Eine Rezension von Friedrich Schimmel

Welt der Wolkenkratzer

Bruno Flierl: Hundert Jahre Hochhäuser
Hochhaus und Stadt im 20. Jahrhundert.
Verlag Bauwesen, Berlin 2000, 264 S.

Betrachtet man in diesem opulenten Bild-Text-Band die vielen Fotos von Wolkenkratzern, fühlt man sich wie in einem wunderwilden Panoptikum, wie in einer Welt, in der einem, blickte man aus dem Fenster von ganz oben herunter, schwindlig werden könnte. Bruno Flierl, bekannt als Architekturkritiker, kennt sich aus in den Metropolen der Welt, wo die Häuser wie Pilze in den Himmel schießen. Sein Buch ist auch für Leser, die nicht in einem Hochhaus arbeiten oder leben müssen, anregend und überraschend. Blickt man auf die Skyline von Frankfurt am Main, weiß man, das alles ist schon ganz nah. Und in Berlin geht’s ja auch höher und höher. Doch Berlin hat in dieser Hinsicht „Nachholebedarf“ an Weltstadtqualität. Dies, meint Bruno Flierl, „wird von manchen Politikern, Investoren und auch Architekten oft als Nachholebedarf an Hochhäusern interpretiert - und also von Grund auf mißverstanden ... Den Deutschen fällt es bekanntlich besonders schwer, aus der Geschichte zu lernen, aus der eigenen wie aus der anderer. Wie gut, daß sie nicht alles machen können, was sie wollen.“ So erscheint der Mangel auch als Glück, doch warten wir's mal ab, wie in zwanzig Jahren die Gegend um den Berliner Alexanderplatz aussehen wird.

Indessen wird hier in diesem phantastischen Buch nicht die Zukunft heraufbeschworen. Es wird ausführlich über Hochhäuser und Hochhausstädte im 20. Jahrhundert geschrieben. Sachkundig, nachvollziehbar, prägnant und immer in einem Stil, der lesenswert ist. Bruno Flierl analysiert und beschreibt einen „Weltprozeß“, vergleicht Entwicklungen ausgewählter Städte - unter ihnen New York, Chicago, Paris, London, Berlin, Hongkong, Singapur, Shanghai. Es geht dem Autor nicht um „den Drang in die Höhe, sondern um ein zusammenhängendes Bild und eine systematisch entwickelte Erkenntnis über das Werden und den Wandel von Hochhausstädten und ihren Silhouetten im 20. Jahrhundert“. Das Thema heißt: vom Hochhaus in der Stadt zur Hochhausstadt. Ob Amerika, Europa oder Asien, auf eins von drei Elementen muß das Hochhaus immer erbaut werden: Block, Scheibe oder Turm. Dies wird nicht nur durch Fotos, sondern vor allem durch überzeugende Zeichnungen veranschaulicht. Zuerst und in Amerika waren es nur Büros, die in den Himmel wuchsen. Später kamen Wohnungen und Hotels hinzu, und in jüngster Zeit werden Hochhäuser mit gemischten Nutzungen gebaut. Was einst eine „Maschine zum Geldverdienen“ war, wird zum unüberschaubaren Dschungel einer Stadt. Fluchten, Linien, Schluchten. Der Mensch darin kommt sich klein vor, nicht jeder mag darin arbeiten oder wohnen. Bruno Flierl zeichnet Prozesse im „Wettlauf um höchste Höhen“ nach, zugleich beleuchtet er sozial-kritische Aspekte dieser Entwicklung. In manchen Ländern geht es dem Autor einfach zu schnell in die Höhe. Shenzhen in China ist solch ein Beispiel. Eine kleine Grenzstadt mit 30 000 Einwohnern wuchs in zwei Jahrzehnten zu einer Stadt von über 1 Million ständigen und 2 Millionen zeitweiligen Bewohnern heran. Gigantisch, aber problematisch. Verglichen mit Hongkong ist hier vieles anders. Die Architektur zeigt „keine Highlights, sondern sehr viel Gewöhnliches einer modernen und postmodernen Allerweltsarchitektur, schnell und glitzernd hingestellt“. Zurück nach Europa. Die größte Baustelle Europas zu sein, hält Bruno Flierl für eine Manie. Berlin setzt wenigstens noch Fragezeichen im Konzert der Wolkenkratzer-Metropolen. Es bleibt offen, ob nach „Konzepten nationaler oder mehr und mehr auch europäischer und globaler corporate identity gebaut werden wird“. Der Leser in Europas Mitte weiß nach der Lektüre dieses Buches mehr, blickt er auf Frankfurt am Main oder auf Berlin, dann bleiben freilich Zweifel genug.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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