Eine Rezension von Günter Wirth
cover

Gerhard Besier/Armin Boyens/Gerhard Lindemann: Nationaler Protestantismus und
Ökumenische Bewegung
Kirchliches Handeln im Kalten Krieg (1945 – 1990).
Mit einer Nachschrift von Horst-Klaus Hofmann.
Duncker & Humblot, Berlin 1999, 1074 S.

„Kirchliches Handeln im Kalten Krieg“ im Zeitraum zwischen 1945 und 1990 ist Gegenstand dreier in sich selbständiger, aber aufeinander bezogener umfangreicher Arbeiten, die unter dem Oberbegriff „Nationaler Protestantismus und Ökumenische Bewegung“ zusammengefaßt sind. Die mittlere Arbeit von Gerhard Besier „Protestantismus, Kommunismus und Ökumene in den Vereinigten Staaten von Amerika“ (S. 323–652) ist hierbei zweifellos die interessanteste und relevanteste, weil sie bisher weitgehend unbekanntes bzw. so noch nicht eingeordnetes Material aus den USA über die wesentlichen theologischen, kirchenpolitischen und politischen Motive je unterschiedlicher Strömungen im nordamerikanischen Protestantismus bereitstellen und werten kann. Aus ihm läßt sich das auf die Ökumene wirkende starke Gewicht des nordamerikanischen Protestantismus – so und so – besser abwägen; so, hinsichtlich der gewissermaßen kirchlichen Verstärkung US-amerikanischer Politik in imperialen Dimensionen, oder so, eines mehr oder weniger deutlichen Gestus des Pazifismus, der Verständigung über die Grenzen und Gräben des Kalten Krieges hinweg, wobei es in beiden Lagern (Besier arbeitet es klar konturiert heraus) wiederum unterschiedliche (Unter-)Strömungen gab, die von theologischen und konfessionellen, aber auch von politischen Überzeugungen gespeist werden. Sicherlich kann man zu diesen oder jenen Komplexen der Arbeit Besiers vom eigenen Spezialgebiet her einschlägige Fragen anmelden, die hier zu erörtern zu weit führen würde – im ganzen würdigt man indes diese Studie als bereichernd für Kenntnisstand und Orientierung im Blick auf ein oft ausgeblendetes, aber von seinen Wirkungen her unübersehbares Problemfeld. Auf eine generelle Frage, die sich auch auf die beiden anderen Studien bezieht, wird allerdings noch zurückzukommen sein.

Diese beiden anderen Arbeiten konzentrieren sich (S. 27–322) auf das Thema Ökumenischer „Rat der Kirchen und Evangelische Kirche in Deutschland zwischen West und Ost “ (Armin Boyens) und (S. 653–932) auf das „Verhältnis zwischen der Christlichen Friedenskonferenz und dem Ökumenischen Rat der Kirchen“ (Gerhard Lindemann). Um dies von vornherein hervorzuheben, man hat von Boyens schon Besseres gelesen, und der Rezensent der „Frankfurter Allgemeinen“ hat recht, wenn er (22. August 2000) bedauert, Boyens habe sich auf eine „reine Organisationsgeschichte beschränkt“; er habe sich „von einem Einladungsschreiben zum nächsten“ gehangelt und habe lediglich „Kommuniqués, Briefwechsel und protokollarische Notizen“ ausgebreitet. Als überraschend an der Arbeit dieses Autors erscheint in meiner Sicht vor allem, wie wenig er (im Gegensatz zu Besier) theologische und politische Fragestellungen zusammenzuschauen vermag – dies zumal im Blick auf den ohnehin schwierigen Prozeß der Integration der osteuropäischen evangelischen und orthodoxen Lokalkirchen (also der Russischen, der Bulgarischen und der Rumänischen) in den Weltkirchenrat, der vor allem hinsichtlich der Orthodoxie nicht nur (wie Boyens suggeriert) vom Willen von Staatskirchenämtern abhängig war, sondern vom konfessionellen ekklesiologischen Selbstverständnis. Außerdem fällt bei Boyens auf, daß man bei ihm marginale Namen von Funktionären und Stasi-Offizieren lesen kann, die als Gewährsleute von Informationen plötzlich kirchenhistorischen Rang erhalten, aber die Namen von Pionieren der ökumenischen Bewegung sucht man vergeblich, etwa die von Marc Boegner, dem französischen Kirchenpräsidenten, oder von Friedrich Siegmund-Schultze und Adolf Deißmann. Analoges betrifft zentrale ökumenische Ereignisse, die „organisationsgeschichtlich“ womöglich nicht festgemacht werden können, aber prägende kirchenhistorische Bedeutung hatten, etwa der erste ökumenische Gottesdienst in der ehemaligen „Reichshauptstadt“, nämlich im Oktober 1945 in der Berliner Marienkirche, mit dem anglikanischen Bischof von Chichester George Bell, dem russischen orthodoxen Erzbischof Alexander sowie amerikanischen und französischen Geistlichen und Heinrich Grüber als Prediger und Liturgen, und als Ehrengäste waren an diesem Gottesdienst der CDU-Vorsitzende Dr. Andreas Hermes und der KPD-Politiker Franz Dahlem zugegen. Unberücksichtigt bleibt bei Boyens wie bei Lindemann die wiederum „organisationsgeschichtlich“ nicht einzuordnende ökumenische Manifestation im Sommer 1958 in Warschau, wo aus Anlaß des Wiederaufbaus der protestantischen Trinitatiskirche wichtige Weichenstellungen im Blick auf die Formulierung der Konferenz Europäischer Kirchen und der Positionsbestimmung zur Christlichen Friedenskonferenz fielen. Auch den Namen des Warschauer Pfarrers Michelis sucht man vergeblich, obwohl dieser ein früher Dissident war. Ebenso vergeblich sucht man bei Boyens den Namen von Georges Casalis, dem französischen Militärpfarrer im Nachkriegsberlin, einer charismatischen ökumenischen Persönlichkeit. Auch daß Propst Grüber in Fortführung seiner ökumenischen Kontakte in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau jeweils der erste deutsche Geistliche oder mindestens einer der ersten deutschen Pfarrer war, die die Niederlande, Dänemark, England, aber auch die ČSR und Polen besuchten (1955 predigte Grüber als erster in Warschau), ist Boyens keine Notiz wert. In seiner „organisationsgeschichtlichen“ Sicht bleibt die Behandlung eines so einschneidenden ökumenischen Ereignisses wie der ersten Tagung des Zentralausschusses der ÖRK in einem realsozialistischen Land, nämlich in Galyatetö im nordungarischen Madras-Gebirge, blaß und ohne Konturen, ja selbst die dort und in anderem Zusammenhang gemachten biographischen Angaben zu osteuropäischen Theologen und Kirchenmännern sind oft nicht korrekt. So wird der ungarische systemkritische reformierte Theologe László Pap (László schreibt Boyens prinzipiell falsch) als Alttestamentler bezeichnet, er war aber Systematiker, und der slowakische lutherische Laienpräsident Andrej Žiak war nicht Theologe, sondern Religionspädagoge und Politiker (einer marginalen bürgerlichen Partei); von Imre Kádár, Oberkonventualrat der Reformierten Kirche Ungarns, weiß Boyens biographisch überhaupt nichts, obwohl dieser – von Haus aus siebenbürgischer Dramaturg und Schriftsteller – einer der einflußreichsten Kirchenleute in Ungarn in den 50er Jahren war. Wie viele andere Texte osteuropäischer Theologen (etwa Hromádkas in der DDR zuerst erschienene Schrift An der Schwelle des Dialogs, Union Verlag 1964) sucht man Kádárs Buch über die ungarischen Ereignisse von 1956 (deutsch nur in Ungarn erschienen, in der DDR nicht genehmigt!) im umfangreichen Literaturverzeichnis vergeblich.

Wenn man sich nur auf Archivmaterialien verläßt, kann man leicht hereinfallen. Auf S. 65 heißt es bei Boyens: „Ende 1952 fuhr Bischof Dibelius auf Einladung von Patriarch Alexis nach Moskau.“ Ja, das sollte er, und der Verfasser dieser Rezension schrieb damals für die „Neue Zeit“ und die Potsdamer CDU-Zeitung „Märkische Union“ aus diesem Anlaß einen Leitartikel. Aus der „Neuen Zeit“ konnte er im letzten Moment noch entfernt werden, aus der „Märkischen Union“ nicht. Denn: Die Reise fand nicht statt, der Berliner Bischof war wegen „Erkrankung“ des Patriarchen ausgeladen worden (so die offizielle „Begründung“). Für den Rezensenten blieb der Vorgang nicht ohne Ärger – daher unvergeßlich ...

Was den Aufsatz Lindemanns über die Christliche Friedenskonferenz (CFK) angeht, wird ihm der Rezensent, als Mitbegründer der CFK 1958 in Prag nicht ohne parteiisches Interesse, sehr gern Sachlichkeit und Objektivität konzedieren. Sicherlich geht es diesem Autor auch darum, mindestens eine Konkurrenzsituation der CFK zur Genfer Ökumene herauszuarbeiten und zu manchen Zeitpunkten sogar eine Art „Gegenökumene“ festzumachen. Aber er bleibt bei seiner Analyse nicht im Vordergründigen und auch nicht im „Hintergründigen“ (der Staatskirchenämter etc.) insofern stehen, als er durchaus auch eigenständige Aktionen und theologische Intentionen innerhalb der CFK erkennt, darunter sowohl bei „westlichen“ Mitarbeitern der CFK als auch bei ungarischen oder tschechischen Theologen. In seinen detaillierten Analysen zieht Lindemann natürlich auch Archivmaterial heran, zumal Vermerke und Memoranden von CFK-Mitarbeitern aus der DDR (was Anlaß sein könnte, einmal über die Rolle und Funktion solcher Vermerke zu meditieren: Weil es in der DDR keine oder kaum eine öffentliche Auseinandersetzung über politische und kirchenpolitische Konzeptionen und Strategien gab, mußte das, was heute in den Medien ausgetragen wird, zum Gegenstand interner Vermerke werden, die oft nicht ohne die Erwähnung von Namen auskamen). Nein, Lindemann zieht auch Zeitschriften wie „Die Zeichen der Zeit“ oder den von mir redigierten „Standpunkt“ sowie meine 1988 in Prag (übrigens nicht nur deutsch, sondern auch englisch) erschienene Schrift zur Geschichte der CFK als Quellen heran. Insgesamt könnte der Aufsatz Lindemanns die bisherige absolute Perhorreszierung (und zugleich auch die frühere Sakralisierung) der CFK ablösen zugunsten einer mehr sachlichen Erörterung der mit ihr verbundenen Probleme.

Wir haben es also bei diesem Buch von fast 1 100 Seiten (es enthält noch eine kürzere zeitdokumentarische Arbeit von Horst-Klaus Hofmann) mit einem widersprüchlichen, zugleich aber auch mit einem eminent materialreichen und damit erkenntnisbereichernden Unternehmen zu tun. Es hätte, wenn seine Konzeption nach dem Urteil des F.A.Z.-Rezensenten nicht so „konfus“ gewesen wäre und wenn man nicht allzuoft und allzusehr die Mentalität der Sieger im Kalten Krieg aus ihm herauslesen müßte, den Charakter eines Standardwerks erhalten können. (Als solches war es wohl auch intendiert, wenn man in der Einleitung mitgeteilt erhält, daß für die drei bzw. vier Autoren vierzehn [!] wissenschaftliche und technische Hilfskräfte sowie Lektoren zur Verfügung standen.)

Ich hatte bemerkt, daß ich noch auf einen durchgängigen kritischen Einwand zurückkommen wollte. Er bezieht sich darauf, daß die im Haupttitel angedeutete dialektische Spannung „Nationaler Protestantismus und Ökumenische Bewegung“ nicht durchgestaltet worden ist. Dann hätte jeweils deutlicher die Interdependenz zwischen ökumenischen Aktionen und ihrer Resonanz etwa in der EkiD (und das hieß bis 1989/90 in den evangelischen Kirchen beider deutscher Staaten) und umgekehrt – ich wiederhole – durchgängig herausgearbeitet werden müssen.

Um nur wenige Beispiele anzuführen: Wenn es 1949/50 zu ersten Spannungen zwischen den evangelischen Kirchen in der DDR und der DDR-Regierung kam, so wurden damals (etwa auf dem SED-Parteitag 1950) Aussagen von Bischof Dibelius auf einer USA-Reise als Ursachen denunziert. Oder wenn Besier auf die 1948/49 vom „persönlichen Repräsentanten“ Präsident Trumans beim Heiligen Stuhl, Myron C. Taylor, unternommenen Versuche eingeht, einen „allchristlich-amerikanischen Pakt gegen den Kommunismus“ zu schaffen, dann hätten dort m. E. auch die Stimmen aus der SBZ gegen diesen Plan ihren sinnfälligen Platz gehabt, etwa von Gerhard Brennecke in den „Zeichen der Zeit“ und vom ehemaligen Gefängnispfarrer Harald Poelchau in „Deutschlands Stimme“, dem Organ der damaligen Volkskongreßbewegung.

Wenn ich den Namen des charismatischen Ökumenikers Gerhard Brennecke nenne, der die „Zeichen der Zeit“ als ein ökumenisches Organ betrachtete und etwa vor der Weltkirchenkonferenz in Amsterdam 1948 eine Sondernummer gestaltete, so muß mir auffallen, daß auch sein Name in diesem Buch keiner Erwähnung wert ist. Überhaupt (und das gehört ebenfalls zur dialektischen Spannung des Haupttitels) fällt auf, daß in dem Aufsatz über die CFK eine Übergewichtung von Namen aus der ehemaligen DDR festzustellen ist, während bei Besier (bei ihm allerdings von der Sache her) und vor allem bei Boyens eine Unterrepräsentation vorliegt. Eine Unterrepräsentation auch insofern, daß die Erwähnung von DDR-Kirchenleuten entweder marginaler Natur ist oder mit Stasi zu tun hat (so wird ein konservativer Dresdner Oberkirchenrat, der Mitglied des Zentralausschusses war, eigentlich nur genannt, um feststellen zu können, er sei IM „Zwinger“ gewesen). In einigen Fällen werden ausgesprochen ungerechte (Vor-)Urteile exekutiert. So schreibt Besier (S. 602), ein amerikanischer Kirchenmann habe die Verleihung von Ehrendoktoraten an DDR-Kirchenleute betrieben „wie die Sektionen Theologie an den staatlichen Universitäten der DDR: als Gratifikation für politisches Wohlverhalten„. Als Beispiel hierfür führt Besier ein amerikanisches Ehrendoktorat für Kurt Domsch, Präsident des Dresdner Landeskirchenamtes, und die Verleihung der Freedom Medal for Religion an Landesbischof Werner Leisch, Eisenach, an. In der DDR wurde die Auszeichnung gerade dieser als kritisch eingestuften Kirchenmänner (Domsch war früher Privatunternehmer und ehemaliges Mitglied der LDPD) genau umgekehrt gedeutet. Analoges würde die Charakterisierung von Elisabeth Adler, frühere stellv. Generalsekretärin des Christlichen Studenten-Weltbundes und Studienleiterin der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg, oder von Dr. Helmut Domke, einem Physiker und späteren Staatssekretär im Kabinett de Maizière, betreffen – und die DDR-Mitglieder im Zentralausschuß Dr. Scholz und Dr. Graewe, zwei Naturwissenschaftler, werden schon gar nicht genannt.

Wenn diese Problematik, die „organisationsgeschichtlich“ natürlich damit zu tun hat, daß die DDR-Kirchen selbständig ökumenisch erst nach 1969, nach Bildung des Kirchenbundes, agieren konnten, hier herausgestellt wird, dann mit kritischem Blick auf dieses Buch, aber auch unter dem Aspekt, daß sie – unabhängig vom „Sachgebiet“ – eigentlich fast generell mit Blick auf die „DDR-Forschung“ fixiert werden könnte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite