Eine Rezension von Bernd Heimberger

Rhythmen der Rache

Marc Höpfner: Pumpgun
FVA Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2001, 245 S.

Moderne Autoren moderner Zeiten geben sich erst im Internet zu erkennen. Also auch „www.mar-hoepfner.de“. Ansonsten mag er es konventionell. Höpfner, Marc, Jahrgang 64, ist etwas spät dran mit seinem ersten Buch. Es ist ein ambitioniert literarisches Buch, das traditionelle Romanstrukturen nicht mit Füßen tritt und wenig ausgetretene Pfade tastend betritt. Womit schon etwas über Wollen und Können des Autors gesagt ist, der sich angestrengt hat, weil er viel will und einiges kann. Aber, immer angestrengt ehrgeizig. Der Ehrgeiz läßt die auch angestrebte Leichtigkeit des Erzählens kaum zu. Als Wort harmlos, ist der Romantitel Pumpgun wie ein Schuß. Zumindest für die, die wissen, daß Pumpgun ein Jagdgewehr ist. So dramatisch die Handlung, die Dramaturgie des Romans hinkt immer hinter dem Dramatischen hinterher. Höpfner hat eine grauenvolle Geschichte aufgenommen, deren Gräßlichkeit zu schildern er nicht zu seiner Sache gemacht hat. Scheinbar ablenkend und auf Umwegen, nähert er sich dem unheilvollen Geschehen. Das Unheil wird wahr, als ein Achtzehnjähriger acht seiner Mitschüler mit der Pumpgun erschießt. Die Tat eines Amokläufers, wie wir sie inzwischen aus den Fernsehnachrichten kennen? Ja. Nein.

Marc Höpfner hat es sich nicht einfach gemacht, um seine Story der Gewalt zu schildern. Die Geschichte des Täters hat er nicht als Tat- und Tätergeschichte geschrieben. Die Geschichte des Helden hat er nicht als Helden-Tat-Geschichte geschrieben. Erzählt wird von den Rhythmen der Rache, die Täter wie Held leiten und verleiten. Innere Vorgänge, die die sichtbaren Handlungen veranlassen, sind dem Autor das Eigentliche der Entwicklungen. Die Frage ist nicht: Wer erschießt wen wie? Die Frage ist: Was und wer macht einen Mörder zum Mörder? Ist der Krieg im Menschen schuld an den Schandtaten des Menschen? Ist der Krieg des Menschen gegen den Menschen die Ursache, der von der gewöhnlichen Gewalt angestiftet wird, die in der alltäglichen Aggressivität der Gesellschaft steckt? Ja. Nein.

Der Erzähler muß nicht entscheiden. Er muß mit den Geschichten seine Geschichte vom Ja und Nein erzählen. Marc Höpfner hat nicht viele Geschichten für seine Geschichte des Grauens. Vieles, zu vieles bleibt deshalb belanglos, was belangvoll gemacht wird in Pennäler- und Pubertäts-Episoden. Von Anbeginn vage angedeutet, ahnen die Leser bald, was läuft, läuft auf Tragödie hin. Und das in einem Zeitlupentempo, daß sich geschichtenorientierte Leser wiederholt fragen werden, ob es nicht gescheiter ist, aus dem Roman auszusteigen. Gedankenorientierte Leser werden sich gelegentlich fragen, ob sie sich weitere pädagogisch gestimmte Welt-(an)-(ein)-sichten gefallen lassen sollen. Marc Höpfner hat keine Fallstudie verfaßt. Auch keinen Essay. Nicht nur einzelne Sätze des Romans erinnern an essayistische, psychologische Analysen eines Falls, in den mehrere Schicksale verstrickt sind. Das des zur Tat getriebenen Täters ebenso wie das des unheldischen Helden, der dem Täter die Waffe abnahm. Ein Fall, der für keinen abgeschlossen ist und keinem Ruhe gönnt. Die Leser werden in Unruhe versetzt und müssen mit ihr, wie auch immer, zurechtkommen. Unbarmherzig hat der Autor die Leser in eine unbarmherzige Geschichte gestoßen: in die Welt der nicht zu vereinbarenden Gegensätze, die die Wirklichkeit, also die Wahrheit, sind. Die bleibende Verstörung, die Marc Höpfners Pumpgun auslöst, ist keine Lösung. So hat Literatur, manchmal, doch eine Funktion!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite