Eine Rezension von Horst Wagner
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Von Gorbatschow über Jelzin zu Putin

Tanja Wagensohn: Rußland nach dem Ende der Sowjetunion
Verlag Friedrich Pustet, Stuttgart 2001, 264 S.

Das ist - vom Format her - ein handliches und - hinsichtlich Gliederung und ergänzenden Materialien - ein gut handhabbares Buch. Es hat einen gewichtigen Inhalt und liest sich doch leicht, jedenfalls im Vergleich zu manch anderen Sachbüchern zeitgeschichtlichen Inhalts. Die 1970 in Straubing bei München geborene Dr. Tanja Wagensohn, studierte Slawistin, Germanistin und Politologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaften der Universität Regensburg, führt uns einigermaßen sicher durch die Wirren russischer Geschichte seit dem Ende der Sowjetunion. Durch ein Labyrinth aus Präsidentenwillkür und Parteienwirrwar, Machtkämpfen und Intrigen, Volksarmut und glänzendem Reichtum der „Bisnessmen“, verbreitete Lethargie und immer mal wieder zuckendes Aufbegehren. Ihre Studie reicht vom Putschversuch des „Notstandskomitees“ gegen Gorbatschow vom 18. August 1991 bis zum Untergang der „Kursk“ im August 2000. Dazu in zwei Querschnittskapiteln ein kenntnisreicher Überblick über die postsowjetische Gesellschaft, ihre Struktur- und Lebensart, ihre Kunst und Kultur.

Gleich auf den ersten Seiten, bei der Darstellung des dilettantischen Putsches einiger Männer der alten Nomenklatura und der gekonnten Gegenaktionen des machtbewußten Jelzin, fesselt uns Frau Wagensohn durch ihre dramatisch zugespitzten Schilderungen und ihr ausgewogenes, treffsicheres Urteil. Nicht weniger interessant schildert sie im folgenden die ersten Schritte in Richtung Marktwirtschaft und den Krisensommer 1992. Höhepunkte dann die bewaffneten Auseinandersetzungen um das Parlament 1993, die sie „die schwersten Kämpfe in der Moskauer Innenstadt seit der Oktoberrevolution 1917“ nennt, und der erste Tschetschenienkrieg 1994/95. Wir erleben die Erfolge und Niederlagen, die Krankheiten und Exzesse Jelzins ebenso mit wie den Verschleiß der von ihm eingesetzten Ministerpräsidenten von Gaidar und Tschernomyrdin über Kirijenko, Primakow und Stepaschin bis zum neuen Hoffnungsträger Putin, der, bei Jelzins überraschendem Rücktritt vom 31. Dezember 1999 von diesem gleichsam als Thronfolger eingesetzt, schließlich überlegener Sieger der Präsidentenwahlen vom März 2000 wurde.

„Wer ist Putin?“ fragt Tanja Wagensohn und macht uns mit seiner Biographie sowie mit seinem ihn gründlich von Jelzin unterscheidenden Lebens- und Arbeitsstil bekannt. Kritisch beleuchtet sie das neuerliche Aufflackern des Tschetschenienkrieges. Die Vermutung der Autorin, daß mit dem Sinken der „Kursk“ auch der Stern Putins sinken würde, hat sich allerdings nicht bestätigt. Auch an einigen anderen Stellen des Buches sieht der Rezensent Fragezeichen angebracht. So z. B. zur Zugehörigkeit des jetzigen KP-Chefs Sjuganow zum früheren KPdSU-Politbüro (S. 42) oder zum „zufälligen“ Bekanntwerden des Reaktorunglücks von Tschernobyl im April 1986, „weil amerikanische Flugzeuge über die Unglücksstelle flogen und fotografierten“ (S. 199).

Sehr positiv zu vermerken bleiben dagegen die der Auflockerung und dem besseren Verständnis dienenden „Beigaben“: Fotos von der „Aurora“ über das Lenin-Mausoleum bis zum wild tanzenden Jelzin und dem nachdenklich-verschmitzt dreinblickenden Putin, Karikaturen aus russischen Zeitungen, Tabellen über Wahlergebnisse und Amtszeiten, eine übersichtliche Karte und recht informative statistische Angaben zur Russischen Föderation, 32 Kurzbiographien, Informationen über historische Stätten, Landschaften und Sehenswürdigkeiten Rußlands, eine detaillierte Zeittafel und ein ausführliches Personenverzeichnis.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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