Eine Rezension von Bernd Heimberger

Zeilen eines Zweiflers

Gottfried Keller: Schön ist doch das Leben! Biographie in Briefen.
Aufbau-Verlag, Berlin 2001, 330 Seiten

Der Germanist Peter Goldammer ist mit Gottfried Keller (1819 - 1890) groß geworden. Die Generation, die mit Thomas Gottschalk groß wird, kennt kaum mehr den Namen Gottfried Keller. Das grämt den 80jährigen Goldammer. „Die Werke der älteren Dichter verfügbar zu halten“, wie er sich ausdrückt, ist der ehrenvolle Auftrag der Germanistik. Gut gedacht! Gut gemeint! Was tun? Goldammer wirbt mit Keller für Keller. Wie so oft in der Rolle des Herausgebers, vermehrt er die Gottfried-Keller-Editionen mit einer Biographie in Briefen.

Zur Sache nur zu sagen - „Zweck erkannt, Ziel verfehlt“ - wäre fahrlässig. Das Buch Schön ist doch das Leben! wird jenen näher sein, die ohnehin dem Verfasser des Grünen Heinrich, der Leute von Seldwyla, des Martin Salander nah sind. Nachrückende sollten besser gleich die Novellen und Romane des Schweizers in die Hand nehmen. Die arrangierte Brief-Biographie ist eine Collage. Mangels ausreichender aussagekräftiger Korrespondenzen war der Herausgeber gezwungen, Tagebuchnotizen, Auszüge aus einer Kellerschen Autobiographie wie der des Grünen Heinrich zu zitieren, um Kindheits-, Jugend-, Ausbildungsjahre des Schriftstellers möglichst detailliert darzustellen. Den „Brief“-Band durch andere Selbstaussagen zu erweitern heißt nicht, von einem Mangel zu sprechen. Erst die Erweiterungen machen begreifbar, wieso Gottfried Keller ein starker Zweifler war, dessen Entwicklung durch Zweifel gefestigt wurde. Zu erfahren ist, daß der renitente 15jährige der Schule verwiesen wurde, daß das Streben des Künstlers mit einem Fiasko endete - „Das Malen ist nun an den Nagel gehängt“. Zu lesen ist der erste quälende Liebesbrief des 27jährigen und davon, wie lange und heftig der Schriftsteller mit seinem Verleger Vieweg stritt, was es bedeutete, Staatsschreiber mit sicherem Sold und solider Dienstwohnung zu sein. Nichts Neues also aus und zur Biographie des Erzählers und Lyrikers. Wie auch! Nichts Sensationelles aus dem Leben, zum Leben des Gottfried Keller. Wie auch!

Die Briefe zur Biographie lesend, ist zu ahnen, wie der genußsinnige Demokrat das Los des ewigen Junggesellen und Laienpolitikers trug und ertrug. „Mein Mißgeschick liegt eigentlich mehr in mir selbst“, urteilte der Älterwerdende und resümierte schließlich, „... die Dinge müssen durch- und ausgehalten werden.“ Was nicht das Selbstverständlichste war für ein Naturell, dem Disziplinierung nicht leicht fiel und dem Lockerheit dennoch nicht das Naheliegendste war. Wie bewältigen, was einem das Leben erschwert? Die „Brief“-Lebenschronik hält als nährendes Lebensmittel den Humor bereit. Der kommt in den Briefen desto besser zur Geltung, je älter Gottfried Keller wird. Den heiteren Sinn werden Schnelleser kaum wahrnehmen. Sicher auch nicht die Jüngeren, denen die Stilistik des Schriftstellers Schwierigkeiten bereitet. Wer geduldig und deshalb genau liest, wird viel Vergnügen an der Anschaulichkeit der Briefe haben, die auf den geschickten Geschichtengestalter Gottfried Keller hinweist. Der Herausgeber möchte, daß die Lebensgeschichten in Briefen auf die Geschichten der Literatur des Gottfried Keller neugierig machen. Außer der guten Absicht des Peter Goldammer nichts gewesen? Und wenn! Die Absicht ist nicht zu verachten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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