Eine Rezension von Bernd Heimberger

Briefe nach Berlin

Alexander Osang: Schöne neue Welt. 50 Kolumnen aus Berlin und New York.
Ch. Links Verlag, Berlin 2001, 160 Seiten

Ungeniert und ungehindert sagt Alexander Osang Ich. Und nicht erst, seit er SPIEGEL-Korrespondent in der Hauptstadt der Welt ist. Der Subjektivist Osang ist am wenigsten unverwechselbar in seiner Individualität. Als Subjektivist muß der Journalist nicht den Medien-Cowboy geben, der das Lasso der Objektivität schwingt. Der Subjektivist kann seinem Subjektivismus ordentlich Leine geben. Das bekommt den Kolumnen gut. Die Subjektivität ermöglicht es dem Schreiber, Betrachtungen, Beobachtungen, Bemerkungen, Berichte, Bedenken zu objektivieren. Das gilt für jede einzelne seiner Kolumnen und erst recht für die Serie der „Stadtkolumnen“, die allsonnabendlich im Magazin der „Berliner Zeitung“ florieren. 50 Kolumnen aus Berlin und New York in einem Band sorgen dafür, daß Berlin in New York und New York in Berlin stattfindet. Vieles schwappt hinüber und herüber übern großen Teich.

Alexander Osang schleppt Berliner Ballast durch die Schöne neue Welt. Er lotst die N.Y. News in die letzten unverputzten Hinterhöfe von Prenzlauer Berg und Friedrichshain, von Wedding und Moabit. Die Leser im häuslichen Sessel werden vom Stadtschreiber in die große weite Welt gelockt, die überall eine Welt der kleinen und kleinsten Winkel ist. Osang hat die passenden Worte für die Winkel und menschlichen Winkelzüge der wirklichen Welt parat, die zumeist fernsehgerecht unwirklich gemacht wird. Wirken tun die Kolumnen wie ein Schoppen Federweißer nach dem anderen. Sie machen übermütig in dem Glauben, mit der wirklichen Welt leben zu können. Ach, das könnte schön sein, in der gar nicht so schönen, gar nicht so neuen Welt die schöne neue Welt zu entdecken. Alexander Osang ist alles andere als ein Aufrührer. Er ist ein Aufstachler. Er macht Lust, hier und da, tagein, tagaus, Last lachend aufzuheben. Nachträglich müßte der Kolumnist für den Karl-Marx-Orden vorgeschlagen werden. Wer hat je – außer Uwe Johnsons, Gesine Cresspahl – soviel DDR-Mentalität nach New York mitgenommen und ausgelebt? Einem DDR-Berlin-Zweifler fällt es offenbar leichter, kritisch mit dem auch überaus zweifelhaften New York zu leben. Welch eine Botschaft in diesen Briefen nach Berlin! Welch eine Gewißheit, daß alle Informationen von hier und drüben, von drüben und hier, uns nicht vorgaukeln, nun alles zu wissen über die Welten in der Welt. Da kann ich nur noch A.(h) und O.(h) sagen!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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