Eine Annotation von Lili Hennry

cover Taylor, Andrew:
Das Recht des Fremdlings
Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001, 384 S.

Andrew Taylor, gebürtiger Engländer und mehrfach preisgekrönt für seine Werke - Kriminalromane und Jugendbücher -, hat mit Das Recht des Fremdlings den zweiten Teil einer Trilogie über Roth, eine kleine Vorortsiedlung am Rande Londons, geschrieben, der nach dem Willen des Autors auch „als eigene, in sich abgeschlossene Geschichte“ gelesen werden kann.

Dies erscheint der Rezensentin eher zweifelhaft, denn die Verhältnisse sind ziemlich verwickelt in dem kleinen Ort Roth, obwohl doch alles so klar auf der Hand zu liegen scheint. Zeitlich im Jahr 1969 angesiedelt, erscheint die Handlung, wie in englischen Kriminalromanen üblich, jedoch eher zeitlos. Das typisch englische Idyll wird gebrochen durch eine typisch englische Serie von Morden, die mit der grausamen Verstümmelung von Lord Peter, einer Katze, eingeleitet wird. Bis es dazu kommt, wird der Leser allerdings erst den geballten Seelenschmerz des Erzählers, des notgeilen anglikanischen Priesters David Byfield, über sich ergehen lassen müssen, der seinen Hormonstau mittels einer Hochzeit mit der gutaussehenden Verlegerin Vanessa beseitigen zu können glaubt, aber nach der Eheschließung feststellen muß, daß seine Frau frigide ist und ihm bestenfalls Freundschaft zu bieten vermag.

Die im Internat lebende überehrgeizige Tochter Byfields, Rosemary, deren Mutter anscheinend bei einem immer wieder beschworenen, aber nie näher benannten Ereignis in Rosington ums Leben gekommen zu sein scheint, lebt in den Ferien zwar im Hause des Vaters, zieht sich jedoch in ihre eigene Welt zurück und wird nur selten erwähnt. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, daß ihre Rolle eine andere als die einer Randfigur sein könnte. Und die ständigen Mahnungen des Erzählers an die Ereignisse von Rosington machen nicht neugierig auf den dritten Teil der Trilogie, sondern sind nur lästig.

Besitzerin des verstümmelten Tieres war Audrey Oliphant, Inhaberin einer kaum noch besuchten Teestube, die in ihrer altjüngferlichen Art zwanzig Jahre älter wirkt als „in den Wechseljahren“, auf die die Ortsansässigen ihre Verschrobenheit zurückführen. Sie soll als Miss Marple-Double herhalten, wofür sie sich aber überhaupt nicht eignet, da sie weder deren Charme noch deren wache Auffassungs- und Kombinationsgabe besitzt. Außerdem werden ihre „Ermittlungen“ zwar unentwegt erwähnt, nur hat der Leser niemals wirklich teil daran. Schließlich ist sie auch noch unsterblich verliebt in David Byfield, der sich ihrer Belagerung, deren wahre Ursache nicht wahrnehmend, nur schwer entziehen kann, ohne sie zu verletzen. Letztlich geht sie nicht nur dem Pfarrer, seiner Frau und den Dorfbewohnern auf die Nerven, sondern auch dem Leser. Einzig positiver Aspekt ihres Lebens ist die Aufarbeitung der Geschichte des Ortes in Form einer kleinen Broschüre, die im Laufe der Handlung Bedeutung bekommen wird. Hatte ursprünglich sie selbst auf eine intensive Zusammenarbeit mit dem Pfarrer gehofft, so ist es nun gerade die Tätigkeit an der Broschüre, die ihn mit ihrer „Rivalin“ Vanessa zusammenbringt.

Vanessa selbst ist (wiederum nicht nachvollziehbar, weshalb) besessen von Francis Youlgreave, einem opiumsüchtigen und durch Selbstmord geendeten unbedeutenden Dichter, der weniger durch sein Werk als durch seine Lebensumstände ein gewisses Aufsehen erregte. Das alte Herrenhaus wird noch immer bewohnt von Lady Youlgreave, seiner Nachfahrin. Die Ereignisse verlaufen nach einem Muster, das den Verdacht nahelegt, der Dichter spinne noch aus dem Grab heraus sein Netz, in dem sich die Opfer verfangen. Das junge Geschwisterpaar Toby und Joanna, das nach dem Tod der Lady in das Herrenhaus einzieht, bringt scheinbar frischen Wind in die verkrusteten Lebensvorstellungen, in Wahrheit verstärken sie den Hauch von Morbidität, der in diesem Roman die Spannung ersetzen muß, zu einem dicken, klebrigen Belag, der einem nach dem Lesen immer noch anhaftet.

Wie immer sind es die verbotenen Früchte, die versteckten Leidenschaften, Eifersucht und ausufernde, im engen Korsett der englischen Etikette und Religion eingeschnürte Gefühle, die irgendwann zu gewaltsamem Ausbruch drängen, aber der Roman bietet keine Gelegenheit, die einzelnen Handlungsstränge zu einem einzigen, schlüssigen zusammenzuführen. Es handelt sich um eine Aneinanderreihung von verpaßten Gelegenheiten, falschen Wertmaßstäben und Kommunikationsproblemen, aber das allein reicht noch nicht aus, um am Ende in einem recht lahmen Showdown einen völlig überraschenden Täter zu präsentieren. Was bleibt, ist ein Rückblick ohne Ausblick, ein verpatztes Leben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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