Eine Rezension von Hans-Rainer John
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Zwischen schöner Sinnlichkeit und schmutziger Gier

Rose Tremain: Melodie der Stille
Roman.
Aus dem Englischen von Elfie Deffner.
Carl Hanser, München 2000, 512 S.

Die Handlung ist in Dänemark um 1630 angesiedelt und stellt König Christian IV. und seinen englischen Lautenspieler Peter Claire in den Mittelpunkt. Trotzdem handelt es sich nicht um ein didaktisches Historienspektakel, in dem die Autorin mit ihren Geschichtskenntnissen auftrumpft, sondern um einen sensiblen, poetischen Roman, der seine Charaktere – sie psychologisch tiefschürfend, differenziert und widerspruchsvoll zeichnend – modernem Empfinden ganz nahe- bringt und die Historie souverän nur als Hintergrund aufscheinen läßt. Die Musikalität des Ausdrucks bezaubert, die Leichtigkeit und Genauigkeit der Formulierung faszinieren, die gedankliche Tiefe, die Tiefe der Empfindungen – scheinbar ganz beiläufig erzielt – erfüllen den Leser mit Bewunderung für ein überragendes literarisches Talent, als das sich hier die in Norfolk lebende Rose Tremain (58) darstellt, die für diesen Roman zu Recht mit dem Whitbread-Preis ausgezeichnet wurde.

Die Lektüre ist leicht und angenehm, obwohl die Handlung nicht nur fortschreitet, sondern oft zurückspringt und zwischen verschiedenen Schauplätzen und Personenkreisen hin und her wechselt, denn die Autorin hat das Szenarium feingeflochten ersonnen und unangestrengt realisiert. Sie fesselt die Anteilnahme auch durch kluge Variation der Mittel: Der objektivierte Autorenbericht wird unterbrochen und ergänzt durch fingierte subjektive Dokumente wie Briefe und lange Auszüge aus Tagebüchern und privaten Papieren. Erst im Rückblick wird deutlich, wie kunstvoll hier vorgegangen wurde, während die menschliche, weise und herzerwärmende Haltung der Autorin sofort berührt.

Christian IV. von Dänemark ist tapfer und gebildet und um das Wohl seines Landes bemüht, aber im Alter von etwa 50 Jahren nun anhaltend vom Unglück verfolgt. Seine bürgerliche Gemahlin Kirsten Munk, um 21 Jahre jünger, hintergeht ihn ostentativ mit einem deutschen Grafen, um seine Gesundheit ist es nicht zum besten bestellt, sein Versuch, in die Religionskriege einzugreifen, verlief erfolglos und verlustreich, sein Bemühen, die Finanzen des Landes durch Abbau einer Silbermine in Norwegen aufzubessern, scheitert desaströs. Handel und Handwerk liegen am Boden, der Adel praßt und schlemmt, das Volk hungert und friert, und Christian hat nichts in der Hand, um zu vermitteln. Trost findet er nur in der Musik. Von seinem Hoforchester ist ihm besonders der junge Lautenspieler Peter Claire ans Herz gewachsen, aber gerade diesen muß er seinem Neffen Charles in London überlassen. Denn das ist die Bedingung, unter der der englische König Dänemark mit hunderttausend Pfund wieder auf die Beine helfen will ...

Wie bei jedem guten Roman ist auch hier die Handlung mit kurzen Worten nicht andeutungsweise zu umreißen. Unter der Hand blättert die Autorin alles am Lebenslauf Christians auf, was von Kindheit an seinen Charakter geprägt hat. Wichtig ist ihr, wie er immer wieder leidenschaftlich der sinnlichen Anziehungskraft der lasterhaften Kirsten erliegt, bis er endlich aus Gründen der Staatsräson gezwungen ist, das eitle, zänkische, gierige und böse Weib vom Hof zu verbannen. Natürlich muß sie dabei von ihrer Hofdame Emilia Tilsen begleitet werden, und die war doch gerade dabei, sich auf einen Bund mit Peter Claire einzulassen. Harwich und Norfolk in England, wo die Familie Peter Claires lebt, und Cloyne in Irland, wo die Gräfin O’Fingal ihre Tage verbringt, bei der Peter Claire zuvor in Diensten war und die ihn nicht nur als Arbeitgeberin, sondern auch als Frau angezogen hat, sind neben Jütland, wo Emilia Tilsen zu Hause ist und Ellen Marsvin lebt, die Mutter von Kirsten Munk, die weiteren Handlungsorte, die vielfältige und wahrhaft wechselvolle Menschenschicksale enthalten.

Das Alltägliche und Naheliegende wird von Rose Tremaine dabei meist verschmäht, sie erweist sich als Meisterin darin, das Ungewöhnliche, Seltsame, ja sogar Übernatürliche glaubhaft und wie selbstverständlich zu vermitteln. Und vor allem liegt stets Musik über der Szene: Die Menschen, die einen guten Charakter haben oder bei denen zumindest noch Hoffnung besteht, vermögen sie wahrzunehmen und zu genießen, ihnen vertreibt sie Trübsal und Schmerzen, die Bösen aber hassen jede Melodie. Sie beten einzig die leere Schönheit an, und aus Zuneigung und Sinnlichkeit wird bei ihnen nur schmutzige Gier.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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