Eine Rezension von Friedrich Schimmel

„Zu Hause und gleichzeitig weg“

Michel Würthle: Paris Bar Berlin
In Zusammenarbeit mit Eckhart Nickel.
Quadriga Verlag, München 2000, 191 S.

Wer in diesem opulent gestalteten Buch blättert und liest, Fotos und Reproduktionen betrachtet, fühlt sich bald in eine andere Welt versetzt. Auch wer noch nie drinnen war, ist plötzlich inmitten der Paris Bar. Ein mythischer Ort in der Kantstraße. Berühmt, bekannt, beliebt. Tischreihen, Spiegel, schwarz-weiß gefliester Boden, Bilder über Bilder. Und Menschen aus aller Welt und aus Berlin. Es ist immer was los. Begonnen hat es schon nach dem Krieg, dann war mal Flaute, bis Ende der siebziger Jahre Wiener Künstler und Autoren die Paris Bar entdeckten. Der Wirt der Paris Bar, Michel Würthle, sammelt Kunst, die er in diesen Räumen aufgehängt hat, zeichnet selbst und ist ein heiterer Mann mit großen geselligen Talenten. Auch zu diesem Buch hatte der Wirt eingeladen. Eine Art Gästebuch ist entstanden, Erinnerungen, Stimmen, Bilder: Der Maler Sigmar Polke nennt Würthle „die sprechende Mozartkugel“, der Soziologe Eckart Britsch lobt den „völlig unbekannten Gastronomentyp, mit dem in mindestens vier Sprachen über die übliche Verdauungsrhetorik hinaus eine interessante Debatte geführt werden kann: natürlich über Malerei, Literatur und Film, aber auch über gestreifte Eichhörnchen, schwarze Balken vor den Geschlechtsteilen oder die Vorteile der slowenischen Armenküche“. Die Paris Bar, ein Ort in Berlin, „wo das Leben seit jeher Zuflucht sucht, um sich in Ruhe der Kraft zu versichern, die es so dringend benötigt. Wo der Mühelose Zeit findet für seine Elementarbeschäftigung, das Nichtstun“ (Eckart Nickel). Auch den Modemacher Wolfgang Joop zieht es regelmäßig (aus New York über Potsdam kommend) an diesen Ort, dort tanzt er Silvester mit seinen Models, liebt „dazu die kosmopolitisch-berlinerische Atmosphäre, die echte, ungestörte Patina an Wänden, Gemälden, Kunstwerken und im Gesicht des Stammgastes Otto Sander, dessen eigene Ecke an der Bar mittels Messingschild permanent reserviert ist, geben mir das Gefühl, zu Hause und gleichzeitig weit weg zu sein“.

Lob über Lob, Laune und Lust, Vergnügen und hier und da auch ein bißchen Inszenierung, wenn jemand danach zumute ist. Zwischendurch Gespräche mit dem Besitzer. Michel Würthles Konzept klingt gut: „Wir erfanden ein neues Refugium, aber nicht für Gleichgesinnte, sondern für Leute, bei denen ein Blick genügt, eine Geste und die Art, wie sie sich setzen, um festzustellen, daß man eine Ähnlichkeit der Auffassung besitzen könnte.“ Das ist eine wichtige Kunst, hier scheint sie immer zu gelingen. Ein leuchtender Gegenpol zur Berliner „Stehkneipenbierseligkeit“. Der Maler Bernd Koberling meint: „Ich kenne kein Lokal in der Stadt, wo an einem turbulenten Abend eine so seltsame Mischung aus Hochintelligenten und Dummköpfen, Langweilern und Exzentrikern, plakativen und stillen Schönheiten, Eleganten und Plumpen, wachen und toten Augen, eitlen Giganten und eitlen Zwergen ein anonymes Treffen veranstaltet.“

Ein Ort auch für Leser, für Genießer jeder Art, Betrachtsame und Selbst-Schauspieler. Sehen und sich zur Schau stellen. Dieser farbige und auch mitunter schrille Band gibt Einblicke in den wechselreichen Restaurant- und Bar-Haushalt. Mythische Orte sind Kristallisationspunkte. Mancher kommt nur wegen der Paris Bar nach Berlin. Das Wahrzeichen von Berlin? fragt der Sammler Heinz Berggruen. Natürlich die „wache, wilde, rund um die Uhr summende, schimmernde, tosende Paris Bar“.

Auch Politiker kommen hierher, an einen Ort, an dem „es lediglich durch eine unerklärliche Vitalität manchmal zum Äußersten kommt“.

Bleibt nur ein Rat zum Schluß, hingehen. Die rote Neonschrift der Paris Bar in der Kantstraße ist nicht zu übersehen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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