Eine Rezension von Bernd Heimberger

Thomas Manns Masken

Edo Reents: Thomas Mann
Claassen Verlag, München 2001, 184 S.

Warum schnitt Thomas Mann das in einer Zeitschrift reproduzierte Bild „Kinderkarneval“ von Kaulbach aus? Vermutlich nicht, weil er in einem der fünf porträtierten Kinder ein Mädchen vermutete. Vermutlich hat er später das einzige Mädchen des Bildes, nämlich Katja Pringsheim, nicht der Mädchenhaftikeit wegen geheiratet. Wenn, dann liebte Thomas wohl eher das Knabenhafte der Katja. Gibt’s noch Grundlegendes über den „Großschriftsteller“ zu sagen, wie er auch von Edo Reents genannt wird? Dieser hat begründete Zweifel. Alles, scheint es Reents, ist inzwischen von Biographen und Forschern gesagt. Genug von Thomas Mann selbst. Macht nichts. Reents hält nicht den Mund. Er erhöht den Thomas-Mann-Buch-Turm durch sein „Thomas-Mann“-Buch, ohne ihn zum Einsturz zu bringen. Edo Reents’ Beitrag ist ein leichtes Gewicht. Ist kein starker Tabak. Schon gar kein starker Tobak. Ist eher Thomas Mann „light“. Der Feuilletonist hat für Feuilleton-Leser geschrieben, die das Unterhaltende des Feuilletons mehr mögen als das Seminaristische. Will der unterhaltende Verfasser etwas übermitteln, gar vermitteln? Das ungelebte Leben des Thomas Mann? Das Leben, das Leben erst in und mit der Literatur war? Das Leben also des Literaten, von dem Reents nicht oft genug behaupten kann, daß er einen „langen Atem“ hatte? Das Leben des Menschen, das „labil und haltlos“, also immer kurzatmig war? Ist Reents soweit, eine Maske des Thomas Mann eine Maske zu nennen, muß er nicht auch noch vom Schwitzen hinter den Masken sprechen. Der Feuilletonist macht nicht den Psychologen, den Moralisten, Ethiker ... Kurzum: Er ist nicht der Analytiker der Analysen. Er ist der Beobachter einer Biographie und Beobachter der Biographen. Reents zerbricht sich nicht den Kopf über einen perfekten Onanisten des Körpers und Geistes. Über den Thomas Mann, der die höchste Kunst im Selbstbefried(ig)en erreichte und dem das Selbstbefried(ig)en höchste Kunst war. Vom Wissen unbeeinträchtigt, kann Edo Reents alle gestellten Fragen noch einmal stellen. Und ebenso unbekümmert kann er alle gegebenen Antworten noch einmal geben. Verallgemeinerungen können Verallgemeinerungen bleiben. Differenziertes muß nicht fürs Differenzieren herhalten. Gibt es sie irgendwo, dann sind Lese- und Bildungszirkel mit Reents’ Thomas-Mann-Buch bestens bedient. Immer wieder werden Leser da sein, für die alle Fragen und Antworten neue Fragen und Antworten sind. Edo Reents schreibt für seine, eine neue Generation. Geboren wurde sie ein Jahrzehnt nach dem Tode von Thomas Mann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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