Eine Rezension von Bernd Heimberger

Laster des Lebens

Hrsg.Volker Skierka: Liebschaften und Greuelmärchen. Die unbekannten Zeichnungen von Heinrich Mann.
Gerhard Steidl Verlag, Göttingen 2001, 382 Seiten

Wahrlich ein Werk von enormem Gewicht! Läßt sich, wenn schon, nur auf den Schoß nehmen. Damit sind wir bei der Sache. Wohlwollend gesagt, die „Sache“ sind mehr oder weniger erotische Zeichnungen. Der Steidl Verlag, der sich diesen Luxus leistet, leistet es sich, unter dem Titel Liebschaften und Greuelmärchen, nüchterner formuliert, Die unbekannten Zeichnungen von Heinrich Mann herauszugeben. Wer, bitte schön, möchte 2001 unbekannte Zeichnungen eines Autors, den öffentliche Bibliotheken aus ihren Regalen ekelten und der im Papiercontainer gelandet ist? Luxus pur! Zumal die Veröffentlichung nicht mal eine aufsehenerregende Offenlegung des anderen Talents von Heinrich Mann ist. Der Schriftsteller war keine Doppelbegabung. Wer den Untertan und Henri Quatre geschrieben hat, bleibt wer in der deutschen Literatur. Die berühmte Familie Mann, die ansonsten kaum ein gutes Haar an den Handlungen und Haltungen des Bruders, Onkels, Schwagers ließ, hat’s so beurteilt. Die Weiber des Ältesten waren nie gut gelitten. Vor Heinrichs Liebschaften grauste der Sippe. Nun darf alle Welt mal einen Blick auf die Weiber werfen. Also auf das Erotische im Leben des Heinrich Mann. Ob der Charmeur ein feinsinniger Erotiker war, sollte besser nicht aus den Zeichnungen herausgelesen werden. Wie die sind, sind sie derb in allen Details und Darstellungen. Ungeniert kann auch grob gesagt werden. Freundlich gesagt: Es ist ein genüßliches Dilettieren des Zeichners festzustellen. Vieles sieht aus, als hätte es der Zeichner stets eilig gehabt, zum Schluß zu kommen. Ein überaus ausgeprägter Sinn für das Kompositorische, sprich die künstlerische Gestaltung, ist nicht auszumachen. Die Blätter waren dem Heinrich Mann Lebens-Mittel. Mit Lust illustrierte er Szenen des Lebens und der Literatur, die er gekonnter beschrieb. Wo die Rubensschen Frauenzimmer flachliegen, Nazis sich als schwule Fummler tummeln, ist Simplifizierung und Sarkasmus bleibstiftführend gewesen. Laster des Lebens umkreist Mann mit dem Bleistift, um in das eine oder andere Wespennest zu stechen. Wo hatte der Mann all die Modelle und Motive her? Alles Schreibtisch-Ansichten? Zu sehen ist eine Lebens-Zeit, die ihre Zeit hatte. Es ist nicht das Werk, das man gern auf dem Schoß hat. Es rücksichtslos runterschieben und verstoßen? Ungnade ohne Ende gegen Heinrich Mann? Die Ausgabe will den oft übel Beleumdeten rehabilitieren. Aufwendig und ansprechend aufbereitet sind die Zeichnungen des Bandes kein amouröses Abenteuer.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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