Eine Rezension von Wolfgang Buth
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Fesselnde Biographie eines außergewöhnlichen Menschen

Jacob Teitel: Aus meiner Lebensarbeit
Erinnerungen eines jüdischen Richters im alten Rußland.
Mit einem Vorwort von Simon Dubnow und einer Charakteristik von Maxim Gorki. Deutsch von Elias Hurwicz. Neu herausgegeben mit einem Essay und Anmerkungen von Ludger Heid.
Einleitung von Hermann Simon.
(Jüdische Memoiren. Hrsg. von Hermann Simon. Bd. 2.)
Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz 1999, 318 S.

Fesselnde Biographie eines außergewöhnlichen Menschen

Jacob Teitel: Aus meiner Lebensarbeit
Erinnerungen eines jüdischen Richters im alten Rußland.
Mit einem Vorwort von Simon Dubnow und einer Charakteristik von Maxim Gorki. Deutsch von Elias Hurwicz. Neu herausgegeben mit einem Essay und Anmerkungen von Ludger Heid.
Einleitung von Hermann Simon.
(Jüdische Memoiren. Hrsg. von Hermann Simon. Bd. 2.)
Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz 1999, 318 S.

Die Memoiren Jacob Teitels, nach 70 Jahren neu herausgegeben, sind eine äußerst spannende und fesselnde Lektüre. Jacob Lwowitsch Teitel (1850-1939), fast vier Jahrzehnte im gehobenen Dienst der zaristischen Gerichtsbarkeit tätig, versuchte die Folgen schrecklicher Pogrome zu mindern, setzte sich für Schul- und Berufsbildung insbesondere jüdischer Jugendlicher ein und arbeitete in zahlreichen jüdischen Hilfskomitees, deren Gründung und segensreiches Wirken nicht selten seiner Tatkraft zu verdanken war.

Als gläubiger Jude wurde Teitel gezwungen, nach 37 Jahren sein Richteramt zu quittieren, nur mäßig mit dem Ehrentitel „Wirklicher Staatsrat“ und dem Recht auf die Anrede „Exzellenz“ abgefunden. Jacob Teitel nutzte seine vielfältigen guten Verbindungen zu russischen Intellektuellen und Vertretern des Judentums für Hilfsaktionen, die das Leben von Emigranten in westeuropäischen Ländern und besonders in Deutschland erleichtern sollten. In den Jahren 1921 bis 1933 lebte Teitel in Berlin, wo er als Vorsitzender des „Verbandes russischer Juden in Deutschland“ für die Rechte und die Achtung der Juden und ihre Integration im Exil eintrat. In Berlin gründete er den Weltverein „Kinder-Freunde“, in dem er Kinder verschiedener sozialer Gruppen zusammenbrachte.

Frankreich wird für Teitel zur letzten Station seines Lebens, praktisch sein zweites und drittes Exil. Der Aufstieg der Nationalsozialisten erscheint vielen russischen Flüchtlingen, die Jahre zuvor vor den russischen Oktoberereignissen des Jahres 1917 Rußland verlassen haben, als eine Art Wiederholung mit umgekehrten politischen Vorzeichen. In Paris gründet Teitel für die russischen Juden, die noch nicht aus ihrem deutschen Exil geflohen sind, das Komitee zur Hilfe russischer Juden in Deutschland, das für viele zur lebensrettenden Einrichtung wird.

Von Paris flieht Teitel in weiter südlich gelegene Regionen, nach Nizza. Auf der internationalen Flüchtlingskonferenz 1938 in Evian-les-Bains auf der französischen Seite des Genfer Sees macht er die schmerzliche Erfahrung, daß kein Land die jüdischen Flüchtlinge aufnehmen will. Mit 88 Jahren stirbt Jacob Teitel 1939 in Nizza.

1925 erscheinen die Lebenserinnerungen Teitels in Paris in russischer Sprache, 1929 in deutsch. Die Ausgabe von 1999 trägt einen Schutzumschlag unter Verwendung des Originalumschlags von 1929 aus dem I. Kaufmann Verlag, Frankfurt am Main, gestaltet von der Künstlerin Nina Anna Brodsky. Die vom Autor geplante Fortsetzung der Memoiren blieb ungeschrieben. Die Ausgabe von 1999 ist ein durchgesehener und erweiterter Neudruck der Ausgabe von 1929 und enthält 18 Abbildungen, davon 14 hinzugefügt.

Der wieder herausgegebene Memoirenband von Jacob Teitel: Aus meiner Lebensarbeit. Erinnerungen eines jüdischen Richters im alten Rußland liest sich deshalb so spannend, weil man spürt: Das ist authentisch, das ist wahr! Anschaulich schildert Jacob Teitel seine Kindheitserlebnisse in Dörfern und kleinen russischen Städten, seine Begegnungen mit dem jungen Dichter Alexej Maximowitsch Peschkow (Gorki) und dem jungen Rechtsanwaltsgehilfen Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) in Samara, seine Richtertätigkeit, die persönlich erlebten Pogrome gegen Juden und seine Erlebnisse in Berlin. Teitel setzt sich ein für Toleranz zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen Juden und Russen, zwischen Juden und Deutschen. Die „Lebensarbeit“, die Lebensleistungen des jüdischen Richters Jacob Teitel werben für Toleranz, Gleichberechtigung und gegenseitige Achtung und sind gerade nach dem Mord an den europäischen Juden ein Zeugnis für Lauterkeit und Einsatzbereitschaft für die Entrechteten.

Gorki schrieb über Teitel in der Zeitschrift „Krasnaja Now“ („Rotes Neuland“) im April 1927 (diese Charakteristik ist der Biographie vorangestellt): „Von Zeit zu Zeit erscheinen in unserer Welt Menschen, die ich ‚heitere Gerechte‘ nennen möchte ... Ich hatte das Glück, auf meinem Lebenswege etwa sechs heiteren Gerechten zu begegnen; der markanteste unter ihnen ist Jacob Lwowitsch Teitel, ehemaliger Untersuchungsrichter in Samara ...“

Ein besonderer Dank geht an Ludger Heid und Hermann Simon, die mit Essay, umfangreichem Anmerkungsteil und Einleitung diese jüdischen Memoiren für den heutigen Leser aufbereitet haben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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