Eine Rezension von Hans-Rainer John

Eine Männerfreundschaft und das Thema 1

Feridun Zaimoglu: Liebesmale, Scharlachrot
Roman.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2000, 300 S.

Zaimoglu (36), der zwar in der Türkei geboren wurde, aber seit über 30 Jahren in Deutschland lebt, ist zum Kultautor geworden. In seinen Büchern „Kanak Sprak“ (1995), „Abschaum“ (1997) und „Koppstoff“ (1998) ging er der Frage nach, wie es sich hierzulande als Kanake lebt. Jetzt legt er seinen ersten Roman vor. Ich will nicht unterschlagen, daß ihn der Verlag als „unvergleichlich kraftvolle Literatur“ anpreist, aber ich teile diese hohe Meinung nicht.

Er besteht aus 42 Briefen, die zwischen Juni und Oktober (1999) vor allem zwischen zwei jungen Türken gewechselt werden, und zwar vorzüglich zum Thema 1: Mädchen abschleppen, Ladys abgreifen, den Hormonbeutel öffnen.

Serdar, der sein Studium hingeschmissen, einen kurzen Versuch, sich als Kunstmaler zu etablieren, abgebrochen und sich nun auf die Produktion von Heiku-Versen (das sind Zwei- oder Vierzeiler) geworfen hat, ist ein Schwarm der deutschen Frauen. Neben Anke und Dina gibt es weitere kurzlebige Amour-Episoden, so daß es ihm schließlich zuviel wird, er sich überfordert sieht und von den Gestaden der Förde an die westtürkische Ägäis zurückzieht, um sich dort von seinen Eltern päppeln zu lassen. Mutter bekocht ihn prächtig, aber er beklagt geistige und körperliche Impotenz: Die Heiku-Verse fließen nicht, und sein Glied verweigert sich jeder Erektion. Zudem sind „Deutschländer“ in der türkischen Heimat höchst unbeliebt, und als Serdar für die Amazone Rena entbrennt, kommt es zu einem blutigen Handgemenge mit Konkurrenten. Und dann kommt ihm auch noch Anke, überraschend angereist, über den Hals! Da fällt der Abschiedsbrief Dinas, die inzwischen den Parallelliebschaften auf die Spur gekommen ist, nicht mehr ins Gewicht.

Serdars Freund Harkan ist in Kiel zurückgeblieben, in einem Berg von Schulden und überfälliger Rechnungen, denn er ist arbeitslos. Den Ganztagsbimbo in einem Laden mag er nicht spielen, und als Mannequin oder Kleindarsteller will ihn keiner haben. So bettelt er bei Freund und Feind, vertröstet den Gerichtsvollzieher, organisiert kleine Raubzüge und „Kanakenkriminalität“. Im Kopf hat er nichts als Tittenspitzen und Schamlippen, aber als Macho-Stecher und Raubacke in der Liebe macht er nicht Furore. Hoffnungslos scharwenzelt er einer Jacqueline hinterher, die seine erotische Phantasie entzündet, landet aber nur als Kabinen-Onanist im Pornoladen, labt sich an Beate Uhses Mittelchen. Als Jacqueline eines Tages wirklich bei ihm klingelt, öffnet er mit offenem Hosenstall und erigiertem Glied. Er vermutet sie nun endgültig vergrault, aber wunderbarerweise tritt das Gegenteil ein. Jacqueline entpuppt sich als Tantra-Masseuse, ein Festival des Sexus hebt an, aber leider ist es nicht von Dauer, denn die Ersehnte springt wetterwendisch von Mann zu Mann ...

Der Ton der beiden Briefschreiber ist grob-frozzelnd, unbedarfte Scherze wechseln mit grimmigen Späßen, schamlose Schilderungen von Ferkeleien sind eingeschlossen. Fünfzig Seiten lang bestaunt man die „Kanak Sprak“, die ohne Unterlaß dahinstürmt, bildhaft und wortgewaltig in einer Art Gossenjargon, und die noch dazu den unterschiedlichen Intelligenzgrad der beiden Jungen deutlich werden läßt. Daß der Reiz dann aber aufgebraucht ist, liegt an der ausschließlichen Konzentration auf ein und dasselbe Thema und an der gelegentlichen Grenzüberschreitung zum Fäkalischen. Für einen 300-Seiten-Roman ist das geistig etwas dürftig, und manchmal eben wird das Unappetitliche nicht nur gestreift.

Eingeflochten sind auch einige wenige Briefe von Anke und Dina. Die sind mißlungen, falls es das Ziel war, auch damit Charakterbilder zu liefern. Dina ist Universitätsdozentin und schwört dennoch, Serdar zu folgen, „gleich, ob in die Wüste oder in den Krieg“. Wie kann man einem Mann erotisch in solchem Maße verfallen sein, ohne daß der Grips dazwischenkommt? Das wird nicht erklärt. Denn was den Wert, den Reiz, die Anziehungskraft Serdars ausmacht, wird nicht deutlich. Auch Anke hebt sich, im juristischen Umfeld am Computer tätig, kaum ab. Da werden die beiden Männer in ihren Briefen weit plastischer, aber uns so recht lieb und teuer wohl auch nicht. Wenn Harkan mit seiner „Faulgasbombe“ kämpft, unter der Achsel Brusthaarschwitze hat und ihm „aus Sack und Arschrinne ein von keinem Wässerchen getrübter Duft“ entströmt, wird er nur wenig anziehend umrissen. Und seinem Freund wirft er wohl nicht ganz unbegründet vor: „Alles, was dir vorschwebt, is, die Frauen inne Rückenlage zu manövrieren, denn an sich fühlst du'n Scheiß.“

Nun, die Freundestreue Harkans ist sicher echt und das Gefühl beider für Jacqueline bzw. Rena (Dina ???) soll es wohl auch sein, aber ein Weltbild oder Lebensziel oder ein Gedanke nur, der in höhere Regionen (als unterhalb des Gürtels) strebt, zeichnet sich kaum ab. Die Überlegungen müssen ja nicht gleich das Sternendach streifen, aber einer das Dasein sichernden Tätigkeit könnten sie gelegentlich schon gelten. Auch die Umwelt - sei es in Almanya, sei es in der Türkei - könnte man auch hin und wieder wahrnehmen, nicht?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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