Eine Rezension von Gerhard Keiderling

Das Integrationsjahr 1952 im Spiegel der Dokumente

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1952.
Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amtes vom Institut für Zeitgeschichte.
Hauptherausgeber: Hans-Peter Schwarz.
1. Januar bis 31. Dezember 1952.
Wissenschaftlicher Leiter: Rainer A. Blasius; Bearbeiter: Martin Koopmann und Joachim Wintzer.
R. Oldenbourg Verlag, München 2000, 842 S.

Die Reihe „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“ wurde von Hans-Peter Schwarz begründet. Bisher erschienen die Jahresbände 1949/50 (1997) und 1951 (1999) sowie zwei Bände „Adenauer und die Hohen Kommissare“ für die Jahre 1949-1951 und 1952 (1989/1990). Der vorliegende Jahresband schließt sich lückenlos an, der Band für 1953 ist in Arbeit. Die zeitlich konsekutiv angelegte Reihe befördert wesentlich die außenpolitische Forschung, die sich bisher in vielen Bereichen nur mit Auswahlbänden (wie die ebenfalls vom Auswärtigen Amt schon 1972 herausgegebene „Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland“) behelfen mußte.

Die Herausgeber begnügen sich mit einer „Vorbemerkung zur Edition“, die die Prinzipien für Auswahl, Wiedergabe und Kommentierung der Dokumente erläutert. Sie haben aus dem Fundus des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes und aus anderen Archiven 253 Dokumente ausgewählt, darunter viele, die nach Ablauf der Sperrfrist von 30 Jahren erstmals zugänglich gemacht werden. Die Dokumente sind chronologisch geordnet, textkritisch bearbeitet und inhaltlich kommentiert. Vorwiegend handelt es sich um Schreiben und Gesprächsniederschriften des Bundeskanzlers und seines Staatssekretärs, um Memoranden und Runderlasse sowie um Aufzeichnungen und Mitteilungen von Botschaftern und anderen höheren Beamten des Auswärtigen Amtes. Auf den Abdruck von Verträgen, Noten, außenpolitischen Erklärungen im Bundestag u.ä., die anderenorts schon vorliegen, wurde verzichtet.

Das Jahr 1952 nahm einen gewichtigen Platz in der Außenpolitik der noch jungen Bundesrepublik ein. Zwar waren auch nach der Einrichtung des vom Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinem ersten Staatssekretär Walter Hallstein geleiteten Auswärtigen Amtes im Jahre 1951 die außenpolitischen Möglichkeiten noch begrenzt, doch strebten Integrierung und Rehabilitierung der Bundesrepublik ihrer Entscheidung zu. Im Mittelpunkt standen der Deutschland-Vertrag (auch Generalvertrag genannt) und der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die der BRD Souveränität und Sicherheit bringen sollten. Der Prozeß der Westintegration verlagerte sich von der Ebene der internationalen Verhandlungen auf den Kampf um die Ratifizierung in den nationalen Parlamenten. Er war überschattet von Stalins März-Note 1952, die mit einer neuen Deutschland-Offerte eine definitive Weichenstellung in Richtung Westen zu verhindern suchte. Mit einem kräftigen amerikanischen Wind in den Segeln durchkreuzte Adenauer die sowjetische Taktik und erreichte am 26./27. Mai 1954 die Unterzeichnung der beiden Verträge. Aber der Streit um Adenauers Westpolitik, vor allem hinsichtlich ihrer gesamtdeutschen Auswirkungen, ging schon in den Bundestagswahlkampf von 1953 über. Die Breite der Thematik - westdeutscher Verteidigungsbeitrag und deutsche Wiedervereinigung samt (Nicht-)Beziehungen zur DDR - reflektiert die vorliegende Edition nicht. Man muß warten, bis die vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs herausgegebene Reihe „Dokumente zur Deutschlandpolitik“ den entsprechenden Jahresband vorlegen wird.

Einen weiteren Schwerpunkt der Außenpolitik im Jahr 1952 stellte das Bemühen um Wiedergutmachung und Ausgleich von Auslandsschulden dar, wozu sich die Bundesrepublik als völkerrechtlicher Nachfolgestaat des Hitler-Reiches und zur Sicherung ihres Alleinvertretungsanspruchs verpflichtet fühlte. Die Konferenz über die deutschen Vor- und Nachkriegsschulden wurde vom 28. Februar bis 8. August 1952 in London geführt. Die Bonner Delegation leitete der Bankier Hermann Josef Abs. Das Schuldenabkommen selbst wurde am 27. Februar 1953 unterzeichnet. Parallel dazu liefen die Verhandlungen über ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel, die am 10. September 1952 in Luxemburg zum Abschluß kamen.

Einen breiten Raum nahm 1952 auch die westeuropäische Integration ein: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Europäische Verteidigungsgemeinschaft, Europarat u. a. Fortschritte auf diesem Wege hingen von der Entwicklung der Beziehungen zu den westlichen Nachbarn ab. Ein Problem, das das deutsch-französische Verhältnis seit langem belastete, war die Saarfrage. Ab Mitte 1952 begannen Verhandlungen über ein von Paris vorgeschlagenes europäisches Statut für die Saar. Von großem Belang waren schließlich die Bemühungen um die Aufnahme von Kontakten und diplomatischen Beziehungen zu den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, die immer mehr eine Schlüsselfunktion im Kalten Krieg erlangten.

Zu all diesen Schwerpunkten werden viele aufschlußreiche Dokumente vorgelegt. Dem Jahresband sind vorzüglich erarbeitete Personen- und Sachregister sowie ein die relevanten Editionen erfassendes Literaturverzeichnis beigefügt. Außerdem gibt es einen detaillierten Organisationsplan des Auswärtigen Amtes vom August 1952.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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