998 heraus. Mit dem vorliegenden Titel führt er an die Anfänge der deutschen Frage im Jahre 1945 zurück. In einem breiten Entwurf geht er der Frage nach, warum es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu keinem Friedensvertrag mit Deutschland kam. 45 Jahre lang blieb die deutsche Frage ein weltpolitisches Kardinalproblem, das den Ausbruch des Kalten Krieges mit herbeiführte, das wiederholt gefährliche Krisen heraufbeschwor und die internationalen Beziehungen belastete. Allein die Bibliographie der deutschen Frage ist schon ein dickes Buch. So nimmt es nicht Wunder, wenn die vorliegende Arbeit, die Retrospektive wie Analyse gleichermaßen sein will, ebenfalls voluminöse Ausmaße gewinnt. Fast hundert Seiten umfaßt das Quellen- und Literaturverzeichnis, dabei sind nicht einmal alle in Buchform und Zeitschriftenaufsätzen erschienenen Titel aufgeführt. Schon die Auswertung dieser Quellen und Literatur nötigt großen Respekt vor der Arbeitsleistung Küsters ab.

Was Küster allen Historikern, Politologen und Völkerrechtlern voraus hat, die sich vor ihm mit diesem Thema beschäftigten, ist ganz einfach die Tatsache, daß der Ausgang des jahrzehntelangen Ringens um die deutsche Frage seit 1990 bekannt ist. Somit reduziert sich sein Werk um alles, was früher den widerstreitenden Parteien in breitem Stil der eigenen Positionsbestimmung und der argumentativen Zurückweisung der gegnerischen Seite diente. Es wird Platz für eine detaillierte Analyse geschaffen, woran ein Verständigungsfrieden der vier Großmächte scheiterte und warum sich letztlich die westliche Idee des Integrationsfriedens durchsetzte. Die parteilich eindeutige Gewichtung auf westliche Intentionen, Konzeptionen und Aktionen, verbunden mit der Schutzbehauptung, was die Sowjetunion in der deutschen Frage eigentlich wollte, weiß man immer noch nicht, charakterisiert das Grundanliegen. Die östliche Haltung in der Friedensvertragsfrage wird überwiegend in „Second hand“-Form referiert, d. h. anhand westlicher Quellen, Kommentare und Analysen. Beispielsweise werden die relevanten Völkerrechtsexperten der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren - Rudolf Arzinger, Herbert Kröger, Walter Poeggel, Gerhard Reintanz und Peter Alfons Steiniger - nicht einmal im Literaturverzeichnis erwähnt.

Küster konzentriert sich auf die „Deutschland-Konferenzen“ von 1945 bis 1959, von denen er sagt, sie seien in ihrem komplizierten zeitgeschichtlichen Geflecht „bislang noch nicht untersucht worden“. Was zutreffend ist, wenn er sich auf die im letzten Jahrzehnt erschienenen amtlichen Quellenpublikationen bezieht. Er versteht sein Werk als eine „thematisch und zeitlich begrenzte empirische Untersuchung vorwiegend außenpolitisch-diplomatischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der alliierten Hauptsiegermächte und der beiden deutschen Staaten hinsichtlich der Deutschland-Konferenzen zwischen 1945 und 1990“.

Nach einem einführenden Einblick in einige Forschungsdiskussionen und in die Quellenlage wird in zwei großen Teilen das Thema abgehandelt. Der erste Teil „Der gescheiterte deutsche Friedensvertrag (1945 - 1949)“ beschäftigt sich mit der Genesis sowie mit den Organisations- und Entscheidungsmechanismen der Deutschlandpolitik der vier Mächte, mit den Potsdamer Beschlüssen über die Rahmenbedingungen einer deutschen Friedensregelung und mit den sechs Tagungen des Außenministerrates zwischen 1945 bis 1949. Trotz intensiver Verhandlungen kamen die Dinge nicht voran, weil der in Gestalt eines Kalten Krieges ausgebrochene Ost-West-Gegensatz eine durch Interessenausgleich getragene Lösung unmöglich machte. Während seit der Moskauer Konferenz 1947 beide Seiten in der Frage des Friedensvertrages auf das Prinzip der Verzögerung (postponment) bauten - in der Hoffnung, die Kräfteverhältnisse könnten sich mittelfristig zum eigenen Vorteil ändern -, schlugen sie in ihrem Besatzungsbereich divergente Wege ein. Die Teilung Deutschlands wurde zu einem unaufhaltbaren Faktum. Die Berlin-Krise 1948/49 beschleunigte die Entwicklung. Die VI. und letzte Sitzung des Rates der Außenminister von Mai/Juni 1949 in Paris bot - auch wenn es Küsters nicht wahrhaben will - mit einem Modus vivendi eine letzte Chance, die deutsche Frage offen zu halten, bevor sie in einer Zweistaatlichkeit versteinerte. Die Westmächte verwarfen schon im Vorfeld von Paris einen solchen Brückenschlag, weil er Weststaat- und Westblockbildung gefährdete. Erst im September 1949 gab Stalin grünes Licht für die Oststaatbildung.

Den zweiten Teil der Studie überschreibt Küsters unter Eliminierung der Begriffe „Friedensvertrag“ und „Wiedervereinigung“ mit „Die Verhandlungen über den Status Deutschlands (1950 - 1959)“ und markiert somit deutlich den „Hauptstrang“ deutscher Nachkriegsgeschichte. Die Westintegration der BRD stand einer gesamtdeutschen Friedensregelung, wie sie die UdSSR und die DDR aus ihrer Interessenlage heraus wünschten, diametral entgegen. Die Ablehnung der Stalin-Note von 1952 war zwangsläufig, auch wenn die seinerzeit von Paul Sethe ausgelöste Debatte um die „Sternstunde der deutschen Einheit“ noch heute mit akademischen Argumenten geführt wird. Folgerichtig wendet Küsters alle Aufmerksamkeit auf die „westliche Ersatz-Friedensregelung“ in Gestalt des Generalvertrages, besser als Pariser Verträge vom Mai 1955 bekannt. Die von den Sowjets initiierten Konferenzen von Berlin 1954 und Genf 1955 und 1959 wertet er als propagandistische Manöver zur Verunsicherung des Westens. Denn: „Seriöse Verhandlungen, die wirkliche Aussichten auf die Lösung der Deutschlandfrage eröffnet hätten, fanden unter den vier Siegermächten in dieser Phase nicht statt.“ So bricht Küsters seine akribische Untersuchung an dem Punkt ab, wo mit dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf vom 10. Januar 1959 das letzte Kapitel dieses Dramas begann. Chruschtschows Berlin-Ultimatum vom November 1958 zwang den Westen in eine Situation, die er nicht wollte und aus der er sich nur mit Mühen lösen konnte. Am Ende standen der Mauerbau in Berlin und die im Ergebnis des amerikanisch-sowjetischen Meinungsaustausches von 1961/62 getroffene stillschweigende Übereinkunft, den Status quo in den deutschen Angelegenheiten zu respektieren. Im Gegenzug verzichtete die Sowjetunion auf ihre Forderung nach einem deutschen Friedensvertrag und strebte fortan eine Regelung der deutschen Dinge im Rahmen einer europäischen Sicherheitsordnung an.

Da Küsters die wichtige Zwischenperiode von 1959 bis 1989 völlig ausklammerte, wirkt das Schlußkapitel „Die abschließende Regelung (1989/90)“ eher angehängt. Es faßt die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zusammen, die am 12. September 1990 mit dem „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ endeten. Nach 45 Jahren war endgültig ein Schlußstrich unter die deutsche Frage gesetzt worden. Küsters wertet es als eine „Kuriosität“, daß „hauptsächlich auf Drängen der Regierungen in Bonn und Washington die Vertragspartner auf den förmlichen Friedensschluß verzichteten“. In Wirklichkeit war es Ziel und Genugtuung, die „äußere Wiedervereinigung“ so schnell und so direkt erreicht zu haben. Der jahrzehntelange Gegner, schon in Agonie liegend, warf - sportlich formuliert - das Handtuch. Insofern muß man nicht lange „nach Erklärungen für die überraschend zustande gekommene Lösung der deutschen Frage“ suchen.

Wie ein roter Faden durchzieht das Gesamtwerk die Idee vom „Integrationsfrieden“ als Antithese zum „Diktatfrieden“ und zum „Verhandlungsfrieden“. Integrationsfriede bedeutete, das besiegte Hitler-Deutschland nicht aufzuteilen, nicht zu knechten wie 1919, sondern die „Möglichkeit zur Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft in fester politischer, wirtschaftlicher und militärischer Bindung an eine Staatengruppierung, jedoch unter Wahrung seiner legitimen Rechte als Staat“ zu geben. Mit anderen Worten: Westdeutschlands Weg seit 1945 über Westbindung und Westblock führte mit langem Atem und trotz alledem zum verspäteten Friedensschluß. Küsters, ein Schüler von Hans-Peter Schwarz, dem „Gralshüter der Adenauer-Forschung“, schlägt somit den Bogen vom „Gründervater“ Adenauer zum „Schmied der Einheit“ Kohl.

Bei aller kritischen Wertung liegt hier eine gewaltige Arbeitsleistung vor, die in der Auswertung der Quellen, in der Formulierung der Forschungsfragen und im Fazit der Analyse Maßstäbe setzt, die zur Diskussion herausfordern, vor allem aber die Weiterarbeit auf diesem Felde befördern.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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