Eine Rezension von Bernd Heimberger

Fortsetzungen in der Fremde

Ernst Bloch/Wieland Herzfelde: Wir haben das Leben wieder vor uns
Briefwechsel 1938 – 1949.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2001, 390 S.

Beide waren fest und stark im marxistischen Glauben. Beide waren Emigranten in der falschen Emigration. Das heißt in der westlichen Emigration, die der DDR suspekt war. Zurück aus den USA, lehrten die Freunde an der Universität Leipzig: Ernst Bloch Philosophie und Wieland Herzfelde Literatur. Das „Prinzip Hoffnung“ hatte sie nach Ost-Deutschland getrieben. Nichts davon im erstmals wieder wahrgenommenen Briefwechsel der Männer. Von keinem Forscher, keinem Biographen bisher berücksichtigt, hatten Bloch und Herzfelde während der US-Jahre einen regen Briefwechsel, den vor allem der Philosoph in Fluß hielt. Unter dem Motto „Wir haben das Leben wieder vor uns“ hat Jürgen Hahn die Bloch-Herzfelde-Korrespondenzen der Jahre 1938 bis 1949 in einem wissenschaftlich sorgsam aufbereiteten Band herausgegeben.

Unterhaltsam sind die Entdeckungen der beiden Europäer in Amerika. Als Deutsche entdecken sie auf deutsche Art. Es wird verglichen und gewertet. Manches Debattieren neuerer Zeit wirkt nichtig, wenn man den Bloch von 1938 liest, der lästert, „wie sehr Amerika bei uns kopiert worden ist“. Amerika also ein angenehmer, vertrauter Ort? Herzfelde, der stets seine verlegerische Profession herauskehrt, ist der politisch Kritischere. Bloch ist der ausführlichere Analytiker. Während die Blochs bereits im sicheren New York gelandet sind, gelingt’s den Herzfeldes gerade noch, Prag zu verlassen, bevor die Stadt, am 15. März 1939, von der deutschen Wehrmacht besetzt wird. Wesentlich sind die Briefe nur dann, wenn Zeitgeschichtliches, das Zeitgeschichte wird, artikuliert ist und Weltgeschichtliches dichter und differenzierter darstellt. Wesentliches ist selten auf den Seiten. Daß historische Großtage kaum beachtet und bedacht sind, hat mit den Lebensumständen zu tun. Kein Wort also zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Erstaunlich dann, in welche euphorische Stimmung Bloch durch den Überfall auf die Sowjetunion versetzt wird. Geweckt ist die Hoffnung auf die Hitler-Niederlage, da „es jetzt in der SU um die Wurst geht“. Die Landung der Alliierten ist fern. Der 20. Juli offenbar eine innerdeutsche Angelegenheit. Sicher ist manches Wort Auge in Auge gewechselt worden. Endlich, am 16. Mai 1945 - acht Tage nach der Kapitulation Deutschlands - ein Brief von Ernst an Wieland. Eine lange Epistel voller Gedanken über Geschäfte und Geld. Geschäftliches wird in den Petschaften meist durch Geistiges kompensiert. Gemeinsame Projekte also. Manuskript-Buch-Verlagsangelegenheiten also. Gegen Schluß des Briefes vom 16. Mai dann doch einige Bemerkungen zum Jahrhundertereignis. Bloch notierte: „Die Ereignisse in der großen Welt sind so, daß man nur sagen kann, es hat einmal noch viel schlimmer ausgesehen.“ Wie schrecklich tatsächlich alles aussah, war von Amerika aus noch nicht zu sehen.

Die Exilierten des Geistes, der Kultur, das bestätigt nicht erst der Bloch-Herzfelde-Briefwechsel, waren während der Emigration mit der Fortsetzung ihrer Ideen, Projekte, Publikationen beschäftigt. Der Bloch-Satz: „Machen wir weiter so!“ hätte ebensogut Motto der Briefsammlung sein können. Allen Unbilden zum Trotz, Kontinuität zu wahren, die auch die Unabhängigkeit bewahrt, ist die Linie, an die sich beide Autoren halten. Eine Aufgabe zu haben, die eigenem Auftrag entspringt und entspricht, macht’s schwer, ans Aufgeben zu denken. Welch ein Trost! Welch eine Garantie über alle Zeiten und Zeitumstände hinweg.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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