Eine Rezension von Heinrich Buchholzer

Geheimnisvolles Irland

John F. Deane: Im Namen des Wolfes
Roman.
Aus dem Englischen von Hans Christian Oeser.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2001, 228 S.

Von diesem Autor konnte man nur ein sehr irisches Buch erwarten. Wind und Heideland, Felsen und Meer, Schafe und ein nie gesichtetes, vermeintlich aber gerochenes und nächtens vielleicht gehörtes Untier, das ein Wolf sein könnte, ein Wolf sein muß. Es wird von Menschen berichtet, die auf einer Insel leben, wo jeder jeden kennt und jeder für sich allein stirbt. Von Menschen, die zwar nicht des Menschen Wolf sind, aber kaum Wärme für den anderen übrig haben. Wenige Ausnahmen gibt es dennoch.

John F. Deane, irischer Dichter, Herausgeber der Zeitschrift „Poetry Ireland Review“, hat mit Hilfe eines einfühlsamen Übersetzers seinen ersten Roman in deutscher Sprache vorgelegt. Man sollte ihn ausgeruht, mit Geduld und Bedacht lesen, es ist kein Krimi, kein Psychothriller. Es ist ein Buch von einfachen Menschen und von der Natur. Von der Natur, in der sie leben, und von der Natur, die in ihnen lebt, der menschlichen. Das Buch ist nachhaltig: Man spürt, wenn es ausgelesen ist, den Wind über der Insel und sieht die Felsen, die aufs Meer schauen, und erinnert sich an die Leute.

Der Autor ist auf Achill Island geboren, vor der Nordwestküste der Republik Irland, kleine Insel vor der großen Insel. Es bleibt verborgen, wo er den Roman angesiedelt hat, vielleicht auf Achill, vielleicht auf Aran Island, einem noch kleineren Eiland, vor der Galway Bay. Der genaue Ort ist unwichtig. Entscheidend ist die Atmosphäre, die den Leser von den ersten Buchseiten an umfängt und bis zum Schluß begleitet. Open end, es ist kein glückliches Ende zu erwarten, die Geschichte hört damit auf, daß ein todkrankes Mädchen sich in eine Höhle am Berghang zurückzieht. Es ist kein Zufall, daß es allein bleibt. Es bleibt offen, worauf es wartet. Es ist sicher, daß es dort sterben wird.

John Deane verteidigt den Wolf und klagt die Menschen an, die den Namen des Wolfes mißbrauchen. Auf der Insel kommen Schafe abhanden, und beim Fleischer verschwindet geschlachtetes Vieh. Es war der Wolf, sagen die Leute, weil sie einen Sündenbock brauchen, „dem sie die Schuld zuschieben können, denn der Mensch will nicht in seine Seele schauen und die eigene Tierähnlichkeit wahrnehmen. Der Mensch ist ein Tier, ein jämmerliches, aasfressendes Tier, aber er will nichts davon wissen. Sie wollen ihre Torheit einem anderen anhängen. Dann versuchen sie, ihrer Torheit und ihren Ängsten einen Namen zu geben, damit sie sie verabscheuen können, und nennen sie Krieg, nennen sie Moormensch, Bestie oder Wolf“. So spricht eine der eindringlich skizzierten Frauengestalten zu dem kranken, jämmerlich leidenden Mädchen, das den Lupus, die entstellende Wolfskrankheit, in sich trägt.

Schließlich machen sich die Männer des Ortes, Proviant und den Flachmann in der Tasche, zur Jagd auf. Sie verbrennen die Heide, aber sie finden keinen Wolf. Schließlich prügeln sie sich. Sie sind es leid, „in Nässe und Kälte auf die Wolpertingerjagd zu gehen“. Hier bemüht der Übersetzer statt eines unübersetzbaren irischen Wortes den Namen des bayrischen Fabelwesens, teils Wolf, teils Wildsau, teils sonstwas, grausig anzusehen. Dieser Teil der Geschichte könnte sehr wohl in Oberbayern spielen. Unverwechselbar aber sind die Iren und ihre Landschaft. Wir begegnen einer irischen Westküstengemeinde, wie sie beleibt lebt und verschämt liebt und Hammelkoteletts ißt. Eine Pracht, freilich ohne Pomp, wie John Deane all die Landleute vorführt, den selbsternannten Faulpelz von Hafenmeister, den Fleischer, den Krämer mit seinem fahrbaren Laden, den Pfaffen mit seinem Whiskey und seiner Haushälterin, eine Schar unterschiedlicher Frauen, wenig emanzipiert, aber zumindest inwendig gegen die Mannsleute räsonierend.

Der Roman hat keine scharf gezeichnete Handlung, keine Hauptfiguren, keine positiven Helden und keine Bösewichte, wenn man davon absieht, daß so mancher der Männer seinen Wolf in sich trägt oder seine Sau, die er gern rausließe. John Deane malt dies alles ohne grelle Farben, auch nicht in Schwarzweiß, eher in Pastell. Er legt ein wenig Nebel und Melancholie über die Handlung. So kommt er nicht dazu, von irischer Fröhlichkeit und Sangeslust zu künden. Das Geheimnis des Wolfes hat sie zum Verstummen gebracht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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