Eine Rezension von Bernd Heimberger

Viertel mit Villen

Hans-Michael Schulze: In den Wohnzimmern der Macht. Das Geheimnis des Pankower „Städtchens“.
Berlin Edition im Quintessenz Verlag, Berlin 2001, 244 Seiten

Wen es in den vergangenen zehn Jahren in den abseits gelegenen Pankower Majakowskiring zog, der kam in die literaturWERKstatt. Je jünger, desto weniger wußte das Publikum von der Geschichte des Literaturhauses mit den Nummern 46-48. Ein Jahrzehnt, von 1950 bis 1960, war die Villa das Haus des Braunschweiger Buchdruckers Otto Grotewohl, des ersten Ministerpräsidenten der DDR. Hans Scharoun hatte das Gebäude zuvor nach Wünschen des neuen Nutzers umgebaut. In Grotewohls Nachbarschaft zum Majakowskiring, in der Stillen Straße und im Rudolf-Ditzen-Weg, wohnte, wer zur Partei- und Regierungsspitze der DDR zählte. Die Pankower Stadt in der Stadt, ironisch „Städtchen“ genannt, war schon vor der Mauer durch eine Mauer abgeschirmt. - Erst war die Regierung eingemauert, dann mauerte sie das Volk ein! - Das Städtchen war das Machtzentrum der frühen DDR. Pankow wurde dem Westen zum Synonym der „Machthaber in der Zone“. Sprach der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, von „Pankoff“ , so nicht mit Verständnis, sondern mit Verachtung.

Für Hans-Michael Schulze, der aus dem Geheimnis des Pankower Städtchens so gar kein Geheimnis macht, ist Pankow „einer der bedeutendsten historischen Orte Europas im 20. Jahrhundert“. Richtig! Auch, wenn das bislang ungenügend berechtigte Beachtung fand. Auch, wenn kaum jemand diesem Viertel mittelprächtiger Villen soviel geschichtliche Bedeutung zutraut. Hinweise gibt’s an Ort und Stelle fast keine. Abgesehen von der wuchtigen Bronzetafel an der Fassade des Hauses Majakowskiring 54. Seit 1945 wohnte hier der aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrte spätere Nationaldichter der DDR - Johannes R. Becher. Und wer kann schon ahnen, daß in der Nummer Zwölf des Rings noch immer die 1903 geborene Ulbricht-Witwe lebt ? Marginalien, gewiß, die Schulzes Buch mit dem läppischen Titel In den Wohnzimmern der Macht nicht ausläßt. Der Verfasser der bildreichen wie textgewandten Dokumentation des berühmtgewordenen Berliner Stadtteils Niederschönhausen im Stadtbezirk Pankow ist alles andere als beliebig oder belanglos. Die Qualität des Buches bestimmen umfängliche und gründliche Recherchen des Autors. Nicht nur Lokalpatrioten, Nostalgiker und Hobby-Historiker werden von der Publikation bestens unterhalten. Die nachgezeichnete Entwicklung von der gutbürgerlichen Gegend der Unternehmer, Ärzte, Handwerker, Ingenieure ... zum „Ghetto“ der Funktionäre der DDR ist von beachtlichem Wert für Historiker. „Ghetto“ sagten nicht nur Besucher des Refugiums, wie Wolfgang Leonhard in einem Vorwort berichtet, sondern auch manche Bewohner. Hans-Michael Schulze hat einen Ort der Geschichte genau angesehen. Er hat auf die Geschichten der Geschichte geachtet und ihre Bedeutung für die deutsche Nachkriegsgeschichte beachtet. Sein Buch In den Wohnzimmern der Macht ist ein gutes Beispiel dafür, wie Geschichtsdarstellung gut gemacht sein kann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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