Eine Rezension von Bernd Heimberger

Vorleben einer Vorliebe

Andreas Reimann: Die männlichen zeitalter.
Claudia Gehrke Konkursbuch, Tübingen 2001, 109 Seiten

Die spätveröffentlichten Frühwerke des Andreas Reimann hatten die Titel Die weisheit des fleischs (1975) und Das ganze halbe leben (1977). Das ganze halbe leben war noch nicht mal die ganze halbe Wahrheit. Die weisheit des fleischs meinte gewiß nicht nur den Genuß des Gebratenen. Einst wie jetzt gilt für den 1946 geborenen Autor: Er genießt gern! Zu genießen gibt’s genug. Zum Beispiel das Körperliche, das Mensch dem Menschen bietet. Konkreter: der Mann dem Manne.

Gleichgeschlechtliche Liebe ist dem Lyriker sein Buch wert und ihm wichtig.

Die männlichen zeitalter heißt ein neuer Band des Lyrikers aus Leipzig. Selbstverständlich als „Liebesgedichte“ deklariert, war das Selbstverständliche für Reimann vor einem Vierteljahrhundert nicht so selbstverständlich. Das Selbstverständliche selbstverständlich zu nennen, fällt dem Lyriker keineswegs leicht. Er ist jedoch in der guten Lage, mit Leichtigkeit von dieser Liebe, seinem Lieben zu reden. Von jener Liebe, von der Klaus Mann sagte: „Es ist eine Liebe wie jede andere auch.“ Die Leichtigkeit gibt den Gedichten den Grundton, arrangiert den beschwingten Rhythmus des hellen Klangs. Mancher hohe Ton ist ein übertriebener Ton. Nicht selten pointiert Reimann seine Poesie, indem er parodiert, was sich als „schwule Literatur“ beim Leser einschmeicheln möchte. Andreas Reimann schreibt Lyrik. Das Thema ist das Schwulsein, das Sein des Schwulen. Das eher schöne, denn schwere Schwulsein. Halt Liebe nur. Und sonst gar nichts! Deshalb ist die allgemeine, alles umfassende Bezeichnung „Liebesgedichte“ so zutreffend. Liebende wie Geliebte sind Angesprochene. Jedem wird so manches gesagt, was aus dem eigenen Liebes-Er-Leben bekannt ist.

Reimann äußert sich mit Vorliebe unverändert metaphorisch-barock. Weniger aphoristisch oder allegorisch als einst. Zum Vorteil der Lyrik? Zu ihrem Nachteil? Noch immer ist Reimann ein hymnisch gestimmter Lyriker. Für das Leidenschaftliche hat er die hohe Sprache, die keine hochlodernde, flammende, wärmende Leidenschaft zuläßt. Obwohl schlichte Sachlichkeit nicht die Sache des Lyrikers ist, scheut er nun nicht das Sachlich-Dokumentarische. Auch deshalb ist das frühveröffentlichte Spätwerk Die männlichen zeitalter ein Dokument Reimannscher Dichtung. Wie einst ist er erzählerisch. Nicht erzählerisch im Sinne des Walt Whitman, obwohl Whitman gewiß zu den Wahlverwandten von Andreas Reimann gehört. Allen Bedenken zum Trotz kann die Lyrik des Leipzigers eine poetische Form des Erzählens genannt werden. Als Ganzes gesehen ist die Sammlung der Liebesgedichte auch als eine Serie kurzer lyrischer Romane zu sehen.

Stichworte für die Verse liefert die Biographie des Verfassers. Sein Leben - „Eines tags war ich schwul“ - ist ihm zur Lektion geworden. Mit jedem dieser Liebesgedichte wird sein Leben zur Lektion für die Leser. Wie früher frönt der Lyriker der Lust des Lehrens in seinen Sinn-Gedichten. Vom Weihwasser des Wissens besprüht, verlor das Sinnliche früher nie den Eigen-Geruch. Nun triumphiert das Weihwasser. Mit der schamlosen Unmittelbarkeit des Bekennenden - auch Bekehrenden? - kann Reimann von scholastischer Direktheit sein und seinen Dichtungen didaktische Diktionen zumuten. Unduldsam bleibt er gegenüber den Dummen und der Dummheit. Indirekt wie direkt ist Andreas Reimann auch ein Wider-Sprecher. Gewachsene Geduld ist in den Liebesgedichten, die von der Gewißheit diktiert wurden, daß auch zwei ganze halbe Leben nicht die ganze Weisheit haben werden.

So wichtig jedem Dichter die Konzeption seines Gedichtbandes ist: Leser setzen sich schnell über das Konzept hinweg und wählen Texte nach eigenem Ermessen aus.

Andreas Reimanns Band Die männlichen zeitalter will in der wohlbedachten Folge gelesen werden. Der Linearität der Sammlung, den Linien des Lebens des Lyrikers ist am besten zu folgen, wenn die Gedichtfolge eingehalten wird. Nichts wird bloßgestellt. Alles wird klargestellt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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