Eine Rezension von Sabine Kaldemorgen

Leblose Welten - Juan Manuel de Prada schickt seine naiven Erzähler in absonderliche Situationen

Juan Manuel de Prada: Junge Damen in Sepia
Erzählungen.
Aus dem Spanischen von Alexander Dobler.
Klett-Cotta/J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger,
Stuttgart 2000, 212 S.

Er ist erfolgreich, ehrgeizig und nach eigenem Bekunden ein „Proletarier der Literatur“. Der selbstverliehene Titel verweist auf den Arbeitseifer, mit dem Juan Manuel de Prada sich in die erste Reihe der spanischen Nachwuchsautoren geschrieben hat. Im Alter von 19 bis 24 Jahren nahm er an rund 400 Literaturwettbewerben teil, um von den Preisgeldern leben zu können. Es ging steil aufwärts, als ihn der Journalist und Schriftsteller Francisco Umbral förderte. Juan Manuel de Prada avancierte zum Hoffnungsträger der neuen spanischen Literatur.1997, drei Jahre nach seinem Provokationsprosa-Debüt unter dem Titel Coños (Fotzen), erhielt er den hochdotierten Planeta-Preis für Trügerisches Licht der Nacht. Ob er den Spagat zwischen Quantität und Qualität bravourös und zur Unterhaltung gemeistert hat, darf bezweifelt werden.

Im Erzählband Junge Damen in Sepia begegnen die meist noch pubertären Erzähler lüsternen Witwen, skurrilen Bilderstürmern, verhinderten Verschwörern und einfaltslosen Kleinstadtpoeten. Zu letzteren gehört Don Hipólito, ein Dichter von zweifelhaftem Ruf, der in „Die galanten Nächte“ an seiner Mittelmäßigkeit leidet, die Dinge beim Namen zu nennen. Von ähnlichen Sorgen scheint auch Juan Manuel de Prada, ein überzeugter Provinzler, befallen zu sein. Um dem entgegenzuwirken, überfrachtet er die Texte mit gezwungen wirkenden Bildern, verquirlt sie mit vermeintlicher Sinnlichkeit und versucht mit Hilfe von Mythologie und Religion vergeblich, den Bogen etwas weiter zu spannen. In der Erzählung „Junge Damen in Sepia“ heizt das Porträt des Großvaters die Phantasie des Enkels an. Er entdeckt „einen erschöpften Zug um die Lippen, die Neigung zu Wollust nicht verbergen möchten, alles an ihm mutet gotisch an, wie eine Mythologie voller Heldentaten“.

Die Geschichten handeln vom Scheitern, von Besiegten, die durch eine neue Situation handlungsunfähig oder zum Schweigen gebracht werden. Mit Ausnahme des Schriftstellers Pedro Luis Gálvez, der nach dem Spanischen Bürgerkrieg 1940 erschossen wurde, treten unspektakuläre Personen auf, die durch bizarre Umstände und Sprachbombast aufgewertet werden. Juan Manuel de Prada vertritt die Devise, daß Schriftsteller mit Terroristen vergleichbar seien, die „Bomben aus Metaphern, aus Wörtern“ in die Gesellschaft werfen, um sie aufzurütteln. Das Ergebnis ist abschreckend, denn eine Überdosis bewirkt bekanntlich das Gegenteil. Die Figuren bewegen sich in „Gefilden der Sünde“, in „Flußwindungen der Gewissensbisse“ und sind von einer „unnatürlichen Aura umhüllt“. Unaufhörlich drischt er auf 212 Seiten auf den Leser ein und stellt dessen Vorstellungsvermögen vor schier unlösbare Aufgaben.

Der dreißigjährige Autor gehört zu den Belesensten unter den Schriftstellern seines Alters. In den Rezensionen, die Juan Manuel de Prada für die Zeitung ABC schreibt, vermittelt er in klarer, dichter Sprache gefühlvoll seine Leseerlebnisse. Anspruchsvolle Unterhaltung und gelungene Zerstreuung scheint er an die eigenen Leser nicht weiterreichen zu wollen. Wortverliebt kreiert er künstliche Figuren, Kopfgeburten, die sich leblos-antiseptisch in künstlichen Welten bewegen. Beobachtungen sind nicht sein Metier. Den „Costumbrismo“, kritisch-heitere Sittengemälde, lehnt er ab. Statt dessen gilt Juan Manuel de Pradas Bewunderung literarischen Größen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, allen voran dem Boheme Ramón Gómez de la Serna, dem durch unkonventionelle, teilweise groteske Schriften der Durchbruch gelang. Die Orientierung an den Vorbildern geht so weit, daß er auch das Rollenbild der damaligen Zeit übernimmt.

Die männlichen Figuren stellen Abenteurer dar, Verführer, die in halbseidene Geschichten verwickelt und von Geheimnissen umwabert sind. Frauen fallen durch ihren schlechten Geschmack auf oder durch sexuelle Eigentümlichkeiten, die in dem Dunstkreis von Heilige oder Hure angesiedelt sind. Der Erzähler von „Blaues Blut“ führt sich mit der absurden Leistung ein: „Trotz meines Gedächtnisses (...) erinnere ich mich noch genau an die Nacht meiner Empfängnis.“ In pränataler Rückschau erlebt er mit, wie es seine Mutter aus Sehnsucht nach einem Vergewaltiger an den Strand treibt, um dort mit unbekannten Männern in einer „Aura aus Talmi, Sperma und nächtlicher Stimmung“ zu verweilen. Vermutlich wären an dieser Stelle auch dem Phantasievollsten keine Assoziationen zu Gold, Weihrauch und Myrrhe gekommen, so daß der Autor hilfreich darauf hinweist. In „Die Hände des Orlac“ sorgt ein Entflohener aus dem Irrenhaus für Gesprächsstoff in einer Gruppe von Jugendlichen. Einer von ihnen läßt sich dazu überreden, für Cristina, einen „präraffaelistischen Engel, von einer weißen, kalligraphischen und plattbrüstigen Schönheit, die im Widerspruch zu ihrer fast erwachsenen Perversität stand“, eine Mutprobe zu begehen. Die Erzählung kann getrost überschlagen werden, da sich in den anderen elf noch genügend pseudoerotische Stilblüten finden, die den Blick vom Buch zur Decke schweifen lassen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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