Eine Rezension von Hans-Rainer John

Frustrierende Realität hier – eine Welt von gestern da

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Michael Connelly: Schwarze Engel
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb.
Wilhelm Heyne Verlag, München 2000, 416 S.

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Mary Higgins Clark: Vergiß die Toten nicht
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner.
Wilhelm Heyne Verlag, München 2000, 384 S.

Im vergangenen Jahr sind bei Heyne, dem Verlag für gehobenere Spannungsliteratur, zwei Kriminalromane erschienen, die unterschiedlicher nicht sein können. Nein, auch Schwarze Engel ist kein Highlight seiner Sparte, sondern nur Mittelklasse, aber der Realität verpflichtet. Connelly war Polizeireporter in Los Angeles, ehe er sich mit seinen Bestsellern Der Poet und Das zweite Herz als freier Schriftsteller etablierte und dann seine Romanserie um den Detective Harry Bosch begann. Connelly kennt sowohl die fragwürdige, mitunter rassistische Praxis der Cops, der Schwarzen Engel, als auch die Philosophie der Polizeiführung, der weniger an Aufdeckung der Wahrheit und an Sicherung des Rechts liegt, als an einer diplomatischen Strategie, die Unruhen wie die von 1992 vermeidet, als weiße Polizisten, die den Schwarzen Rodney King halb totgeschlagen hatten, freigesprochen wurden. Da gibt es Druck auf den Ermittler, schnell einen halbwegs plausiblen Täter vorzuweisen, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Da wird auch schnell mal der falsche Cop zum Täter gestempelt, wenn er denn schon tot ist, oder der wahre Täter zum Opfer glorifiziert, wenn er denn schon gelyncht wurde. Das Gefühl für Recht und Ordnung bleibt bei solcher Taktik in jedem Fall auf der Strecke. Das widerspiegelt höchstwahrscheinlich das wahre Leben, aber deprimierend ist es für den Leser am Ende doch.

Ausgangspunkt ist der Fund zweier Leichen in der Nacht zu einem Sonnabend in L. A. Eines der Opfer, und das macht das Ereignis gewichtig, ist Howard Elias, der schwarze Staranwalt, der am Montag in einem Gerichtsprozeß im Interesse der Afroamerikaner Anklage gegen eine Reihe von weißen Cops erheben wollte. Daß der Täter aus den Reihen der durch den Prozeß Bedrohten kommen könnte, liegt nahe, zumal ein Schuß in den After des Anwalts abgrundtiefen Haß signalisiert, ein bloßer Raubmörder tut dergleichen kaum. Trotzdem oder gerade deswegen hat es Harry Bosch schwer, den Täter zu ermitteln, denn der Korpsgeist schweißt die Polizei zusammen, Deputy Chief Irvin Irving mischt sich immer wieder ein, und das Opfer hat kaum Sympathien, da es mit seinem missionarischen Eifer auch offenbare Gewalttäter freipaukte und zudem noch geschickt eigensüchtige Gewinninteressen verfolgte. Als Bosch endlich am Ziel ist, kehrt die Polizeiführung um der Ruhe willen die Wahrheit unter den Teppich. Bosch ist frustriert, muß das Spiel um seines Jobs willen aber mitspielen.

Im langen Prozeß der Fahndung brilliert Connelly detailsüchtig und manchmal den Leser mit der Penibilität schon nervend mit seinem Polizeiwissen, aber er erzielt immerhin überzeugend den Anschein der Authentizität. Auch die Charaktere gelingen ihm im allgemeinen farbig und widerspruchsvoll. Elias ist nicht nur bedauernswertes Opfer, talentierter Ermittler und begnadeter Rhetoriker, sondern auch auf Profit bedachter Stratege, der auf jeden Fall der Polizei ans Leder will. Der Schwarze Peter wird auch nicht allzu einseitig den Cops zugeteilt, auch deren schwierige, oft undankbare und frustrierende, auf jeden Fall gefährliche Arbeit kommt ins Spiel, und auch die taktischen Erwägungen der Polizeiführung von L. A. sind nicht so ganz abseitig. Der Countdown, der zur Tötung des wahren Mörders führt, ist ganz und gar überzeugend.

Die hellsichtige Analyse der Untiefen und Schattenseiten unserer vermeintlich so zivilisierten und fortschrittlichen Welt ist allerdings nicht durchgehend mit geistreich-ironischen Dialogen und einer perfekt vernetzten Handlung verbunden. Da war das zweite Opfer eben nur zufällig zum falschen Zeitpunkt am Tatort und hat mit dem Racheakt an Elias nichts zu tun. Da wird das Team von Harry Bosch, dem die Schwarzen Kizmin Riders und Jerry Edgar angehören, erst ausführlich in Szene gesetzt und interessant charakterisiert, nach dem zweiten Drittel aber gänzlich aus der Handlung verloren - Bosch arbeitet dann nur noch im Alleingang. Da ist die Freundschaft Boschs mit dem verdächtigen Cop Francis Sheehan, für den er sich überaus nachdrücklich einsetzt, kaum begründet, und die Ereignisse um den Autokönig Kincaid, der seine Stieftochter mißbraucht und umbringt, sind nicht frei von Klischees und vordergründiger Action.

Ist dieses Buch trotzdem wegen seines Realitätsgehalts seriös und mit Interesse und Anteilnahme lesbar, so ist dem Rezensenten die Auszeichnung des neuesten Romans der in New Jersey lebenden Mary Higgins Clark (73) mit dem Edgar Allan Poe Grand Masters Award ein wirkliches Rätsel - wäre er nämlich Buchhändler, würde er den Roman in ein hinteres Regal verfrachten. Von welchen Maßstäben läßt sich eine Jury wohl leiten? Ist die Auszeichnung ein Tribut an eine der meistgelesenen Spannungsautorinnen der Welt? Auch wenn man schon viele Bestsellerlisten erobert hat, kann die Schaffenskraft im Alter nachlassen.

Der Originaltitel Before I Say Good-Bye wurde für die deutsche Ausgabe nicht ganz unberechtigt in Vergiß die Toten nicht abgeändert. Offenbar hat der Titelgeber an T. S. Eliot gedacht: „Wofür die Gestorbenen keine Worte fanden, solange sie lebten, das können sie dir sagen, da sie tot sind: Die Toten sprechen mit feurigen Zungen jenseits der Lebenden Sprache.“ Und tatsächlich geht es hier um solche mystischen Vorgänge, daß sich Sterbende im Augenblick des Todes auf einem anderen Kontinent verabschieden, daß Tote aus dem Jenseits Mut und Zuspruch gewähren und aus Lebensgefahr retten, daß eine junge Frau das Zweite Gesicht hat und erkennt, wenn sich welches Menschen Leben wann vollendet, und daß Wahrsager Gespräche mit Verstorbenen arrangieren. Bei Eliot (Four Quartets. Little Gidding) freilich geht es um Poesie, M. H. Clark aber wollte einen Krimi schreiben, da sollten nüchterne Fakten dominieren.

Im Gegensatz zu Connelly ist für M. H. Clark auch die Welt noch in Ordnung: Ein Kongreßabgeordneter ist der selbstlose, unermüdliche und hilfreiche Engel seine Wahlbezirks, eine Hoffnung für alle Mühseligen und Beladenen, die Polizei ist Garant für Recht und Gesetz, für Ordnung und Sicherheit (und sie wird natürlich den Immobilienhaien wegen ihrer skandalösen Schmiergeldaffäre kräftig auf die Finger klopfen), und die Detectives agieren zurückhaltend, unaufdringlich und als Freund und Helfer.

Eines Tages will die hübsche und elegante, intelligente und charmante, gefühlvolle und edelmütige Nell MacDermot (32) endlich dem allgemeinen Drängen nachgeben und sich - vom Journalismus zur Politik wechselnd - um einen Abgeordnetensitz im Kongreß bewerben. Nur Adam Cauliff, ihr Mann, mit dem sie bereits in drei schönen Ehejahren (gelegentliche Trübungen eingeschlossen) liebevoll verbunden ist, lehnt sich dagegen auf. Für Nell ist das ein Rätsel. Aber sie weiß ja noch nicht, daß er ein notorischer Bösewicht ist. Schon sein Diplom hat er sich erschwindelt, als Architekt taugt er nichts, keiner will mit ihm zusammenarbeiten, sein Vorstrafenregister ist ellenlang. Die Wahlkampagne seiner Frau könnte an den Tag bringen, daß es kaum ein Vergehen gibt, das er nicht auf dem Kerbholz hat. Was also tun? Alle Leute, die etwas gegen ihn in der Hand haben, auf seine Jacht laden, die Jacht in die Luft sprengen, selbst als Froschmann in letzter Minute von Bord springen, ein neues Leben beginnen. Aber dazu braucht's Geld. Leider hat er in der Eile sein Jackett zu Hause gelassen, in dessen Tasche der Schlüssel zum Schließfach steckt. Also die Handtasche der Sekretärin mit dem Zweitschlüssel krampfen. Das eben just - wie der Froschmann mit der Tasche in der Hand ins Wasser springt - beobachtet ein Knirps von einem Nachbarboot und setzt die Fahndung in Gang.

Als Nell, die ihren geliebten Mann lange für unschuldig hält und verteidigt, endlich auf eigene Gefahr ermittelt, wird sie von Adam gefesselt und in Brand gesteckt. Aber gemach, Freunde sind ihr schon auf der Spur, darunter der wundervolle Arzt Dan Minor, der künftig Adams Stelle in Nells Ehebett einnehmen wird. Nach dreißig Jahren ist er auf die Idee gekommen, seinem Mütterchen nachzuforschen, die ihn als Kind verlassen hat. Aber die Stadtstreicherin ist in einem Abrißhaus erstickt, als es Adam illegal abfackeln ließ. Dafür wird natürlich Nell gerettet (und gewählt), indes sich Adam zu Tode stürzt.

Natürlich legt die Autorin zuvor noch zwei falsche Fährten, die zum Arbeitslosen Jed Kaplan und zum Makler Peter Lang führen. Ihnen wird eine Zeitlang nachgegangen, aber der Leser weiß natürlich sehr bald, worauf die Geschichte hinaus will. Die Charaktere changieren kaum, sie sind entweder rabenschwarz (wie Adam) oder strahlend weiß (wie Nell, Opa Cornelius und Dan). Die Handlung ist nicht nur haarsträubend, unglaubhaft und konstruiert, sie wird auch sentimental, kitschig und betulich erzählt. Am Ende singen auf der Wahlparty alle: „Warte, bis die Sonne scheint, Nellie, / bis die Wolken sich verziehn. / Dann werden du und ich ein Paar ... (‚Darauf kannst du Gift nehmen‘, flüstert Dan.) Drum warte, bis die Sonne scheint, Nellie.“ Und Hunderte jubeln: „Wir wollen Nell! Wir wollen Nell!“ Ein solch Finale kann nur ein Weihnachtsmärchen übertreffen.

In einem Nachwort bedankt sich die Autorin bei ihrer Tochter, daß sie sie gehindert habe, für ihre Generation unverständliche Redewendungen zu benutzen. Dem Rezensenten scheint, daß die Hilfestellung ungenügend war und das Buch den Geist von vorgestern atmet.

 


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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